So schnell kann’s daneben gehen

Die Lübecker wollten keine Klappbrücke mehr, also bauten sie einen Tunnel. Den fürchten die Fußgänger, also braucht es einen Shuttle. Der ist teuer, also steigt die Maut. Abhilfe schafft eine Brücke, die dem Tunnel Autos klaut – die Maut wird weiter steigen

Weil Bund, Länder und Gemeinden mit dem Ausbau der Straßen nicht hinterherkommen, denken sie immer öfter darüber nach, Privatleute an der Finanzierung zu beteiligen. Mit 200 Millionen Euro haben sich Investoren am Bau des vor dreieinhalb Jahren eröffneten Wesertunnels beteiligt. Auf eine Maut von zwei Euro, von der zunächst die Rede war, wurde am Ende verzichtet. Der Hamburger Senat tüftelt seit Jahren mit der Wirtschaft an einer Public-Private-Partnership (PPP), um die LKW-Staus im boomenden Hafen aufzulösen. Eine Mautfinanzierte Lösung ist für eine zusätzliche vierspurige Verbindung zwischen der A 1 und der A 7 quer durch den Hafen im Gespräch.  KNÖ

VON ARMIN SIMON

Der Mann am Steuer ist nicht unglücklich über seinen Job. Zehn Minuten lässt er die Sonne durch die Scheibe scheinen, dann legt er das Buch zur Seite, schließt die Türen und fährt los. Kurve, Schranke, Rampe runter, Rampe rauf. Gleich hinter dem Tunnelausgang geht’s rechts ab, ein Schlenker noch auf die andere Straßenseite, dann heißt es: Endstation. Bis zu 50 Touren fährt der Mann am Tag.

Der Shuttle durch den Herrentunnel unter der Trave ist Lübecks kürzeste Buslinie. Eingeweiht wurde sie 2005. Da fiel die alte Klappbrücke, die Autos, FußgängerInnen und RadfahrerInnen bis dato über den Fluss geleitet hatte, dem Abrissbagger zum Opfer. So richtig traurig war niemand: Man hatte ja den Tunnel, „ein Jahrhundertbauwerk“.

Heute ist auf die Doppelröhre im Lübecker Norden öffentlich niemand mehr gut zu sprechen. Von einem „Pleiten, Pech- und Pannen-Tunnel“ spricht die CDU, die das Projekt einst maßgeblich mit angestoßen hatte, der SPD-Ortsverein Trave-Nord hofft ganz unverblümt auf baldigen Konkurs der Tunnel-Betriebsgesellschaft. Selbst die FDP geht auf Distanz: „Ob man sich mit den heutigen Kenntnissen damals auch für einen Maut-Tunnel entschieden hätte, daran habe ich meine Zweifel“, verkündet sie.

Ende der 90er Jahre zählten sich die LübeckerInnen wegen der Klappbrücke, die bei großen Schiffen zu Staus auf der B 75 führte, zu den verkehrlich Benachteiligten der Republik. Die Brücke war marode, der Verkehr nach dem Fall der Mauer stark angestiegen. Ein „Public-Private-Partnership“ zum Bau eines mautfinanzierten Tunnels kam da gerade recht.

Die Renovierung der Brücke lohne nicht, hieß es auf einmal, der Tunnel galt als profitables Geschäft. Manch ein Ratsherren habe am Straßenrand gestanden und Autos gezählt. Von über 40.000 Fahrzeugen täglich war die Rede. Die Mautstationen vor den Tunnelöffnungen sind groß wie halbe Fußballfelder.

„Zu positiv, zu optimistisch“ seien die Prognosen gewesen, sagt Michael Ahrens heute. Er ist Marketing-Chef der Herrentunnel Lübeck GmbH & Co. KG, die den Tunnel betreibt. Und er muss rechtfertigen, warum die Maut zum zweiten Mal seit Einweihung der Röhre steigen soll: auf nunmehr 1,20 Euro.

Ahrens zitiert dafür eine simple Rechnung aus dem Konzessionsvertrag: Die Maut berechne sich aus den anfallenden Kosten geteilt durch die Anzahl der Fahrzeuge. Wobei der rekursive Effekt nicht unbeachtet bleiben darf: je höher die Maut, desto weniger Autos im Tunnel. 20.500 sind es derzeit noch.

Die Aufregung der Lübecker Politiker über die angebliche „Abzocke“ im Tunnel kann Ahrens daher nicht verstehen. Es seien schließlich ihre Entscheidung gewesen, im Norden der Altstadt eine weitere, leistungsfähige Brücke über die Trave zu schlagen. Mit Inbetriebnahme der so genannten Nordtangente wird das Fahrzeugaufkommen im Tunnel um weitere zehn bis 15 Prozent sinken. Die Baukonzerne, Gesellschafter des Tunnels, haben ihn längst abgeschrieben.

Auch Vorschläge zur Kostenreduktion hat die Gesellschaft gemacht: Eine von vier Spuren soll für Fußgänger und Radfahrer reserviert werden. Sorge um seinen Job macht sich der Busfahrer trotzdem nicht: Kein Mensch wolle 800 Meter durch den Tunnel laufen, bei sechs Prozent Steigung blieben so manche auf der Strecke. Die Stadt lehnte dankend ab. Mit der Tunnelgesellschaft streitet sie vor Gericht: Weil die jetzt Maut von den städtischen Linienbussen kassieren will.

Von Insolvenz, sagt Ahlers, könne keine Rede sein. Käme sie doch, könnte der Tunnel an die Stadt zurückfallen. Dann blieben die Betriebskosten inklusive Shuttle an ihr hängen: der Bund hatte ihr beim Tunnelbau die Straßenlast übertragen. „Herrentunnel – so schnell kann’s gehen“, werben große Plakate. Es kann auch schnell daneben gehen.