Der Indianer aus dem Wendland

Joachim Irmer geht den „indianischen Weg“. In der Nähe von Lüneburg hat er ein Seminarhaus gegründet mit Schwitzhütte und Tipis. 13-mal war er beim Sonnentanz dabei, der heiligsten Zeremonie der US-amerikanischen Lakota

VON GUNDA SCHWANTJE

Orangerot glühen sie, die Feldsteine, und sie leuchten, denn sie sind umschlungen von Pechschwarz. Die Wärme, die von den Steinen ausgeht, ist sanft, ist angenehm. Es riecht nach Erde, nach Zedern, nach Salbei. Als der Wassergießer nachschöpft, wird es heiß. Nun spürt man die Enge, denn wir sitzen Schulter an Schulter, die Steine in unserer Mitte. Trommeln dröhnen und der Wassergießer singt, singt in Lakota, der Sprache dieses Stammes, auch Sioux genannt. Wer kann, singt mit, und die alten Lieder kennen fast alle der in diesem Kreis versammelten. Mehr Wasser kommt auf die Steine, es dampft, die Hitze wird unerträglich. Manche neigen tief den Kopf hinunter, suchen die Kühle des Erdbodens auf. Noch ein Gebet, eine Danksagung für Mutter Erde, dann der Ruf „Mitakuye Oyasin“, das Zeichen an die Feuerfrauen. Sofort ziehen sie die Lasche hoch. Kühle Nachtluft strömt in die Schwitzhütte.

„Mitakuye Oyasin – für alle meine Verwandten“, sagen die Lakota als Segnung aller Lebewesen, also: „Mensch, Tier, Pflanze, Stein“, erklärt Joachim Irmer, der die Schwitzhütte leitet, und er sagt: „Indianer fühlen sich mit allem, was lebt, verbunden.“ Respekt vor der Erde, die sie „Mutter Erde“ nennen, Liebe zur Natur und mit ihr in Einklang stehen ist die indianische Vorstellung vom Dasein, und in diese Tradition stellt sich Joachim Irmer. Er geht den „indianischen Weg“ und er hat ein „Reservat“ im Wendland. Gemeinsam mit seiner Frau Kirsten bewohnt er seit 1997 ein Anwesen in Dübbekold, abgelegen, am Rande des Naturparks Elbufer-Drawehn. „Wir haben einen Ort geschaffen für Zeremonien, einen Ort, an dem wir und andere lehren und lernen können“, sagt Joachim Irmer. In den Tipis, dem Tagungshaus und den Ferienwohnungen treffen sich Gleichgesinnte des hiesigen „Indianerclans“, hier werden Seminare gehalten, Urlauber kommen und indianische Lehrer.

Joachim Irmer, geboren 1955 in Hamburg, hat lange gesucht, bis er seinen Platz gefunden hat. Seine Biografie geht verkürzt etwa so: Nach einer Lehre als Schmied sattelte er um auf Kaufmann, gründete 1987 einen Bioladen und ging bankrott. Er war verheiratet, ein Sohn wurde geboren, starb nach 13 Monaten und mit dem Kind die Ehe, noch bevor die Tochter zur Welt kam. Sein Scheitern, den Verlust, den Schmerz betäubte Irmer mit Alkohol. Dann baute er Häuser mit niedrigem Energiebedarf und verdiente viel Geld. Sinn jedoch macht sein Leben ihm nicht. Bis 1989. Seine Wende kam in Gestalt eines Indianers, des Medizinmannes Archie Fire Lame Deer, ein reisender Lakota der Rosebud Reservation, South Dakota, USA. Es sollte eine Begegnung werden unter engen Verwandten. „Archie war eine charismatische Persönlichkeit“, erinnert Irmer. Vielleicht glichen sie einander ein wenig, denn der Lakota kannte die rauen Pfade des Lebens aus einer harten Existenz am äußersten Rand zweier Kulturen (der indianischen und US-amerikanischen), versetzt mit Alkohol und Gewalt. Erst der Tod des Vaters hatte Lame Deer (da war er über 40) zu seinen Wurzeln geführt und er wurde, wie seine Ahnen, Medizinmann. In ihm wiederum fand Joachim Irmer seinen Lehrer, in den Schwitzhütten Gemeinschaft und Inspiration, in der indianischen Lebensweise Sinn und Orientierung.

„Man muss den Geist klären, um die Botschaften zu empfangen und zu erkennen, die für das eigene Leben bedeutend sind“, sagt Irmer und sein Gesicht erzählt von Wetter und Wind. Bald nach der Begegnung mit dem Lakota ging er auf eine Visionssuche. „Vier Tage und vier Nächte allein in der Natur sein, ohne zu essen und zu trinken“, beschreibt er das Ritual. „Ich gebe meinem Körper nichts, was ihn ablenkt.“ So kann man auf Empfang umstellen, so kommt einem vielleicht eine Vision zu. Joachim Irmer hatte eine, er wollte Schwitzhütten leiten, er wollte in diese uralte Reinigungs- und Heilungszeremonie eingeweiht werden. Nun hieß es zuhören, sich bewähren, mindestens viermal den Sonnentanz tanzen, die heiligste Zeremonie der Lakota.

13-mal war Irmer dabei – mit Archie Fire Lame Deer auf der Rosebud Reservation, nach dessen Tod mit seinem neuen Lehrer Chief Morris Crow Last Tail Feathers, ein Blackfoot, im Stand-Off-Reservat in Alberta, Kanada, 13-mal hat er Schmerz, Durst, Hunger und Erschöpfung aufgesucht. Tanzen von Sonnenauf- bis -untergang und nichts zu sich nehmen vier Tage und Nächte: So initiiert man Grenzerfahrungen in der gnadenlosen Hitze der Plains, eine Chance für Einsichten, eine Qual, verstärkt durch ein Piercing; Joachim Irmer hat „enorme Kraft“ erfahren und einen „engen Zusammenhalt unter den Sonnentänzern“.

Für seine indianischen Gefährten ist Joachim Irmers Bekenntnis zu ihrer Kultur längst überzeugend. Blackfoot haben ihn in den Rang eines bishop erhoben, eines spirituellen Würdenträgers. Lakota ehren ihn mit dem Namen Naa Too Woot Tamis Soo, was ins Deutsche übertragen bedeutet: „Heiliger Mann kommt über die Hügel“. Er weiß Bescheid über Tiere, Pflanzen, Bäume, Kreisläufe, über Naturrituale, und er lehrt sein Wissen mit derselben gehörigen Portion Selbstironie und Humor, wie sie Indianern oft zu Eigen ist.

Dübbekold Seminar- und Ferienhaus, Kirsten und Joe Irmer, OT Dübbekold 2, 29473 Göhrde, Tel. (0 58 55) 97 99 07, www.duebbekold.de