Fir Fridden a Beschäftegung!

In Luxemburg hört man keineswegs nur Radio. Die kommunistische „Zeitung Vum Letzebuerger Vollek“ hält weiter die Fahne hoch und wirbt für die Unterstützung revolutionärer Kräfte in aller Welt

Wenn nichts mehr geht, greift man in alter Tradition zur Sammelbüchse

AUS LUXEMBURG MARTIN REICHERT

Die Gemälde sind ein bisschen zu groß geraten für den kleinen Konferenzraum: Lenin in Öl, ein Geschenk der Kommunistischen Partei Luxemburgs, blickt gestreng. Marx und Engels hinter Glas sind im Exil, sie hingen dereinst in der Botschaft der DDR in Budapest. Redakteur Uli Brockmeyer, ebenfalls einst DDR-Bürger und bis 2005 freier Ungarn-Korrespondent, hatte sie 1989 gerettet. Im wiedervereinigten Deutschland wollte der ehemalige FDJ-Funktionär aber nicht mehr leben – und betreut jetzt, knapp 40 Kilometer von der BRD-Grenze entfernt, bei der Zeitung Vum Letzebuerger Vollek (Zeitung des Luxemburger Volkes) die Auslandsredaktion.

Die Redaktion liegt im bürgerlichen Viertel Belleville, etwas am Rande der Stadt Luxemburg, Kapitale des einzigen Großherzogtums der Welt: Luxemburg, rund 475.000 Einwohner – Ausländeranteil: 39 Prozent – mit einer Fläche von 2.586 Quadratkilometern hinter Malta der zweitkleinste Staat der EU und definitiv kleinster Bestandteil der Beneluxstaaten. Hier spricht man „Letzeburgisch“, eine Mixtur aus Moselfränkisch und Französisch – und ist tendenziell so wohlhabend, dass man es sich leisten kann, den Rehen und Wildschweinen Brücken über die 125 Kilometer luxemburgischer Autobahn zu bauen. Auch, damit sie nicht von den zahlreichen Steuerflüchtlingen aus Deutschland überfahren werden, die auf dem Weg sind, Bargeld zu einer der zahlreichen Luxemburger Banken zu bringen.

Oder auf dem Weg zur Arbeit: In Luxemburg arbeiten über 130.000 „Grenzgänger“ – dies übersteigt die Zahl der einheimischen Arbeitnehmer bei weitem. Die Arbeitslosenquote von rund 4 Prozent dürfte deutschen Politikern Tränen in die Augen treiben. Doch der Strukturwandel, weg von der Industrie hin zur Dienstleistungsgesellschaft, betrifft vor allem die „Schaffenden“, also die traditionelle Leserschaft des Vollek. Waren bis zur Stahlkrise noch rund 30.000 Menschen in der luxemburgischen Stahlindustrie, sind es heute nur noch 5.000: „Das ist eine große Gefahr für das Land“, sagt Gilbert Simonelli, stellvertretender Chefredakteur beim Vollek.

Und auch eine Gefahr für ein Blatt, das in der Tradition der Arbeiterbewegung steht. Immerhin: Der Lesernachwuchs rekrutiert sich laut Simonelli hauptsächlich aus jungen Akademikern, die eine Zeitung lesen möchten, die „für Verständnis und Unterstützung für die Kämpfe revolutionärer Kräfte in der Welt wirbt und die gesellschaftlichen Alternativen der Kommunisten propagiert“. Eigentümer des Blatts ist die gerade einmal 450 Mitglieder starke Kommunistische Partei Luxemburgs, die zuletzt vor acht Jahren im Parlament vertreten war. 7.500 Exemplare werden täglich abgesetzt, davon ein Viertel am Kiosk – für wohlfeile 70 Cent bei 20 Seiten Umfang. Ein paar Abonnenten gibt es auch in Deutschland, allerdings müssen sie das Porto selbst übernehmen, wenn sie den authentisch-kommunistischen Sound aus Luxemburg konsumieren möchten.

Das Überleben der Zeitung mit ihren sieben Redakteuren und zwölf weiteren Angestellten ist dennoch vorerst gesichert: Die Anzeigen und öffentlichen Mitteilungen von Staat und Gemeinden füllen problemlos das hintere Buch. Und mag auch die Privatwirtschaft keine Anzeigen schalten: Wie alle Luxemburger Blätter kommt auch das kommunistische Vollek in den Genuss der staatlichen Presseförderung, die rund ein Drittel des Etats sichert. Wenn gar nichts mehr geht, wird in alter Tradition die Sammelbüchse herumgetragen.

Nur die eigene Druckerei ist mittlerweile eine kapitalistische Aktiengesellschaft – aus fiskalischen Gründen. Längst vorbei die Zeit der indirekten Subventionen aus der DDR. Noch bis Ende der 80er-Jahre kamen aus Ostberlin regelmäßig Druckaufträge für DDR-Schulbücher. Eine Parteizeitung ist für luxemburgische Verhältnisse nichts Ungewöhnliches: Das Tagblatt gehört den Sozialdemokraten, das Journal den Liberalen – und die größte Tageszeitung, Luxemburger Wort, den Christdemokraten sowie der katholischen Kirche. „Im Gegensatz zu Deutschland sind diese Strukturen bei uns in Luxemburg offen“, sagt Simonelli lächelnd.

Die meisten Titel der luxemburgischen Presse erscheinen in mehreren Sprachen: in Hochdeutsch, Französisch und Luxemburgisch. Das Vollek hat sogar eine regelmäßige Seite auf Italienisch, den Einwanderern zuliebe. Nur mit der Ausgabe für die rund 60.000 Portugiesen im Land klappt es im Moment aus organisatorischen Gründen nicht. Dafür spricht man im Layout ausschließlich französisch, der Nachwuchsredakteur Oliver Wagner wohnt dagegen im nahe gelegenen Karl-Marx-Geburtsort Trier, und die gute Seele des Hauses am Empfang ist eigentlich ein Import von der Saar: Sie spricht luxemburgisch mit deutschem Akzent.

Inhaltlich versucht das Blatt, die Probleme der umliegenden belgisch-französisch-deutschen Grenzregion im Blick zu halten – „Früher oder später kommen die auch zu uns“, sagt Simonelli. Denn auch das Großherzogtum ist vom Sozialabbau betroffen, der Staat will 400 Millionen Euro einsparen und schraubt an den indexgebundenen Löhnen herum. Die Pflegeversicherung ist bereits teurer geworden: „Alles einseitig zulasten der Arbeiter“, sagt Uli Brockmeyer, dessen Blick eigentlich eher international ausgerichtet ist. Die Zeitung verfügt sogar über diverse Korrespondenten, unter anderem in Kuba, den USA, Spanien und Griechenland. Die meisten von ihnen arbeiten allerdings auch für das Neue Deutschland und die Junge Welt.

Regelmäßig schreibt auch Rainer Rupp im Vollek, besser bekannt unter dem Decknamen „Topas“. Markus Wolfs ehemaliger Topagent bei der der Nato im Brüssel stammt aus der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Saarburg. Seine Autorenschaft hat in der „bürgerlichen“ Presse Luxemburgs für einige Unruhe gesorgt, aber zum jährlichen Pressefest der kleinen Zeitung kommen die Kollegen trotzdem alle. Und selbstverständlich auch sämtliche „Gauches Caviars“, Edellinke, die etwas auf sich halten. Schließlich ist das Vollek-Wisefest das Größte des kleinen Landes, zum 60.-Blatt-Geburtstag ging es diesen Sommer hoch her. „Die Kommunistische Partei ist in Luxemburg akzeptiert. Der Antikommunismus ist hier, anders als in Deutschland, nicht so ausgeprägt. Das hat auch etwas mit der Rolle der KP im nationalen Widerstand während der Besatzung durch die Nazis zu tun“, erklärt Uli Brockmeyer. In Luxemburg scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.

Info: www.zlv.lu