Zwischen allen Fronten

Wahrscheinlich hätte man über sie nie wieder etwas gehört. Schließlich galt ihr Kapitel als abgeschlossen und mit denen der sagenumwobenen RAF-Spitzenleute ohnehin nicht vergleichbar. Doch nun, da der Mordfall Siegfried Buback neu aufgerollt wird, steht Verena Becker im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Sie ist es, die Verfassungsschützern schon in den frühen 1980er-Jahren Stefan Wisniewski als Attentäter genannt haben soll.

Verena Becker, Jahrgang 1952, Fabrikarbeiterin, begann ihre Terror-Laufbahn in der „Bewegung 2. Juni“. Sie beteiligte sich an einem Sprengstoffanschlag auf einen britischen Yacht-Club in Berlin. Es gab einen Toten, 1974 wurde sie zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ihre Komplizen pressten sie frei – im Tausch gegen den 1975 entführten CDU-Politiker Peter Lorenz. Sie und vier andere Häftlinge wurden in den Südjemen ausgeflogen.

Später fand Becker Anschluss an die RAF. 1977 kam es zu einer Schießerei, als Polizisten Becker und ihren Begleiter Günter Sonnenberg festnahmen. Wegen versuchten Mordes an sechs Polizeibeamten bekam sie „lebenslänglich“. Es gab auch Indizien, die eine Beteiligung Beckers am Buback-Attentat nahe legten: Eine Haarspitze in einem der Motorradhelme der Täter stammte von ihr, zudem fand die Polizei das Gewehr, mit dem Buback und seine Begleiter erschossen wurden, in ihrem Gepäck. Doch das spielte bei ihrer Verurteilung keine Rolle. Nach 12 Jahren begnadigte sie Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Becker durchlief so eine klassische Terroristen-Karriere: jugendliche Abgrenzung, Radikalisierung, „lebenslänglich“, Resozialisierung. Über eine weitere Rolle war bisher nichts bekannt: Für RAF-Aufklärer soll sie eine Fundgrube gewesen sein. Während ihrer Haft in Köln-Ossendorf kontaktierte sie nach Medienberichten den Verfassungsschutz, der sie anschließend zwei Wochen in einer Wohnung vernahm. Becker habe ausgepackt und Stefan Wisniewski als Mörder belastet, heißt es, in der Hoffnung auf vorzeitige Freilassung. Den Weg in den Buback-Prozess fanden diese Aussagen jedoch nie. Zurück in der Zelle sollte Becker stattdessen ihre mitinhaftierten RAF-Genossen bespitzeln.

Als Spielball des Staates, den sie eigentlich bekämpfen wollte, überkam sie die Verzweiflung – so beschreibt sie laut Stern.de ein ehemaliges RAF-Mitglied: So soll sie den einsitzenden RAF-Kollegen ihren Selbstmord angeboten haben, um sich vom Verrätertum reinzuwaschen. Doch ihre Mithäftlinge hätten abgelehnt und ihr nach Logik der Staatsfeinde eine schärfere Strafe verpasst: den Ausschluss aus jeglichen knastinternen Kommunikationsnetzen. VEIT MEDICK