kein präsident frankreichs war je so mächtig wie jetzt sarkozy
: Nicolas I.

Der französische Präsident hält alle Fäden in der Hand. Er bestimmt die Außenpolitik. Er entscheidet über Krieg und Frieden, atomare Einsätze inklusive. Er überwacht die Justiz. Er besetzt den Verfassungsrat, die Rundfunkaufsicht und die Ministerien. Und er kann nach Gusto den Regierungschef auswechseln.

Die extreme Konzentration von Macht in den Händen einer einzelnen Person ist in der französischen Verfassung aus dem Jahr 1958 festgelegt. Schon damals, auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs, als Generäle einen Putsch vorbereiteten, war offensichtlich, dass es kein Text für eine parlamentarische Demokratie war, sondern für eine republikanische Monarchie auf Zeit. Das Mehrheitswahlrecht, das dazu führt, dass große Teile der WählerInnen überhaupt keine Vertretung im Parlament haben, und repressive Regeln für die parlamentarischen Alltagsgeschäfte – wie der Artikel 49.3, mit dem die Regierung störende parlamentarische Debatten abbrechen darf – schwächen den Parlamentarismus zusätzlich.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Algerienkrieg haben fast alle AnwärterInnen auf das französische Präsidentenamt eine radikale Reform der Verfassung versprochen. Alle, außer Sarkozy. Unter dem Vorwand, die „Janusköpfigkeit“ von Regierungschef und Präsident sei lähmend, will er die Macht des Präsidenten, die schon jetzt im europäischen Vergleich einmalig ist, noch weiter ausbauen. Auf Kosten von Regierung und Parlament.

Sämtliche Präsidenten der V. Republik haben die Vollmachten ihres Amtes exzessiv genutzt. Doch unter Sarkozy driftet das Präsidentialsystem jetzt einem neuen, absurden Höhepunkt entgegen: mit einem Präsidenten, der frei ist von jeder institutionellen Kontrolle und jeglichem Gegengewicht. Dem bislang einzigen sozialistischen Präsidenten Mitterrand stand, selbst als dieser sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befand, immer noch der Senat gegenüber, die zweite parlamentarische Kammer, die mehrheitlich rechts besetzt war. Zu Zeiten rechter Präsidenten – von de Gaulle bis zu Chirac – herrschte zahlenmäßig und politisch immer eine starke linke Opposition seitens der Sozialisten und der Kommunisten vor. Aber nach den Parlamentswahlen, die morgen und am folgenden Sonntag stattfinden werden, wird es in beiden Kammern des Parlamentes nur noch absolute rechte Mehrheiten geben, in einer nie zuvor da gewesenen Stärke dazu. Ihnen gegenüber wird eine Opposition stehen, die zahlenmäßig geschwächt und institutionell ohnmächtig und daher politisch zahnlos sein wird.

Für diese Situation hat nicht nur Chirac gesorgt, der das Quinquennat – die fünfjährige Amtszeit – eingeführt hat. Sondern auch der frühere sozialdemokratische Regierungschef Jospin, der durchsetzte, dass die Parlamentswahlen unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen – statt gleichzeitig oder zeitlich entzerrt – stattfinden. Diese Abfolge führt unweigerlich dazu, dass die Mehrheit des soeben gewählten Präsidenten bei den Parlamentswahlen noch weiter gestärkt wird.

In der aktuellen politischen Konjunktur stärken zwei Aspekte Sarkozys Macht noch zusätzlich: Einerseits stehen die sozialen Bewegungen in Frankreich derzeit mit dem Rücken zur Wand; auch die Gewerkschaften sind so schwach wie nie zuvor. Andererseits befindet sich die Mehrheit der französischen Medien – ob gedruckt oder gesendet – in den Händen von Industriellen und Finanziers, die Sarkozy politisch nahe stehen.

Damit sind alle Konditionen erfüllt, um die Nationalversammlung zu einer reinen Schattenexistenz zu verdammen. Den 577 Abgeordneten unter Nicolas I. kommt die Rolle einer Abwink-Kammer zu. Sie dürfen ihren Präsidenten nicht kontrollieren. Ihre Regierung wird noch weniger Einfluss haben. Und ihre Debatten, so sie überhaupt zustande kommen, können jederzeit abgewürgt werden. In den nächsten fünf Jahren wird die französische Politik also noch stärker als bisher an einem einzigen Ort gemacht werden: im Élysée-Palast, wo Sarkozy nun der absolute Patron ist.

Als Gegengewicht zur Regierung, die er öffentlichkeitswirksam auch mit linken und zentristischen Wendehälsen bestückte, hat Sarkozy das Kabinett im Élysée-Palast um Männer erweitert, die aus dem Hintergrund die Regierungsgeschäfte überwachen. Eine Rechenschaft ist Sarkozy niemandem außer seinen WählerInnen schuldig. Und mit ihnen ist das nächste Rendezvous erst wieder in fünf Jahren anberaumt. DOROTHEA HAHN