Psychosekte muss sich testen lassen

Der Berliner Verfassungsschutz wird die selbsterklärte Religionsgemeinschaft Scientology erneut beobachten. Innensenator Körting hält ihre Aktivitäten für unvereinbar mit Menschenwürde und Grundgesetz. Scientology-Sprecherin: „Reiner Unfug“

Die Kontroverse über Wesen und Ziel von Scientology wogt seit Jahrzehnten. 1970 entstand die erste deutsche Niederlassung in München. Seither sind hierzulande laut Berlins Verfassungsschutz zehn „Kirchen“ und 14 „Missionen“ entstanden. Die Niederlassung in Berlin firmiert als Verein, doch den Anspruch auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft erhalten die Scientologen aufrecht. Kritiker sehen in der weltweiten Organisation mit Hauptsitz im kalifornischen Los Angeles und Europazentrale in Kopenhagen ein profitorientiertes Unternehmen. Im November 2004 erklärte es das Kölner Verwaltungsgericht für zulässig, Scientology vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachten zu lassen. In ihrer Begründung zitierten die Richter Schreiben des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard, in denen er von Nichtmitgliedern als „Freiwild“ sprach sowie von „nutzlosen“ und „wertlosen“ 5 bis 10 Prozent der Menschen, die es auszusondern gelte. MLO

VON MATTHIAS LOHRE

Sie gaben sich wirklich alle Mühe, mysteriös zu wirken, die Mitglieder und Gäste des Verfassungsschutzausschusses. Bevor Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern die Parlamentarier über seine Erkenntnisse in Sachen Scientology informierte, mussten Besucher und Journalisten den Saal verlassen. Selbst als sich die Türen eine Viertelstunde später wieder öffneten, sprach niemand das Offensichtliche aus. Doch das beredte Schweigen verriet: Berlins Verfassungsschutz wird Scientology erneut beobachten.

Im öffentlichen Sitzungsteil hatte Körting erklärt: „Die in Berlin stattfindenden Aktivitäten zeigen, dass Scientology jetzt auch wieder in Berlin aktiv für eine Gesellschaft werben will, die mit unseren Vorstellungen der Menschenwürde und der Gleichheit aller Bürger nicht vereinbar ist.“ Die Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard offenbarten eine Geisteshaltung, die „mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, mit der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen und damit mit unserer verfassungsmäßigen Ordnung“ nicht vereinbar sei. Kurz: Eine Überwachung ist nötig.

Körting und die ihm unterstellte Leiterin des Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, wollten sich aus juristischen Gründen nicht äußern. Schmid begründete das mit „grundsätzlichen Erwägungen“. An dieses Schweigegelübde hielten sich die Ausschussmitglieder aller fünf Fraktionen. Grünen-Ausschussmitglied Dirk Behrendt äußerte sich noch am klarsten: „Ich halte eine Überwachung von Scientology nach wie vor für falsch.“

Anfang des Jahres hatte die umstrittene Organisation eine prächtige Hauptstadtrepräsentanz an der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg eröffnet. Seither wirbt die selbsterklärte Kirche verstärkt um Mitglieder und Kursteilnehmer. Vor wenigen Wochen eröffnete eine Filiale am Kurfürstendamm.

Nach zwei Urteilen des Berliner Verwaltungsgerichts hatte der hiesige Verfassungsschutz 2003 die 1997 bundesweit begonnene Beobachtung eingestellt. Die Behörde hatte keine verfassungsfeindlichen Taten in Berlin festgestellt.

Im Publikum des Ausschusses saß gestern auch die Vizepräsidentin von Scientology Deutschland, Sabine Weber. Sie wehrte sich gegen Körtings Urteil, Hubbards Lehren teilten Menschen in „höherwertige“ Scientologen und „minderwertige“ Ungläubige ein. „Das ist reiner Unfug“, sagte Weber. „Die Überwachung ist ein Diskriminierungsinstrument. Es geht um die Stigmatisierung unserer religiösen Gemeinschaft.“

In Deutschland ist Scientology nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt – anders als in den USA. Die 1954 vom Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gegründete Gemeinschaft zählt nach eigenen Angaben deutschlandweit 30.000 Mitglieder, der Verfassungsschutz schätzt ihre Zahl auf 5.000 bis 6.000. Der Bundesverfassungsschutz überwacht die Organisation seit Jahren, auch die Verfassungsschützer in Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern bewerten die Absichten von Scientology als verfassungswidrig.

Die Scientology-Lehre führt laut Bundesfamilienministerium „häufig zu psychischer und finanzieller Abhängigkeit“. Scientology-Mitarbeiter benutzen demnach bei den Behandlungen im Zweiergespräch – dem sogenannten Auditing – eine psychologische Technik, die nach Ansicht von Sektenbeauftragten manipulierbar macht. Mit zunehmender Abhängigkeit verlangt Scientology nach Berichten von Aussteigern für verschiedene Kurse immer mehr Geld.