Warenkunde: Die feinen Unterschiede des Konsums

Das Konsumverhalten entscheidet über die Gesellschaftsschichte. So wie es Konsumbürger gibt, gibt es Konsumbanausen.

Ist die Wurt nun bio? Oder nicht? Und wenn ja: Ist das dann bewusstes Konsumieren oder hipper Scheiß? Bild: ap

Bewusster Konsum ist zum Gebot geworden. Und wie der mündige Konsument inzwischen als gesellschaftliches Ideal gilt, ist die "Geiz ist geil"-Mentalität zum Unterschichtenphänomen mutiert. Autoren und Aktivisten wie Tanja Busse, Klaus Werner oder Fred Grimm klären über skandalöse Produktions- und Vertriebsbedingungen der Waren auf, mahnen zur Einhaltung ökologischer Kriterien und fordern mehr Konsumernst und -kompetenz. Sie scheuen sich auch nicht, diejenigen als Konsumanalphabeten zu bezeichnen, die nicht gelernt haben, Differenzen zwischen verschiedenen Angeboten zu erkennen, die Codes der Warenästhetik, der Werbung oder der Preispolitik zu entschlüsseln sowie die globalen Zusammenhänge der Märkte zu begreifen.

Wer von Konsumanalphabetismus spricht, wünscht sich aber nicht nur ein Schulfach, in dem Konsumerziehung vermittelt würde, sondern neigt auch zur Diskriminierung derer, die sich für Konsumfragen nicht interessieren. Ebenso dumm wie unverantwortlich, ja gar asozial erscheint aus ihrer Sicht, wer sein Einkaufverhalten keinen moralischen Kategorien unterwirft. Zu beobachten ist also eine "Moralisierung der Märkte", und der Kulturwissenschaftler Nico Stehr bemerkt in seinem gleichnamigen - lesenswerten! - Buch eine "Annäherung der angeblich strikt voneinander getrennten sozialen Rollen des Konsumenten und des Bürgers". Das sich konstituierende Konsumbürgertum artikuliert sein moralisch-politisches Bewusstsein also weniger in der Wahlkabine oder auf Demonstrationen als vor Kaufhausregalen: Zu Body Shop zu gehen und nicht zu einem Discounter ist für die meisten ein politischer Akt. Hier können sie Werte wie "Fairness gegenüber Tieren" ausleben.

Der Konsumbürger begreift sich somit nicht mehr als manipulierter und ohnmächtiger Konsument, sondern als jemand, der seine Haltung täglich artikulieren und der dank seines Einkaufsverhaltens Prioritäten durchsetzen kann. Für ihn bedeutet Konsum mehr als Bedürfnisbefriedigung, ist aber gerade nicht Luxus. Wie der Schnäppchenjäger und Discounter-Kunde für ihn ein tumber Konsumprolet ist, klassifiziert er den Besucher von Flagshipstores und Freak von Edellabels als neue Spielart gewissenlosen Geldadels. Sie alle sind für ihn Konsumbanausen, für die er ähnlich viel Verachtung übrig hat wie ehedem der Bildungsbürger für die Kulturbanausen, die ebenfalls sowohl im einfachen Volk als auch in der oberflächlichen Aristokratie gewittert wurden.

Das Konsumverhalten entscheidet also mittlerweile über die Einteilung der Gesellschaftsschichten, wie sie vom neuen Konsumbürgertum aktiv definiert werden. So dienen gerade auch die Debatten über Billigflüge, Fastfood und Rauchen dazu, ein Konsumproletariat auszugrenzen. Vieles daran zeugt jedoch von Selbstgerechtigkeit, ja die Konsumbürger machen es sich oft zu leicht und fordern Bewusstseinsstandards, die sie selbst gar nicht erfüllen können. So fällt auf, dass sie immer dieselben - wenigen - Beispiele bringen, um sich besonders moralisch zu geben. Für sie gibt es Mustermarken wie Manufactum und American Apparel und Reizmarken wie Nike, Nestlé und Shell. Da solche Listen aber höchst unvollständig sind, ist das konsumbürgerliche Verhalten lediglich als symbolisch zu bezeichnen. Dies aber auch deshalb, weil bei den Kriterien, nach denen die ökologische oder moralische Qualität eines Produkts gemessen wird, einseitig jeweils nur auf ein oder zwei Aspekte geachtet wird: Wer sich etwa für die Energiebilanz einer Produktion interessiert, blendet meist aus, ob die Arbeiter auch gewerkschaftlich organisiert sind.

Natürlich ist es gar nicht möglich, alle Faktoren zu berücksichtigen, und es bedeutete eine heillose Überforderung, bei jeder Ware vor dem Kauf zu recherchieren, gegen welche Werte bei ihrer Produktion verstoßen wurde. So wenig dies jedoch Konsumgleichgültigkeit rechtfertigt, so sehr sollte man sich als Konsumbürger auch mit Überlegenheitsgefühlen zurückhalten. Vielmehr ist der Unterschied gegenüber Konsumbanausen eigentlich nur gesinnungsethischer Qualität: Den einen ist egal, was den anderen wichtig ist - doch auch diese, die Konsumbürger, können sich im Laden nur unvollkommen verhalten. Ihr Dünkel trägt jedoch dazu bei, dass gesellschaftliche Differenzen überhöht werden und sich verfestigen. So dürfte die konsumbürgerliche Moralisierung der Märkte gerade nicht dazu führen, dass nach und nach alle Konsumenten zu bewussten und kritischen Entscheidern werden. Dafür wird sie aus Unmut und Ressentiment gespeiste Reaktionen provozieren, durch die sich die als Konsumanalphabeten Diskriminierten mit eigenem Selbst- und Klassenbewusstsein ausstatten und etwa gerade die Marken cool finden, die von den Konsumbürgern am lautesten und häufigsten gebrandmarkt werden.

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