Unterricht aus der Büchse

Die Schulbehörde will zunächst nichts gegen die verstopften Grundschulen in Prenzlauer Berg tun. Ein Opfer könnte die Schulanfangsphase sein – das Senats-Vorzeigeprojekt gegen den Pisa-Schock

VON CHRISTIAN FÜLLER

Die schulpolitisch Verantwortlichen für die Schulkrise in Pankow wollen zunächst nichts gegen die drohende Überfüllung der Grundschulen in Prenzlauer Berg unternehmen. Sowohl Schulsenator Jürgen Zöllner als auch die Pankower Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz, beide SPD, wehrten betroffene Eltern ab. Jetzt müsse zunächst der Eingang der Elternwidersprüche gegen die Verlosung ihrer Kinder aus Einzugsschulen abgewartet werden. Elternvertreter mehrerer Schulen hatten die beiden Schulpolitiker beim Frühlingskinderfest der SPD im Friedrichshain bestürmt. „Nein, es ist noch nicht so weit, etwas zu unternehmen“, bestätigte die Schulstadträtin der taz.

In Prenzlauer Berg wurden vor wenigen Wochen über 100 Schüler aus den stark nachgefragten Grundschulen Thomas Mann und Kollwitz sowie Grundschule an der Marie weggelost. Zum Teil wohnen die betroffenen Eltern in Sichtweite der Schulen. Nach den Schulentwicklungsplänen des Bezirks, die der taz vorliegen, wird sich die Situation in wenigen Jahren extrem zuspitzen. Allein in zwei Schuldistrikten des Prenzlauer Berges werden 2012 statt 700 mehr als 1.400 ErstklässlerInnen zu versorgen sein. Bisher nehmen zum Beispiel 9 Schulen im Kiez um den Kollwitzplatz die Abc-Schützen auf – in welchen Schulen die doppelte Zahl Platz finden soll, bleibt das Geheimnis der Schulbehörden.

Vertreter der Schulverwaltung von Jürgen Zöllner im Bezirk Pankow sagten der taz, es gebe bereits Planungen, „wir sind aber noch nicht so weit, darüber zu sprechen“. Ab 2009 will der Bezirk nach bisherigen Planungen die ehemalige Oberschule Martin-Luther-King-Schule für Grundschüler zugänglich machen. Auch die geschlossene Pasteur-Oberschule käme in Frage.

Die Eltern der drei Lostrommelschulen überlegen unterdessen, wie sie mit der Situation zum beginnenden Schuljahr umgehen sollen. In der Grundschule an der Marie, wo 28 Kinder Lospech hatten, sollten diese Kinder nun doch Aufnahme finden. Dazu müsste allerdings das Dach der gerade renovierten Schule ausgebaut werden, beschloss die Gesamtelternvertretung – „oder notfalls Container im Schulhof aufgebaut werden“. Ähnliche Überlegungen gibt es an der Kollwitz-Grundschule.

Gegen die Containeridee gibt es freilich auch scharfen Widerspruch in der Elternschaft: „Wer einmal Container aufstellt, wird sie nicht mehr los – nicht bei dem abzusehenden Ansturm von Erstklässlern im Kiez“, sagte Ulrike Bock, Elternsprecherin der Marie-Schule. Bock schrieb in einem Brief an die Elternvertreter, wenn es keine politische Lösung gebe, „sollten wir lieber einen Schulstreik organisieren“. Einen kurzfristigen Ausbau der bislang am stärksten betroffenen Schulen hat die Schulstadträtin allerdings bereits abgelehnt – der Bauetat sei „komplett leer“, teilte Zürn-Kasztantowicz den Eltern beim Kinderfest der SPD mit.

Die Opposition im Abgeordnetenhaus ist empört über die angespannte Situation. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass die Schulentwicklungsplanung den Babyboom im Prenzlauer Berg nicht gesehen hat“, sagte der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Özcan Mutlu. Seine Kollegin Mieke Senftleben (FDP) sagte, „die haben gepennt“ – und forderte den Bezirk auf, „sofort eine neue Schulentwicklung zu entwerfen“. Mutlu lehnt die Aufstellung von Containern kategorisch ab. „Das ist keine Lösung, das ist sowohl für Kinder wie für Lehrer absolut unzumutbar“, sagte der Kreuzberger Grüne.

Ein erstes Opfer der Schulverstopfung ist bereits absehbar – die flexible Schulanfangsphase, bei der Schüler der bisherigen ersten und zweiten Klassen altersgemischt unterrichtet werden. Die Reform sollte berlinweit im August starten. Mehrere Elternvertreter sagen nun, „dass die Einführung der Schulanfangsphase mit der derzeitigen Ausstattung nicht zu meistern ist“. Der Elternsprecher der Grundschule an der Marie, Jürgen Schwartz, warnt bereits vor einer „Zwangseinführung der Schulanfangsphase“.

Das Kippen der Schulanfangsphase wäre der Offenbarungseid der Berliner Schulpolitik. Schulsenator Zöllners Vorgänger Klaus Böger (SPD) hat sie gerne als die wichtigste Antwort auf den Pisaschock bezeichnet, weil sie das individuelle Fördern eines jeden Schülers ermögliche. Aber individuelles Lernen in der Sardinenbüchse – das können sich manche Eltern halt nicht vorstellen.