Etwas Härte kann nicht schaden

Jeder Mensch ist anders – eine schlichte Erkenntnis, die jedoch beim Sattel von besonderer Bedeutung ist. Aber zu weich sollte niemand sitzen, warnen die Experten. Nur wer testet, findet heraus, ob es gerade, dreieckig oder in T-Form am besten passt

VON HELMUT DACHALE

Generationen von Radlern haben ihn schon verflucht, sich von ihm zwicken und zwacken lassen und doch immer wieder Platz genommen. Der Sattel sei nun mal „das Schmerzenskind sowohl der Radler wie der Erfinder“, stellte ein Mediziner bereits vor 110 Jahren fest.

Seitdem ist der Sattel ständig neu erfunden worden, eine Vielzahl von Formen und Materialien sind auf den Markt gekommen. Doch das habe keinesfalls zu einem Typ geführt, der pauschal für jede und jeden zu empfehlen sei. Ob Leder- oder Gelfraktion, keine könne für sich beanspruchen, alle Menschen glücklich zu machen. So lautet das Credo von Juliane Neuß, einer der Leitfiguren unter den deutschen Fahrradkonstrukteuren und bekannt für ihre klaren Worte. „Sättel auf Neurädern sind nur da, damit es in die Sattelstütze nicht reinregnet“, hat sie einmal vor ein paar Jahren postuliert. „Und daran hat sich kaum etwas geändert“, sagt sie heute. „Lediglich bei hochwertigen Custom-made-Modellen hat der Kunde eine gute Chance, von vornherein den Sattel zu bekommen, der zu ihm passt.“

Nach Juliane Neuß ist es unbedingt erforderlich, bei der Sattelwahl von sich selbst auszugehen – von der eigenen bevorzugten Sitzposition und der realen Beckenform. Die Sache mit dem Sitzen dürfte bekannt sein: Die aufrecht Thronenden pressen mehr Gewicht auf den Sattel als andere, die mehr oder weniger stark den Rücken neigen und so einen Teil des Körpergewichts auf dem Lenker ruhen lassen.

Dementsprechend sind bei den Liebhabern des Hollandrads die hinteren Sitzbeinhöcker überaus stark gefragt, bei den Rückenneigern sind auch die vorderen Regionen wie etwa die Schambeine einbezogen. Die Fachfrau ist dafür, die Auflagefläche – die ja eh nur ein paar Quadratzentimeter umfasst – möglichst vollständig auszunutzen: „Die Last des Körpergewichts sollte über die gesamte Sattelfläche verteilt sein.“

Doch wo genau nun das Becken aufliegt, hängt von seiner jeweiligen Beschaffenheit ab. Und da wird’s kompliziert. Die geschlechtsspezifische Unterscheidung, wie sie in jedem medizinischen Nachschlagewerk zu finden ist, könne hier nur erste Hinweise liefern, meint Juliane Neuß. Doch immerhin ergebe sich daraus, dass die meisten Sättel mit gerader Oberfläche und dreieckiger Grundform für Männer in Frage kämen. Frauen, die sportlich fahren und insofern nicht nur die Sitzbeinhöcker beanspruchen, sollten hingegen der T-Form den Vorzug geben und darauf achten, dass ihre Sitzgelegenheit in der Mitte am stärksten nachgibt. Womit die Konstrukteurin überhaupt nicht der allgemeinen Weichheit das Wort reden will. Gerade auf den weicheren Sätteln komme es eher zu „Durchblutungsstörungen und Taubheitsgefühlen“. Denn auf einem Fahrradsattel werde nun mal gearbeitet. Und die Tretbewegung auf einem harten Sattel, davon ist Juliane Neuß überzeugt, fördere die Durchblutung und gewährleiste damit eine bessere Zellversorgung.

Andererseits reichten diese grundsätzlichen Erkenntnisse nicht in jedem Fall aus, da die Beckenform in Wirklichkeit fast so individuell sei wie ein Fingerabdruck. Juliane Neuß: „Eigentlich müsste man ein neues Rad ohne Sattel anbieten. Und dann müssten die Kunden so lange tauschen, bis er passt.“ Etliche Fachgeschäfte sehen das mittlerweile ähnlich. Für die 180 im VSF (Verbund Selbstverwalteter Fahrradbetriebe) organisierten Läden gehört der Satteltausch sogar zum schriftlichen Kundenversprechen: „Bis Sie sich wohlfühlen.“

Das lässt sich auch schneller und vor allem objektiver ermitteln, davon ist Jörg Natrup überzeugt. Er ist Mitarbeiter der Firma GeBioM (Gesellschaft für Biomechanik Münster), die ein Verfahren zur wissenschaftlichen Sattelbestimmung entwickelt hat. Dabei wird eine flexible Messfolie mit gut 60 Sensoren über den Sattel gelegt und der Proband draufgesetzt.

Das Ergebnis laut Natrup: „Ein Druckbild, auf dem alle Kontaktstellen mit der jeweiligen Intensität erkennbar sind.“ Wichtig sei, die Übung auf dem eigenen Fahrrad in der typischen Fahrhaltung durchzuführen. Wird das in einem Fahrradgeschäft absolviert, kann der Kunde gleich mehrere Sättel testen – er könnte sich aber auch zu einer veränderten Sitzordnung überreden lassen.

Bundesweit gibt es knapp 20 Vermessungsstationen, darunter auch Sanitätshäuser und Fachgeschäfte für Orthopädietechnik. Allen ist es möglich, das Druckbild an GeBioM zu übermitteln, damit dann – als höchste Form der Sattelindividualität – maßgeschneidert werden kann. So ein Unikat, aus Schaumstoff gepresst und in der Regel mit dünnem Leder überzogen, kostet zwischen 299 und 335 Euro – inklusive Nachmessung.

Wenn es dann immer noch irgendwo schmerzen sollte – vielleicht auch nur aus pekuniären Gründen –, wird der Sattel zurückgenommen und das Geld erstattet. Doch das, meint Natrup, sei noch nie nötig gewesen.