15 JAHRE HOYERSWERDA: AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT HAT NEUE FORMEN
: „No-go-Areas“ statt Pogrom

Nein, ganz so wie damals wäre das heute nicht mehr vorstellbar. Als vor fünfzehn Jahren, im September 1991, Ausländerfeinde das Asylbewerberheim im sächsischen Hoyerswerda angriffen, johlten die Nachbarn, die Polizei schaute zu, und die Politiker duckten sich weg. Eine schockierte westdeutsche Öffentlichkeit sah die mühsam errungene Liberalität der alten Bundesrepublik im Strudel der Wiedervereinigung untergehen. Am Ende stand die völlige Kapitulation des Staates: Die Asylbewerber aus Hoyerswerda wurden unter dem Beifall der Anwohner abtransportiert.

Inzwischen haben alle dazugelernt – Behörden, Politiker und auch die Rechtsradikalen. Heute nicht mehr vorstellbar ist ein Pogrom à la Hoyerswerda allerdings auch deshalb, weil in vielen Orten in der ostdeutschen Provinz kaum noch Menschen leben, die anders aussehen, anders leben, sich anders verhalten. Nach Hoyerswerda rief die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff „ausländerfrei“ zum ersten Unwort des Jahres aus – heute redet man, wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit mal wieder dem Thema zuwendet, lieber von „No-go-Areas“. Sie sind die modernen, unauffälligen Nachfolger des Pogroms.

Gern wird das Problem unter Verweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten verharmlost. Doch ökonomisch darbende Regionen gibt es auch in Westdeutschland – ohne dass dies zu solchen Ausbrüchen des „gesunden Volksempfindens“ geführt hätte. Mölln und Solingen, die Chiffren für ausländerfeindliche Gewalt im Westen, gehören in eine andere Kategorie; dort haben Einzeltäter Anschläge verübt, im Schutz der Nacht und eben nicht im Schutz der Öffentlichkeit. Das ist schlimm genug, aber eine grundsätzlich andere Form.

Der Aufbau von Zivilgesellschaft ist in manchen Regionen Ostdeutschlands auch fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus immer noch nicht geglückt. Die Erleichterung, dass es zu Exzessen wie einst in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen heute nicht mehr kommt, sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Denn die neue Ruhe ist mancherorts nur Ausdruck einer vermeintlichen Normalität, mit der sich niemand abfinden darf. RALPH BOLLMANN