„Ausgehen macht Sinn“

Die drei Nachtleben-Experten von MyMy darüber, was der Mythos Berlin verspricht – und einlöst

Das Trio MyMy hat spätestens mit seinem Debütalbum „Songs For the Gentle“ (Playhouse 2006) und der einmal im Monat stattfindenden „MyMy & Friends“-Party im Watergate maßgeblichen Anteil daran genommen, den Ruf Berlins als Hauptstadt des Minimal-House zu festigen. Nick Höppner, Lee Jones und Carsten Klemann taten sich vor drei Jahren zusammen, um MyMy als manchmal schwer fassbare Sache zwischen festem DJ-Kollektiv und loser Live-House-Band auf den Weg zu bringen. Davor war Nick Höppner Redakteur beim Groove-Magazin. Carsten Klemann arbeitet seit langem beim fast schon sagenhaften Kreuzberger Mastering-Studio „Dubplates and Mastering“. Lee Jones, 2002 von London hergezogen, hatte sich als Hefner einen Namen als Produzent gemacht.

Nick Höppner legt heute in der Panoramabar auf; nächste Woche Mittwoch ist wieder „MyMy & Friends“-Abend im Watergate

INTERVIEW TIMO FELDHAUS

taz: Was ist am Berliner Nachtleben konkret anders als in anderen Städten?

Nick: Ausgehen und alltägliches Leben sind hier stärker miteinander verbunden. In anderen Städten hast du eher dieses Spot an, Licht aus. Hier hat das Ganze einen zusammenhängenden, dramatischen Ablauf. Der DJ nimmt sich Zeit, dir in einem Set eine Geschichte zu erzählen. Es geht darum, eine Nacht zu bauen und nicht nur um kurzen, begrenzten Spaß. Hedonismus wird hier zu einem in die Länge gezogenen Experiment.

Carsten: Es ist wirklich witzig. Wenn wir im Ausland auflegen, jubeln die Leute uns zu: „Ihr seid aus Berlin! Panorama Bar!“ Es ist für alle eine Verheißung. Du bist immer der Coolste, wenn du aus Berlin kommst.

Nick: Momentan verändert sich auch Vieles im Nachtleben. Clubs in Süddeutschland müssen zwischen vier und sechs Uhr zumachen, es gibt keine After Hour, nichts. Im Ausland ist es oft noch schlimmer. Der Eintritt kostet 25 Pounds, geraucht wird draußen. In Dublin geht man bis 3 Uhr aus, fertig. Wenn man viel in anderen Städten spielt, beginnt man, Berlin wieder total zu schätzen.

Es gibt in Berlin gerade so viele Clubs wie wohl selten zuvor. Zuletzt haben das „Tape“ und das „15th Floor“ aufgemacht. Das „Cookies“ ist wieder da, der „Tresor“ öffnet sicher demnächst auch neu. Wie bekommt man diese ganzen Clubs ständig voll?

Nick: Mit den Techno-Touristen, die jedes Wochenende aus aller Welt einfliegen und Berlin zu einem All-Year-Ibiza machen. Es funktioniert perfekt. Man braucht noch nicht mal ein Hotel: Mit Easy Jet herfliegen, Freitagnacht ankommen. Nach dem Clubbesuch eine private After Hour. Dann zurück in den Club, am Sonntagabend Flug zurück. Das ist kein Quatsch, sondern das, was der Mythos Berlin verspricht, was die Stadt aber auch einlöst.

Ich hatte in der letzten Zeit das Gefühl, dass der Hype ein bisschen abflaut, dass die Leute ein bisschen übersättigt sind. Ihr seht das gar nicht so?

Carsten: Klar, irgendwann hat man den Eindruck, alles gesehen zu haben. Ich glaube aber, das ist ein sehr persönliches Problem. Man geht dann nicht mehr so viel intensiv aus. Ich fände das auch Besorgnis erregend. Aber da draußen sind wahnsinnig viele neue Leute, die darauf Lust haben, die das genießen, obwohl es nicht mehr so neu ist oder eine Bewegung in dem Sinne.

Nick: Ich habe mein Leben an diesen Orten der Populärkultur professionalisiert. Entweder machst du das oder du hörst ganz damit auf. Man kann nicht jahrelang nur raven. Es sind aber auch ganz andere Leute in den Clubs als noch vor fünf Jahren. Wenn du aus einer anderen Stadt oder aus dem Ausland herkommst, ist es immer noch sowieso irre hier. Stell dir vor, du bist ein schwuler Italiener und kommst das erste Mal in die Panorama Bar. Das ist der Himmel.

Liegen die Gründe für weniger ausschweifendes Raven nicht vielleicht auch bei der Prekarisierung? Die Leute haben massive Zukunftsängste, müssen arbeiten gehen, am Lebenslauf. Da sind durchzechte Nächte doch nur schwer einzubringen.

Nick: Nein, das denke ich eigentlich gar nicht. Vor zehn Jahren war Ausgehen noch theoretisch gekoppelt an eine Idee von Utopie. Heute hat es mehr zu tun mit Eskapismus, gerade aufgrund der von dir angesprochenen prekarisierten Situation. Man muss nur nach England schauen. Die sind, was soziale Bewegungen angeht, immer fünf Jahre voraus – und ja noch viel härter drauf. Dem Alltag entfliehen, das hat durch die von dir angedeutete Situation wieder eine ganz andere Relevanz bekommen.

Es gehört ja irgendwie zum Berlin-Ding: Alles ist sehr billig und man wird problemlos in jeden Club gelassen. Man macht sich nicht hübsch vor dem Ausgehen. Es gibt keine Modepolizei, die einen auf Styles durchcheckt – dafür sinkt aber auch der Glamourfaktor auf einen entspannten Nullpunkt.

Carsten: Es stimmt tendenziell, dass in Berlin niemand darauf achtet, wie man aussieht. Ich gehe zum Beispiel immer in Schlips und Hemd aus – und werde dafür schräg angesehen. Die Leute mögen es nicht, wenn man sich gut anzieht. Sie finden das seltsam und unnötig, fühlen sich sogar angegriffen. Da kommen so Sprüche wie: „Du siehst aus wie die Zeugen Jehovas.“

Nick: Die Kategorien und Distinktionen sind eben andere. Hier ist es wichtig, bestimmte DJs zu kennen und auch die After After After Hour noch mitgezogen zu haben. Lustig eigentlich.

Carsten: Wenn man das mit London oder Paris vergleicht, ist es natürlich auch toll und relaxt. Man vermisst in Berlin eben einen gewissen High-Life-Aspekt, den man irgendwie auch hasst.

Man möchte also doch wieder nur das, was man eben nicht hat?

Carsten: Berlin war immer der vor sich hin brummende Industriekeller. Kalt und düster. Das sind alte Codes, wie im Punk. Längst überholt, wie ich finde. Man darf keine Musik hören, die in den Charts ist, oder mehr als zehn Euro für ein T-Shirt ausgeben. Viele haben noch diesen antiquarischen Bezug zu Authentizität. Eine sehr traditionelle Art, über Subversivität zu denken.

Lee: Wer hier zuletzt ein bisschen Glamour zurückgebracht hat, das waren die Musiker vom Label Minus. Sie haben das Nachtleben ästhetisiert und mit Typen versehen. Leute wie Ritchie Hawtin und Ricardo Villalobos sind Superstars, die es früher gerade in Berlin nie gegeben hätte, weil die Leute so etwas nicht wollten und das kein Bestandteil von Techno sein sollte.

Ihr geht immer noch gerne aus?

Alle: Ja, definitiv. Wir genießen das. Gute Musik und der soziale Aspekt von Clubbing – das ist doch überwältigend. Ausgehen macht definitiv Sinn. Das versteht man erst, wenn man auf der Tanzfläche steht. Man kann diese Musik nicht vom Schreibtisch aus beurteilen.