Angeklagter mit zwei Gesichtern

BERLIN taz ■ Er wirkt selbstbewusst, um keine Antwort verlegen, manchmal schon schlagfertig. Ob der Angeklagte denn ein gutes Gedächtnis habe, will der Bundesanwalt im Prozess gegen Mounir al-Motassadeq wissen. „Prüfen Sie es doch!“, antwortet der, „fragen Sie mich einfach! Ich selbst weiß das nicht.“ Der 1974 in Marrakesch geborene Sohn eines Mediziners soll angeblich Statthalter der Hamburger Todespiloten um Mohammed Atta gewesen sein. Im Oktober 2002 sitzt er in Hamburg im weltweit ersten Prozess wegen der Anschläge vom 11. September als mutmaßlicher Komplize auf der Anklagebank.

Mounir al-Motassadeq ist ein Mann mit zwei Gesichtern: Einige Zeugen bezeichnen ihn als fanatischen Islamisten, als glühenden Antisemiten und politischen Extremisten. Andere sehen in ihm nur den ruhigen, hilfsbereiten Freund, der sich stets tolerant zeigte.

Al-Motassadeq kommt 1993 nach Deutschland, er ist gerade 19 Jahre alt. In Münster lernt er Deutsch, Fußball spielt er in der Kreisligamannschaft des FC Gievenbeck. Nebenbei jobbt der spätere Student der Elektrotechnik in der Küche einer Gaststätte, die, wie der Spiegel recherchierte, den Eltern eines Mannes gehört, der bei den Anschlägen vom 11. September im World Trade Center ums Leben kommt.

1995 wechselt al-Motassadeq nach Hamburg, an die Technische Universität in Harburg, er lebt in einem Studentenheim. In dieser Zeit setzt nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden die Radikalisierung des al-Motassadeq ein. Der Bundesanwaltschaft zufolge lernt er Mohammed Atta spätestens 1996 kennen. Sie beten zusammen in der Harburger Moschee und gründen an der Uni die Islam AG. Sie treffen sich häufig in einer Harburger Mietwohnung. Als Zeuge unterzeichnet al-Motassadeq in diesem Jahr ein Testament Attas, in dem dieser verfügt, dass Frauen seinen Leichnam nicht berühren dürfen.

Al-Motassadeq, der sich bei der Visumserteilung 1993 als Landwirt und Züchter ausweist, bestreitet auch gar nicht, enge Kontakte zu Atta gehabt zu haben, er räumt auch seine Schulung in einem Militärcamp in Afghanistan ein, will aber mit dem 11. September nichts zu tun gehabt haben. Am 24. März 2000 heiratet er in Dänemark die zum Islam konvertierte Russin Maria Pawlowa, die Tochter Sumeya wird im September 2000, der Sohn Moad am 12. November 2001 geboren. 16 Tage später, am 28. November, wird al-Motassadeq festgenommen. Strafrechtlich war er zuvor nicht in Erscheinung getreten. WOLFGANG GAST