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: Linguisten helfen ausländischen Fußballern

Didaktische Sonderfälle

Von Berlins Mittelfeldstar Marcelinho wurde letzte Saison berichtet, er habe auf einer Feier des Vereins einen Redebeitrag halten sollen. „Sag, wie es dir in Berlin gefällt“, hatte ihm wohl ein Kollege geraten, bevor der Brasilianer ans Mikrofon gegangen war und „Wie es dir in Berlin gefällt“ in die ratlose Festgesellschaft sprach. Für Lacher war gesorgt, doch ob es auch Marcelinho (Foto: Reuters) lustig fand? Eher nicht.

Und wer sich sprachlich in seiner Umgebung nicht wohl fühlt, der bringt auch auf dem Platz keine Höchstleistung – glaubt jedenfalls der Dortmunder Linguist Uwe Wiemann. „Sprache, Integration und Arbeit hängen ja zusammen“, sagt er. Doch darum kümmere man sich bei den Vereinen zu wenig. Wiemann: „In der Bundesliga gibt man Millionen für Spieler aus, aber an der Sprache wird gespart.“ Wie könne es sonst sein, dass Lizarazu nach vier Jahren in Bayern immer noch kein Deutsch spricht? Und dass Sammer seine Anweisungen lange via Dolmetscher an Evanilson weiterbrüllen lassen musste?

Um die pädagogische Lücke etwas zu schließen, entwickelt Wiemann derzeit mit zwei Kollegen ein Sprachlehrbuch für Fußballprofis. Den Praxistest übernehmen dabei die ausländischen Spieler von Bayer Leverkusen und deren Betreuer Frank Ditgens. So haben die Linguisten bereits Feedback von Lucio, Franca, Placente und Juan bekommen: „Die Spieler hatten sehr viel Spaß damit“, freut sich Uwe Wiemann.

Das ist keineswegs selbstverständlich, sagt er, denn hoch bezahlte Stars seien didaktische Sonderfälle und müssten mit den richtigen Themen an Deutsch herangeführt werden. Das richtige Thema: Fußball. Das falsche: Haushalt. „Man kann Fußballern, die fürs Lernen ohnehin wenig motiviert sind, nicht mit Sockenstopfen kommen“, sagt Wiemann. Von den gängigen Lehrmaterialien hatte dann auch Lucio irgendwann genug – er wollte sich nicht mehr von den Kollegen auslachen lassen, wenn er über Näharbeiten radebrechte.

„Klar“, meint Spielerbetreuer Frank Ditgens, der ähnliche Erfahrungen auch mit Zé Roberto oder Emerson gemacht hat: „Die schalten ab, wenn gleich auf der zweiten Seite die Waschmaschine oder der Supermarkt kommt.“ Zudem seien die Geschlechterrollen bei Südamerikanern noch traditionell verteilt. „Einkaufen geht ja nicht der Lucio, das macht seine Frau“, sagt Uwe Wiemann.

Darum dreht sich sein Lehrbuch um die Arbeit des Mannes. Symbolisch haben die Dortmunder den Stoff in 17 Kapitel unterteilt, eines für jedes Spiel der Hinrunde. Darin stehen „nur Dinge, die die Spieler in der Praxis anwenden können“. Der Grundwortschatz für die Begegnung in der Kabine: „Wo ist mein Spind?“ Das erste Training: „Gib mir ein Leibchen.“ Sich vorzustellen, üben die Spieler anhand von Autogrammkarten: „Ich heiße Diego Placente. Ich bin 25 Jahre alt.“ Die Zahlen von eins bis 20 werden wiederum über Rückennummern gepaukt: „Welche Nummer trägt Paolo Maldini? – Paolo Maldini trägt die Nummer 3. Er kommt aus Italien“.

Mit Präposition und Präteritum hält sich das Buch nicht auf, reduzierte „Sprintgrammatik“ ist angesagt. „Wir wollen die Spieler ja nicht abschrecken“, sagt Uwe Wiemann über seinen Crashkurs. Dafür bekommen Leverkusens Profis anhand der verschiedenen Bundesligavereine noch etwas Geografie vermittelt, und auch deutsche Geschichte steht auf dem Programm, natürlich zielgruppenorientiert: Sepp Herberger ist drin, Konrad Adenauer fehlt.

Angeblich kommt das Konzept an: „Das Buch ist eine Riesenchance, besser an die Spieler ranzukommen“, glaubt Spielerbetreuer Ditgens. Und auch Lucio sei jetzt wieder beim Unterricht dabei. „Der wurde dadurch ganz neu motiviert“, hat Uwe Wiemann festgestellt. Wenn das Werk gegen Jahresende fertig ist, sollen auch andere Vereine davon profitieren, von Schalke, Rostock und Nürnberg habe sich schon jemand gemeldet. Von Hertha BSC noch nicht. Ausgerechnet! „Alle Spieler müssen Deutsch können“, hatte Berlins holländischer Trainer Huub Stevens letztes Jahr gefordert. Indes: Sein Verein könnte Großabnehmer werden – und der Erfolg bei der nächsten Vereinsfeier hörbar: „Ich heiße Marcelinho und in Berlin gefällt es mir sehr gut.“ JENS KITZLER