Es war nicht allein die Wirtschaft

Einer, der sich nicht verrechnet: Adam Tooze, bekannt geworden als Kritiker Götz Alys, legt seine Studie zur Ökonomie der Nazis vor

VON RUDOLF WALTHER

Einem breiteren Publikum bekannt wurde der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze vor zwei Jahren. Er wies damals Götz Aly nach, dass dessen These, das NS-Regime sei eine „Wohlfühldiktatur“ gewesen, auf schwachen Füßen steht: Zwar ist es richtig, dass sich Hitler die Loyalität der deutschen Bevölkerung auch mit sozialstaatlichen Leistungen und geringen Steuern erkaufte, aber das ist allenfalls die halbe Wahrheit.

Das monumentale Buch von Adam Tooze zur Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus mit dem Titel „Ökonomie der Zerstörung“ liefert jetzt das Fundament seiner damaligen Kritik nach. Welche Lasten das Hitler-Regime der deutschen Bevölkerung noch vor dem Krieg zumutete, verdeutlicht eine einzige Zahl. Der Anteil des Militärhaushalts am Sozialprodukt stieg zwischen 1933 und 1938 von 1 auf 20 Prozent; 1943 flossen 76 Prozent in die Kriegswirtschaft (in Großbritannien waren es 56). Tooze zeigt, dass dies eine für Friedens- und Kriegszeiten einmalige Umverteilung von Ressourcen bedeutete. Und es war in jeder Hinsicht nur der Anfang einer beispiellosen Aufrüstung auf Kosten der Konsumbedürfnisse der Zivilbevölkerung.

Die deutsche Aufrüstung wie später die Kriegswirtschaft standen von Anfang an vor einem Dilemma: Je aggressiver sich das Regime außenpolitisch verhielt, desto mehr verstärkte es seine Isolation – gerade auch wirtschaftspolitisch. Um die für die Aufrüstung notwendigen Importe von Rohstoffen zu bezahlen, war Deutschland auf Exporte angewiesen. Wegen des Devisenmangels stellte die Reichsbank ihre Schuldenzahlungen ein, was die Exportaussichten weiter verringerte und in den USA zu Boykottaufrufen gegen deutsche Waren führte. Da die Reichsbank im Unterschied zu den amerikanischen und englischen Zentralbanken ihre Währung nicht abwertete, waren die deutschen Waren im internationalen Vergleich ohnehin zu teuer. Man bediente sich auf der deutschen Seite deshalb einer raffinierten Exportsubventionierung, was wiederum die Konkurrenten zu Gegenmaßnahmen trieb. Vor dem Krieg schwelte ein Handelskrieg. Der „neue Plan“ des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht beschränkte die Importe und führte ein rigides Devisenbewirtschaftungs- und Preisregulierungssystem ein, das 18.000 Beamte überwachten.

Aber dem unbedingten Willen zur Aufrüstung und zur Eroberung neuen „Lebensraums“ hielt diese zurückhaltende Politik der Reichsbank nicht lange stand. Schacht hielt die „expansive Machtpolitik“ und die „uferlose Ausgabenpolitik“ 1938 für abgeschlossen und musste deshalb zurücktreten. Tooze zeigt, wie es fortan Hitler und seinen Militärs mit geschicktem Taktieren gelang, die deutsche Wirtschaft für die Mobilisierung des Landes zu einer Militär- und Weltmacht zu gewinnen, obwohl die materielle Grundlage für einen solchen hybriden Anspruch fehlte. Die beschränkte wirtschaftliche Kraft erwies sich zum Beispiel darin, dass Heer, Marine und Luftwaffe wegen Mangel an Stahl und Kohle zu keinem Zeitpunkt gleich stark mit Waffen und Munition versorgt werden konnten. Hitler wollte Deutschland 1936 innerhalb von vier Jahren „zur ersten Armee der Welt“ machen. Ökonomische Zwänge setzten dem Anspruch Grenzen und spielten bei politisch-militärischen Entscheidungen eine größere Rolle, als von der Forschung bisher eingeräumt wurde. 1939 etwa stieg die Reichsschuld um 80 Prozent, die Rüstung musste drastisch gedrosselt werden.

Aus Angst, die deutsche Position im Rüstungswettlauf könnte sich verschlechtern, entschloss sich die deutsche Führung im Sommer 1939 trotz Munitions- und Waffenmangel zum Krieg gegen Polen, ein Jahr danach gegen Frankreich. „Ab 1941 arbeitet die Zeit gegen uns (USA-Potential)“ – so Generaloberst Georg Thomas, Chef der Dienststelle Wehrwirtschaft im Reichswehrministerium, im März 1940. Aus dem gleichen Grund begannen die Planungen für den Russlandfeldzug („Unternehmen Barbarossa“, 22. 6. 1941) noch während der Luftschlacht gegen England im August 1940. Aus Mangel an Rohöl und Benzin empfahl Generalmajor von Schell, der Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen, kurz vor Beginn des Russlandfeldzugs „eine gewisse Entmotorisierung der Wehrmacht“, obwohl diese noch weit von einer Motorisierung entfernt war und 700.000 Pferde für den Kriegszug nach Osten benötigte.

Trotz der triumphalen Siege über Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark und Norwegen zwischen 1938 und 1940 änderte sich die Lage in wirtschaftlicher Hinsicht nicht: Deutschland blieb angewiesen auf Rohstoffimporte (Kohle, Erze, Öl, Kautschuk, Futter- und Nahrungsmittel); Deutschland mangelte es im Krieg an zivilen Arbeitskräften, und wirtschaftlich wie militärisch war die Überlegenheit der USA und Großbritanniens drückend; Deutschland musste sogar dringend benötigten Stahl exportieren, um die Zahlungsbilanz im Lot zu halten.

Beflügelt von den frühen Siegen, entschloss sich die deutsche Führung zu einem Befreiungsschlag nach Osten. Er war motiviert von wirtschaftlichen Zielen (Rohstoffe, „Hilfsvölker“ als Arbeitskräfte, „Lebensraum“), aber auch von der rassistisch inspirierten Ideologie des „Volkstumskampfes“. Der am 22. Juni 1941 gegen die Sowjetunion begonnene Vernichtungskrieg sollte die Rote Armee mit einem Schlag kampfunfähig machen, um sich danach am „Brotkorb Ukraine“ sowie an den Erz- und Ölvorkommen bedienen zu können. Nachdem das nicht gelungen war, wurde die wirtschaftliche und militärische Unterlegenheit Deutschlands schlagartig deutlich, was zu kosmetischen Korrekturen, aber zu keiner Kursänderung führte. Der Krieg in alle Himmelsrichtungen folgte einer „konsistenten, wenn auch ‚verrückten‘ Logik“ (Tooze) der Eroberung von Rohstoffen und „Lebensraum“ sowie der Vernichtung „minderwertigen Lebens“.

Wegen der ebenso einmaligen wie brutalen Mobilisierung von Soldaten, Waffen und Munition sowie Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die Rüstungsminister Albert Speer aus Konzentrationslagern abzog und Fritz Sauckel aus ganz Europa verschleppte, hielt das Land nach der Niederlage in Stalingrad Ende Januar 1943 dem Druck von Osten und Westen noch über zwei Jahre lang stand. Tooze macht Schluss mit der Legende vom „Technokraten“ Speer und verweist auf dessen fatale Rolle bei der Verlängerung und Brutalisierung des Krieges.

Tooze lässt keinen Zweifel daran, dass dabei Hitlers Charisma und seine rabiate Ideologie vom „Volkstumskampf“ – insbesondere gegen Juden und Slawen – eine wichtige Rolle spielten. Ebenso entscheidend war jedoch, dass es „die Allianz von Regime und Privatwirtschaft“ bzw. „der brutalsten NS-Ideologen … mit den Schwergewichten aus dem deutschen Unternehmertum“ (Tooze) war, die der deutschen Kriegsmaschine jene fürchterliche Gewalt verlieh, die das Regime rücksichtslos einsetzte. Der Autor macht jedoch deutlich, dass diese Allianz nichts ändert am „Primat der Politik“ – das heißt an der Hauptverantwortung der verbrecherischen nationalsozialistischen Elite in Staat, Partei und Armee, die ihren Willen auch gegen jede wirtschaftliche Zweckmäßigkeit durchsetzte.

Ganz leicht macht es einem der Autor allerdings nicht. Seine grundlegenden Thesen sind unter einem riesigen Materialberg versteckt und seine Argumentationslinien muss der Leser mühsam aus einer Fülle von erzählenden Passagen zur Rüstungs- und Kriegsgeschichte zusammensuchen. Gelegentlich verliert sich Tooze auch in technischen Details über Panzer- oder Flugzeugtypen, die das Buch auf fast 1.000 Seiten anschwellen lassen. Da muss man sich dann durcharbeiten.

Adam Tooze: „Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus“. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Siedler Verlag, München 2007, 927 Seiten, 44 Euro