Müntefering tauft den Mindestlohn um

„Arbeitsgruppe Arbeit“ der Koalition legt ihren Abschlussbericht vor: Alle Branchen können bis Ende 2007 das Entsendegesetz einführen. Strittig ist nach wie vor, welche absolute Untergrenze für Löhne gelten und wie weit der Staat sich einmischen soll

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Franz Müntefering ist ein zäher Kämpfer – und ein Meister der Semantik. Weil „Mindestlohn“ zum Reizwort in der Koalition geworden ist, hat er es flugs in „Auffanglohn“ umgewandelt. Gemeint ist dasselbe: eine gesetzlich festgelegte Grenze für alle Löhne in ganz Deutschland. Wenn niemand von der Union in der Nähe ist, gibt Müntefering das auch zu: „Am liebsten wäre mir immer noch ein richtiger Mindestlohn“, sagte er gestern bei der Vorstellung des Abschlussberichts, den seine „Arbeitsgruppe Arbeit“ vorlegte.

Jetzt kämpft Müntefering offiziell erst einmal für die Ausweitung des Entsendegesetzes auf möglichst viele Branchen – plus „Auffanglohn“. Denn mit dem Entsendegesetz kann auch die Union leben. Es funktioniert so, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb einer Branche auf einen Tariflohn einigen. Der gilt dann für die gesamte Branche. Strittig ist, ob dies qua Verordnung geschieht – das will die SPD. Die Union fordert die Zustimmung des Tarifausschusses von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Damit könnten diese die Vereinbarung torpedieren. Bisher gilt das Entsendegesetz beim Bau und bei der Gebäudereinigung. Branchen, die dies für nötig halten, können bis Ende des Jahres einsteigen. Der „Auffanglohn“ ist aus SPD-Sicht notwendig, um Tariflöhne etwa von 3,18 Euro zu verhindern – derzeit für Friseure in Thüringen der Fall. Im Prinzip sehen die Christdemokraten die Notwendigkeit einer Untergrenze auch. Nur: Sie bevorzugen eine Lösung der Tarifparteien, ohne Einmischung des Staates. Und: Die Vorstellungen über die Höhe liegen weit auseinander. „Nicht unter 6,50 Euro“, sagt Müntefering. Er rechnet so: Hartz IV, Wohngeld plus 25 Prozent. Für die CDU machte deren Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe gestern deutlich, dass 6,50 nicht in Frage kommen. „Der Staat überhebt sich, wenn er Tarifverträge einfach verdoppeln will“, sagte er im Hinblick auf die Friseurlöhne. Wo für ihn die Schmerzgrenze liegt, sagte er gestern nicht.

Unwahrscheinlich also, dass sich die große Koalition noch einigt. Zu oft hat Müntefering kritisiert, dass 500.000 Vollzeitbeschäftige ihr Gehalt mit Arbeitslosengeld aufstocken müssen. Um über die Hartz-IV-Grenze hinauszukommen, ist aber ein Bruttolohn von etwa 5,60 Euro nötig. Wenn sich die SPD auf einen niedrigeren Mindestlohn einlässt, führte sie ihre eigenen Forderungen ad absurdum – und treibt die Gewerkschaften weiter Richtung Linkspartei. Der DGB fordert einen Mindestlohn von 7,50 Euro, die Linke sogar 8 Euro pro Stunde.

Dass Müntefering selbst nicht mit einem Erfolg rechnet, zeigt sich auch an anderer Stelle: Er plädiert dafür, Einkommen zwischen 800 und 1.300 Euro vom Staat aufstocken zu lassen. 800 Euro monatlich sind aber nur etwa 4,50 Euro pro Stunde – ein Lohn, der nach den Worten des Ministers künftig verboten wäre.

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