Glamour, Metal und Kabuki

Girugämesh sind eine der beliebtesten Visual-Kei-Bands Japans, die ihre Vorliebe für westlichen Glamrock und Heavy-Metal mit der Maskerade des Kabuki-Theaters verbinden. Sie spielen zur „Tokyo Underground“-Nacht in der Arena

VON THOMAS WINKLER

Popmusikalisch schien Japan lange ein Land der Dritten Welt. Dorthin ließen sich mit großem Erfolg sogar die Scorpions exportieren. Doch diese Zeiten sind vorbei: Hannoveraner Mainstream-Metaller müssen das Geld für den Tennislehrer mittlerweile in Russland verdienen, während sich nach japanischen Automobilen und japanischer Unterhaltungselektronik zusehends auch japanische Kultur zum Exportschlager entwickelt.

So werden zum „Tokyo Underground“-Abend bei „inMotion Asia-Pacific“, dem Musikfestival der Asien-Pazifik-Wochen in der Arena, Busladungen von Fans aus ganz Deutschland erwartet. Anlässlich der Gastspiele der Rockband Girugämesh, des Electro-Duos Aural Vampire und den DJs von Tokyo Dance Night dürften sich die deutschen Visual-Kei-Darsteller voraussichtlich komplett versammeln. Denn seit dem Jahrtausendwechsel hat sich hierzulande eine lebendige Szene entwickelt, in der nicht nur Manga-Comics gelesen und Anime-Filme gesehen werden, sondern in der auch die Mode der japanischen Subkultur liebevoll nachgestellt wird. War man in den ersten Jahren ausschließlich im Internet vernetzt, wagen sich die sogenannten Visus mit ihren fantasievollen Verkleidungen mittlerweile auch an die Öffentlichkeit.

Bei Auftritten von Bands wie Girugämesh findet die eigentliche Show oft vor der Bühne statt, wo die – in der Mehrheit weiblichen – Anhänger ihr möglichst perfekt kopiertes Styling präsentieren und die Konzerthalle zum Laufsteg umfunktionieren: Die seltenen Besuche ihrer japanischer Helden in Europa nutzt die Visual-Kei-Szene als Branchentreffen und Leistungsschau. Und wenn keine Band, keine Anime-Convention oder Manga-Messe in Sicht sind, dann organisiert man halt einfach ein Visu-Treffen. Visual Kei entstand in Japan in den Achtzigerjahren und ist auch zu verstehen als Reaktion auf die strikten Bekleidungsvorschriften in Schulen und am Arbeitsplatz. Als Gründungsväter gelten die inzwischen aufgelöste Band X Japan, deren Mitglieder einem durchgeknallten Sci-Fi-Film entstiegen schienen.

X Japan und die anderen frühen Visual-Kei-Bands traten mit extrovertierter Kleidung und auffälligem Make-up auf und waren inspiriert vom Glam-Rock der Siebziger und dem Pop-Metal der Achtziger. Auch der seinerseits visuell vom Kabuki-Theater inspirierte frühe David Bowie gilt als einer der Paten von Visual Kei. Die Bewegung setzte so einen Kontrapunkt zum uniformierten japanischen Alltag.

Mittlerweile gibt es eine Unzahl von Subgenres, die sich mitunter nur marginal unterscheiden und für Außenstehende kaum zu durchschauen sind. Grundsätzlich aber gilt: Im Vergleich zu einer durchschnittlichen Visual-Kei-Kapelle wirken die Bemühungen von Marilyn Manson wie Mummenschanz für Anfänger. Der Soundtrack zu dieser Jugendkultur bezieht alle möglichen Genres mit ein, ob Gothic oder Hardcore-Punk, Industrial, Crossover-Rock oder elektronische Musik. Mit Alice Nine oder Duel Juwel gibt es Bands, die einen eingängigen Poprock spielen, der sich widerspruchslos in ein westliches Format-Radio fügen würde. Überhaupt erscheint Visual Kei von außerhalb betrachtet weniger als ein musikalisches Genre, sondern vornehmlich als eine Mode, in der die Codes westlicher Jugendkulturen aus dem Zusammenhang gerissen, neu zusammengesetzt und in letzter Konsequenz zugespitzt werden.

Visual Kei ist aber nicht nur eine Adaption westlicher Einflüsse, sondern bezieht sich durchaus auch auf japanische Traditionen: Zwar bauen nur wenige Bands traditionelle Harmonien und Instrumente in ihren meist schwer-metallenen Rocksound ein, doch das oft androgyne Styling der männlichen Bandmitglieder zitiert das klassische japanische Theater, in dem Schauspielerinnen von der Bühne verbannt waren und Männer die Frauenrollen übernehmen mussten. Mittlerweile hat sich der Kreis geschlossen, und Visual Kei wirkt, wenn man das Erscheinungsbild mancher amerikanischer Emo-Band überprüft, bereits wieder zurück auf westliche Jugendkultur-Codes.

Eine der aktuell beliebtesten und damit auch stilprägenden Bands ist Girugämesh, deren Sound von steten Rhythmuswechseln und Versatzstücken aus Hardcore und Metal geprägt ist, die in eine schon fast jazzartige Struktur eingebettet sind. Ihre Musik erinnert an den Nu Metal von Korn oder Art-Rock-Bands wie System of a Down. Das klingt bisweilen überambitioniert, öfter mal anstrengend und weitgehend humorlos. Oder eben wie der Soundtrack zu einer Modenschau.

„Tokyo Underground“ am 15. 9. in der Arena, ab 17 Uhr Convention, ab 20 Uhr Konzert, Eintritt frei