„Linke Friedenspolitik muss sozial sein“

Die Mehrheit der Juden aus orientalischen Ländern ist in Israel weiterhin benachteiligt und hat die niedrigsten Positionen in der Gesellschaft inne, sagt der Politologe Moshe Behar. Schlechter geht es allerdings den Palästinensern

MOSHE BEHAR ist Politikwissenschaftler am Sapir Academic College in Sderot und lehrt gegenwärtig an der Universität Manchester. Er ist das Kind ägyptischer Eltern, die 1956 nach Israel kamen. Behar zählt zu den linken mizrachischen Intellektuellen. Als „Mizrachim“ werden die Israeli nahöstlicher Herkunft bezeichnet. Sie machen 40 Prozent der jüdischen Israelis aus, also etwa 32 Prozent der gesamten Bevölkerung Israels.

taz: Herr Behar, Sie beschäftigen sich mit den „Mizrachim“, den Juden, die nicht aus Europa, sondern aus orientalischen Länder nach Israel kamen. Wie ist die soziale Stellung der Mizrachim in Israel heute?

Moshe Behar: In den Vierziger- und Fünfzigerjahren war Israel eine eurozentrische Gesellschaft. Juden, die aus arabischen Ländern kamen, galten als unzivilisiert und primitiv und erlebten in Israel einen Prozess der Proletarisierung. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren entstand eine ethnische Aufteilung des Arbeitsmarkts, die in etwa bis heute existiert.

Aber es gibt doch viele Politiker mizrachischer Herkunft: Verteidigungsminister Amir Peretz, den Exgeneralstabchef Dan Halutz oder Präsident Moshe Katzav. Gibt es heute wirklich noch eine Diskriminierung der Mizrachim?

Ja, durchaus. Einige, die als Mizrachim geboren wurden, haben in den etablierten Parteien Karriere gemacht. Aber viele von ihnen sind nur noch der Herkunft nach Mizrachim, nicht vom Bewusstsein her. Peretz hat uns ohnehin sehr enttäuscht. Diese Leute wollen von den Problemen der Mehrheit der mizrachischen Juden nichts wissen. Diese Mehrheit ist weiterhin benachteiligt und hat die niedrigsten Positionen in der israelischen Gesellschaft inne. Natürlich geht es den Palästinensern in Israel noch schlechter, von den Palästinensern im Westjordanland ganz zu schweigen, die der Besatzung unterworfen sind. Und es gibt selbstverständlich politisch und sozial sensible aschkenasische, aus Europa stammende Israelis, mit denen wir als linke Mizrachim zusammenarbeiten.

Ist ein Bündnis von israelischer Friedensbewegung und den Mizrachim realistisch? Schließlich gehören sie zu den Wählern des rechten Likud-Blocks.

Mizrachim haben oft Likud gewählt, aber nicht weil sie die Rechten so lieben, sondern weil sie die Arbeitspartei nicht mochten. Denn die war für ihre Lage in Israel verantwortlich. Die Arbeitspartei hat lange die Mizrachim aus der Arbeiterklasse zu Sündenböcken für alles gemacht, was in Israel schief läuft.

Führt Ihre scharfe Kritik an Friedensgruppen wie „Peace Now“ nicht zu einer weiteren Spaltung des ohnehin kleinen Friedenslagers in Israel?

Wir als linke Mizrachim sehen uns selbst als Teil der Friedenslagers. Aber dies ist doch gerade deshalb so klein, weil es nicht geschafft hat, in einen produktiven Dialog mit der Bevölkerung in Israel zu treten und die Bevormundung gegenüber den Mizrachim zu überwinden. Eine linke, friedenspolitische Position muss sich auch um die soziale Fragen kümmern.

Gehen viele Mizrachim also nur zur israelischen Armee, weil sie kaum andere berufliche Perspektiven haben?

Zweifellos. Auch Drusen, Beduinen und Russen gehen doch gerade deshalb zur Grenzpolizei – und die ist ja für eine besondere Härte gegenüber den Palästinensern bekannt. Auch für den Frieden ist die soziale Dimension wichtig: Wenn es einen palästinensischen Staat gäbe, wäre das eine Errungenschaft. Aber wenn dieser Staat auf Dauer ein armer Dritte-Welt-Staat bleibt, der neben einem reichen Israel existiert, dann geht der Konflikt weiter.

Sie haben in Sderot gelehrt, einer Stadt, die vom Gaza-Streifen aus mit Kassam-Raketen beschossen wurde. Können die Leute dort trotzdem die Lage der Palästinenser verstehen?

Es ist schwer, mit Menschen über Frieden zu reden, wenn ihnen Kassam-Raketen auf den Kopf fallen. Aber an dem College in Sderot, an dem ich unterrichtet habe, gibt es Studenten und Professoren, die die Dynamik verstanden haben – also dass die Probleme von Sderot nur gelöst werden, wenn man die Probleme von Gaza angeht. Es ist ein Teufelskreis – jeder behauptet, dass die andere Seite angefangen hat. Aber das Hauptproblem ist gegenwärtig die Besatzung, und obwohl Israel sich aus Gaza zurückgezogen hat, ist allen internationalen Organisationen klar, dass die Besatzung des Gaza-Streifens anhält. Denn Israel hat die Kontrolle behalten.

Was die internationalen Organisationen anbelangt: Wie bewerten Sie die Politik des Nahostquartetts? Immerhin hat es sich für das Zweistaatenkonzept ausgesprochen.

Leider misst es mit zweierlei Maß. Es verlangt von den Palästinensern mehr als von den Israelis. Das muss zu einem Desaster führen. Die Palästinenser sollen vorhandene Verträge als bindend betrachten, der Gewalt abschwören und Israel anerkennen. Gut, aber dann soll doch umgekehrt Israel die gleichen Forderungen erfüllen: keine Gewaltanwendung, eine Anerkennung des Staats Palästina und ein Bekenntnis zu bestehenden Verträgen. Erkennt Ehud Olmerts Regierung tatsächlich die Verträge von Oslo an? Warum hat Olmert dann dagegen gestimmt? Akzeptiert etwa sein rechtsnationaler Stellvertreter Avigdor Lieberman diese Verträge? Nein, keineswegs. INTERVIEW: MARTIN FORBERG