„Wir, die SPD, sind die Linke in Deutschland“

Niels Annen, Ex-Juso-Chef und SPD-Linker aus Hamburg, rät seiner Partei, nicht hysterisch auf den Erfolg der Linkspartei zu reagieren

NIELS ANNEN, 34, studierte Geschichte und Geografie, trat 1989 in die SPD ein und war von 2001 bis 2004 Vorsitzender der Jusos. Seit 2005 ist er Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel.

taz: Herr Annen, am Wochenende kochte die sozialdemokratische Volksseele über. Oskar Lafontaine hat Franz Müntefering als „Großmaul“ beschimpft. Daraufhin schossen führende Sozialdemokraten gleich reihenweise zurück. Sie bezeichneten Lafontaine als „Scheinriese“, „Luzifer“, „Helfershelfer der Taliban“. Hat die SPD ein Problem mit der Linkspartei?

Niels Annen: Ich finde die Äußerungen von Oskar Lafontaine über Franz Müntefering abstoßend. Bei allem Streit sollte er sich daran erinnern, dass Müntefering ihm als Generalsekretär loyal gedient hat. Lafontaine setzt seine Provokationen sehr berechnend ein. Das zeigt nur, dass eine Zusammenarbeit mit diesem Mann nicht möglich ist.

Die SPD hat also ein Problem mit Lafontaine – nicht mit der Linkspartei insgesamt?

Das Wort „Problem“ trifft es nicht. Natürlich ist es für uns keine schöne Entwicklung, wenn die Linkspartei wie jüngst in Bremen Erfolge erzielt. Aber wir möchten die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei zurückgewinnen. Wir konkurrieren mit dieser Partei, die sich „links“ gibt, aber gleichzeitig zulässt, dass ihr Vorsitzender von „Fremdarbeitern“ redet und Ressentiments schürt. Wir werden zeigen, dass wir die Linke in Deutschland sind.

Warum spielt die SPD dann in Bezug auf die Linkspartei nach wie vor die beleidigte Leberwurst? Als nehme die Linkspartei ihr etwas weg, das ihr und nur ihr gehöre.

Ich rate meiner Partei, auf die Linkspartei nicht hysterisch zu reagieren. Dafür gibt es keinen Grund.

Warum tut es die SPD dann?

Die Frage des Umgangs miteinander und der politischen Zusammenarbeit richtet sich meiner Meinung nach viel mehr an die Linkspartei selbst. Ist eine Partei, die Auslandseinsätze der Bundeswehr generell ablehnt, die sagt, Hartz IV muss weg, überhaupt fähig zum Regieren? Entspricht die Festlegung der Linkspartei auf Fundamentalopposition dem Wunsch ihrer Wähler?

Nehmen wir ein Beispiel heraus: den Mindestlohn. Sind da die Übereinstimmungen zwischen SPD und Linkspartei nicht größer als zwischen SPD und Union?

Ja, in diesem einen Punkt trifft das zu. Umso dringender sollten sich die Wähler der Linkspartei fragen, was bei Wahlen mit ihrer Stimme passiert. Ich bin da ganz selbstbewusst: Wer einen Mindestlohn durchsetzen will, wer für einen flexiblen Renteneinstieg ist, wer Tarifautonomie und Kündigungsschutz verteidigen möchte, wer den friedenspolitischen Kurs von Gerhard Schröder fortsetzen will – der muss die SPD stark machen. Denn eine schöne Rede im Parlament macht noch keine gerechte Politik.

Mit einer ähnlichen Strategie der Ausgrenzung hat die SPD vor dreißig Jahren eine ganze politische Generation an die Grünen verloren. Verliert die Sozialdemokratie heute ihren gesamten gewerkschaftlichen Unterbau an die Linkspartei?

Der Vergleich überzeugt mich nicht. Die Grünen haben massiv im sozialdemokratischen Milieu gewildert, wir waren darüber nicht glücklich – aber die Grünen waren wenigstens eine Bereicherung für die deutsche Politik. Sie haben mit der Ökologie eine völlig neue Frage auf die Tagesordnung gesetzt. Von der Linkspartei bin ich diesbezüglich enttäuscht.

Warum?

Sie haben die Linke konzeptionell bisher keinen Schritt weiter gebracht. Ihre Ideenlosigkeit entzaubert das Gerede von einer neuen historischen Situation für die Linke in Deutschland. Ich kenne von der Linkspartei keine einzige innovative Antwort auf die Frage, wie linke Politik in Zeiten der Globalisierung aussehen kann und wie sie umzusetzen ist. Ganz im Gegenteil, ihre Parolen werden immer holzschnittartiger. Sie berufen sich nur darauf, was in den 70er- und 80er-Jahren unter den Bedingungen einer nationalen Industriegesellschaft linker Konsens war.

Warum hat die Partei dann Erfolg?

Sie ist im Osten eine Volkspartei geblieben, und im Westen profitiert sie von der Enttäuschung über sozialdemokratisches Regierungshandeln. Umso wichtiger ist es für die SPD, dass wir der Linkspartei nicht hinterherhecheln. Wir müssen unser eigenes Profil schärfen.

Warum sind Sie nicht ganz entspannt und sagen sich: In zehn Jahren werden schwarz-grüne Bündnisse genauso selbstverständlich sein wie rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionen?

Wenn heute der Himmel einstürzte, wären alle Spatzen tot.

Sie reden nicht gern über Koalitionen mit der Linkspartei?

Ich gucke mir an, was heute ist, nicht was morgen sein wird. In Ostdeutschland sehe ich keine prinzipiellen Hindernisse für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. In Berlin arbeiten beide Parteien in einer rot-roten Koalition erfolgreich zusammen. Das ist möglich, weil in der Linkspartei im Osten die Pragmatiker überwiegen. Im Westen sind es jedoch die Dogmatiker. Ich komme aus Hamburg, wir wählen im Frühjahr 2008 – mit der Linkspartei dort sehe ich keine Perspektive für eine Zusammenarbeit. INTERVIEW: JENS KÖNIG