Die guten Menschen von Marzahn

Milieukomödie mit glänzenden Miniaturen und Wohlfühleffekten: „Du bist nicht allein“ von Bernd Böhlich

Berlin bei Nacht. Eine von innen beleuchtete Traglufthalle, davor ein Zaun. Bewacht wird die gespenstische Riesenhalbkugel von einer Wachschutzfrau, die nichts falsch machen will in der unbezahlten Probezeit. Keine Zeit fürs Klo, also verdrückt sie sich in einen Busch. Ein Signalbild für real existierende Ausbeutung ist diese Szene, aber auch ein absurdes bisschen mehr: Plötzlich watschelt eine einsame Ente auf die Frau zu, und die bekommt die Angst der Frau vor dem Entdecktwerden zu hören.

Bernd Böhlichs Film mit dem ranschmeißerischen Titel ist ein mit kräftigen Farben ausgemaltes Porträt Berliner Verlierer und Stehaufpuppen, eine milde und menschliche Milieukomödie über schlimme Verhältnisse und Herzen auf dem rechten Fleck. Plattenbautristesse wird hier als Episodenstück über Alltagsskurrilitäten, Würde und Hoffnung erzählt.

Die guten Menschen von Marzahn: Axel Prahl, Katharina Thalbach, Herbert Knaup, Karoline Eichhorn. Deutsche Stars und die engelhafte Russin Katerina Medvedeva schlagen einen bekannten Ton an nach Art des proletarischen Wohlfühlkinos, das der Heimatsender RBB mit „Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“ und anderen Filmen gezielt zur Marke ausbaut. „Du bist nicht allein“, der Schlager von Roy Black, kommt an der Stelle vor, in der Axel Prahl als Hans Moll von seiner neuen Nachbarin Jewgenia (Katerina Medvedeva) zur Wohnungseinweihung eingeladen und von ihren trinkenden und singenden russischen Freunden zu einem Solo aufgefordert wird. Ohne Klischees geht es eben nicht, aber so zögerlich und erstaunt über sich selbst, wie die Gesangspremiere von Prahl gespielt wird, gehört diese Szene zu den kleinen Zaubermomenten des Films.

Eine andere anrührende Szene ist die aus Frau Wellineks Arbeitsleben: Karoline Eichhorn stellt eine Schauspielerin auf der Kippe dar. Schmal und introvertiert sieht man, wie sie vor dem Mikro im Synchronstudio steht und ihre Stimme für die Szene auf der Leinwand verweigert. Man hört den gelangweilten Regisseur (Matthieu Carrière), der sie animiert, den Job zu machen. Es geht um alberne Sextelefonnummern, die sie gegen ihre innere Blockade immer noch einmal wiederholen muss, bis die Regie mit dem Anmach-Tonfall zufrieden und die Schauspielerin über ihre perverse Anpassungsfähigkeit verblüfft ist.

Angelpunkt von Bernd Böhlichs Drehbuch sind die Risse in den Paarbeziehungen, die durch eine lange Arbeitslosigkeit und das Pendeln zwischen Langeweile, Warten oder erniedrigenden Bewährungsproben in der Arbeitswelt nur noch tiefer werden. Katharina Thalbach ist die patente Frau Moll, beruflich eine willensstarke Überlebenskämpferin, privat von edler Größe. Diese Heldin lässt sich auf die neue Chance als Objektschützerin ein, paukt die lächerlichen amerikanischen Merksätze ihrer Ausbilder, geht auf Nachtschicht und behält trotzdem in Sachen pünktliches Mittagessen das Heft in der Hand. Am Ende entlässt sie ihren Mann in Liebe.

Hans Moll hat anfangs vom Ausmalen seines Balkons und den Schwimmbadbesuchen mit Söhnchen Svenni (Leon Kessler) genug. Als Jewgenia einzieht, regt sich der hilfsbereite Kraftprotz in ihm. Er wird gebraucht und träumt sich plötzlich in ein Parallelleben mit der energischen, den Tücken des Neuanfangs ausgelieferten Schönen hinein. Jewgenia löst Krisen aus, ohne selbst involviert zu sein. Hans Molls Verliebtheit ist das Hauptthema des Films. Generös wie ein Krösus bezahlt er die Küchenzeile im Kaufhaus, wo er eigentlich nur als Transporthelfer mitgehen sollte – auch eine Bravourszene für Axel Prahl.

Der arbeitslose, geschiedene und folglich improvisiert hausende Herr Wellinek aus dem Plattenbau (Herbert Knaup) guckt seiner Exfrau im Garten zu, und überhaupt will er wieder zurück. Knaups große Szene kommt spät, wenn er im Jobcenter ausrastet und eine dreiste Sachbearbeiterin zu ihrer Pflicht verdonnert, ihm endlich Arbeit zu verschaffen. Glänzend sind die Miniaturen in dieser Komödie. Leider wird die dahinter lauernde Tragik mit einem gefälligen „Alles-wird-gut“-Ende verzuckert. CLAUDIA LENSSEN

„Du bist nicht allein“. Regie: Bernd Böhlich. Mit Axel Prahl, Katharina Thalbach u. a. Deutschland 2007, 90 Min.