Das Elbtal ist nicht absolut geschützt

Bundesverfassungsgericht lehnt Klage der Stadt Dresden gegen den sofortigen Bau der Waldschlösschenbrücke ab. Ende Juni will die Unesco über den Status als Weltkulturerbe entscheiden. Land beginnt mit Auftragsvergabe für Brückenbau

VON CHRISTIAN RATH

Die Waldschlösschenbrücke in Dresden kann gebaut werden, selbst wenn dann dem Elbtal die Aberkennung des Status als Weltkulturerbe droht. Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts lehnte jetzt eine Verfassungsbeschwerde der Stadt Dresden ab, die mehr Zeit für Verhandlungen mit der Unesco gefordert hat.

Auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes finden sich 32 Orte in Deutschland – vom Kölner Dom bis zur Zeche Zollverein in Essen. 2004 wurde auch das Elbtal bei Dresden aufgenommen. Doch dort plant die Stadt seit 1996 eine neue Elbquerung, die Waldschlösschenbrücke. Bei einem Bürgerentscheid sprach sich die Bevölkerung im Februar 2005 mit rund 68 Prozent für den Bau der Brücke aus. Für die Bürger unerwartet setzte die Unesco daraufhin jedoch das Elbtal auf die rote Liste des „besonders bedrohten“ Kulturerbes.

Seitdem versuchte die erschrockene Stadt, die um ihr weltweites Ansehen fürchtet, Zeit zu gewinnen, und gab neue Entwürfe für die Brücke in Auftrag. Doch das Land Sachsen fordert als Kommunalaufsicht die Umsetzung des Bürgerentscheids, der bindend sei. Im März entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen in einem Eilverfahren, dass die Stadt sofort mit der Vergabe der Brückenaufträge beginnen muss. Gegen diese Entscheidung erhob die Stadt Dresden Verfassungsbeschwerde. Ohne Erfolg.

Karlsruhe zweifelte schon an der Klageberechtigung der Kommune. Schließlich sei das Selbstverwaltungsrecht der Stadt nicht bedroht, wenn die Kommunalaufsicht die Umsetzung eines Bürgerentscheids sicherstelle. Zugleich machten die Verfassungsrichter gestern aber auch klar, dass das OVG in seiner Eilabwägung zulässigerweise dem Bürgerentscheid Vorrang vor den Wünschen der Unesco eingeräumt hat.

Die Unesco-Liste beruht auf dem Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972. Ob es sich dabei um innerstaatlich bindendes Recht handelt, ist zweifelhaft, weil der Vertrag nie per Gesetz in deutsches Recht umgesetzt wurde. Karlsruhe ließ dies nun offen, weil das Übereinkommen schon seinem Inhalt nach „keinen absoluten Schutz gegen jede Veränderung“ vorsehe. Es werde nur ein System der Zusammenarbeit und Hilfe errichtet, das die Nationalstaaten beim Schutz des Weltkulturerbes „unterstützen“ soll. Im Klartext heißt dies: Per Bürgerentscheid können durchaus Veränderungen beschlossen werden, die dem Status als Weltkulturerbe schaden. Als Folge muss jedoch die mögliche Aberkennung des Welterbe-Status in Kauf genommen werden. Die Unesco stellt also keine gesetzliche Veränderungssperre, sondern nur einen Anreiz zur Bewahrung oder behutsamen Fortentwicklung des Status quo dar.

Das Verfassungsgericht verlangte nur, dass zumindest Kompromissversuche unternommen werden. Das hatte allerdings auch das OVG akzeptiert und das Verfahren mehrere Monate ausgesetzt. Als sich bis zum Frühjahr keine Einigung abzeichnete, hielt das OVG jedoch weiteres Zuwarten nicht für zulässig, weil die Verbindlichkeit des Bürgerentscheids laut Gesetz im Februar 2008 endet. Auch das Bundesverfassungsgericht räumte der Stadt Dresden nun keine neue Frist ein.

Inzwischen hat das Land mit der Vergabe von Aufträgen für den Brückenbau begonnen. Dennoch will der Dresdener Stadtrat nächste Woche Alternativentwürfe für die Waldschlösschenbrücke diskutieren. Diese sollen dann der Unesco vorgelegt werden. Das Komitee will Ende Juni über die Aberkennung des Kulturerbe-Status für das Elbtal entscheiden.

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