Zu viele gute Noten

An den Hochschulen werden zu viele Einser-Noten im Examen verteilt, kritisiert der Wissenschaftsrat. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln warnt vor einer Entwertung der Abschlüsse

VON GEORG ISMAR, DPA

Gute Noten fallen nicht vom Himmel, sagt der Volksmund. Über den Studenten an deutschen Hochschulen geht aber seit Jahren ein Feuerwerk an Einser-Examen nieder. 2005 gab es nach Angaben des Wissenschaftsrates in Köln Durchschnittsnoten von 1,51 in Biochemie, 1,54 in Biologie und Physik, 1,59 in Psychologie und von 1,67 in Philosophie. 87 Prozent der Absolventen von Sprach- und Kulturwissenschaften erhielten ein „sehr gut“ oder „gut“. Dies lässt nach Ansicht der Experten zwei Schlüsse zu: Entweder sind die Studenten überdurchschnittlich begabt oder die Noten zu gut. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln warnt vor einer Entwertung der Hochschulabschlüsse.

An der Universität Osnabrück wurde im April zwei Soziologie- Professoren die Prüfberechtigung entzogen, weil sie in mehr als 100 mündlichen Staatsexamensprüfungen seit 2003 nur eine Note kannten: 1,0. Wo gute Noten zu holen sind, spricht sich auch schnell unter den „Studis“ herum: An der Kölner Uni können sich nach Angaben von Politik-Studenten einige als großzügig bekannte Professoren vor Anmeldungen zur Examensprüfung kaum retten. Während strenger benotende Kollegen nicht so viele Prüflinge haben, kommen die angeblichen „Einsergaranten“ vor lauter Kandidaten kaum noch zum Forschen. „Es hängt aber nicht unbedingt an einzelnen Professoren, sondern an Fachbereichen“, sagt das Mitglied einer Kölner Universitäts-Fachschaft dazu.

„In zahlreichen Studiengängen wird das gesamte Notenspektrum nur unvollständig ausgeschöpft“, kritisiert auch der Wissenschaftsrat in einer jetzt vorgelegten Analyse der Prüfungsnoten an deutschen Unis und Fachhochschulen für das Jahr 2005. Das Phänomen der „Kuschelnoten“ (Süddeutsche Zeitung) ist zwar nicht neu, wird nun aber durch die 419 Seiten umfassende Expertise des Rates, der die Bundesregierung und die Länder in der Bildungspolitik berät, umfangreich bestätigt. Bemängelt wird die oft fehlende Transparenz beim Zustandekommen der Noten.

Nur bei einigen Studienfächern wie den Rechtswissenschaften mit einer Durchschnittsnote von 3,17 fällt die Notenstreuung weiter aus. Entsprechend berüchtigt ist das Fach etwa an der Uni Köln. Auch bei den Wirtschaftswissenschaften und bei Medizinern wird strenger benotet. „Der Zensurenspiegel ist sicher auch etwas nach oben gerutscht, weil Professoren sich darüber im Klaren sind, dass sie mit ihrer Benotung die Weichen für die berufliche Zukunft der Studenten stellen“, sagt Professor Holger Fischer, Vizepräsident der Universität Hamburg. Er sieht in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen eine Möglichkeit zur stärkeren Trennschärfe.

Hier würden nicht nicht nur die Noten der Abschlussprüfungen und Examensarbeiten in die Bewertung einfließen, sondern alle im Laufe des Studiums erbrachten Leistungen berücksichtigt. In der neuen Studie des Wissenschaftsrates liegen erstmals Ergebnisse für diese neuen Abschlüsse vor, die Fischers Vermutung bestätigen: 58 Prozent der Bachelor- und Masterabschlüsse wurden mit „gut“, immerhin 22 Prozent aber auch mit „befriedigend“ bewertet.

Beim Institut der deutschen Wirtschaft ist man besorgt über die anhaltende Traumnoten-Inflation: „Wenn die Abschlussnoten zunehmend an Aussagekraft verlieren, werden bei Bewerbungen Kriterien wie außeruniversitäres Engagement, Praktika und Auslandsaufenthalte immer wichtiger“, sagt der Bildungsexperte Axel Plünnecke. Deshalb würden Absolventen aus sozial schwächeren Verhältnissen, die an der Uni wirklich gut seien, aber nicht die Möglichkeit zu teuren Auslandsaufenthalten hätten, durch allgemein zu gute Noten eher benachteiligt.