Hit mit Schlüssel

■ Musik im Internet: Die Industrie will einen technischen Kopierschutz durchsetzen

Noch ist Musik im Netz nur ein schöner Traum. Die Bandbreiten reichen zur Übertragung des vollen Klangspektrums nicht aus, und selbst kurze Stücke kosten unzumutbar lange Ladezeiten. Aber der Traum steht kurz davor, Wirklicheit zu werden. „Music On Demand“ heißt das Zauberwort. Seit Ende des letzten Jahres bieten drei Rechner der nordamerikanischen Firma „BMG-Entertainment“, einer Tochter der Bertelsmann AG, Musiktitel über das Internet zum Kauf an (http://www.peeps.com/, http://www.bugjuice.com/, http:// www.twangthis.com/). Die Kunden benötigen dazu spezielle Software der kalifornischen Firma Liquid Audio, die umsonst zur Verfügung steht. Vor dem ersten Kauf müssen sie sich registrieren lassen und können anschließend Musiktitel auf ihren Rechner herunterladen.

Erste Versuche sind auch in Deutschland zu verzeichen. Vor Weihnachten ging die Testphase für das Projekt „Musikshopping“ der deutschen Telekom zu Ende. Berliner T-Online-Kunden hatten Gelegenheit, sich probeweise im virtuellen Plattenladen umzutun. Aus einer zusätzlichen Stichprobe von dreihundert Nutzern, die genauer befragt wurden, erhofft sich Projektleiter Steffen Böhm Anregungen zur weiteren Ausgestaltung des Services. Mitte dieses Jahres soll der Startschuß fallen.

Noch eiliger hatte es die Potsdamer Firma Fritsch & Friends. Ihr Projekt „Media City“ sollte über den Telekom-Konkurrenten o.tel.o ursprünglich schon im vergangenen November im Netz erreichbar sein (http://www.mcy .com/). Mittlerweile wurden zwar die Web-Seiten um einige Informationen erweitert, aber noch wird programmiert.

Eine neue Technik für die Musikindustrie

Noch herrscht hierzulande Skepsis vor. Die USA seien „drei Jahre voraus“, der Vertrieb von HipHop, Reggae und Independent über das Internet „Zukunftsmusik“, sagt Peter Ewaldt von der EFA Medien GmbH. Tim Lorenz, verantwortlich für die Präsentation des Labels „Motor Music“ im Internet, teilt diese Einschätzung. Erst in ferner Zukunft sieht er die Möglichkeit, die derzeitigen Appetithappen von maximal dreißig Sekunden um ganze Musikstücke zu ergänzen.

Zweifel an einem unmittelbaren Erfolg solcher Projekte stellen sich an zwei Punkten ein. Für die Geschäftsleitung der Polygram GmbH faßt Magnus von Zitzewitz die Hürden so zusammen: Die Bandbreite, die Menge von Daten, die pro Sekunde über eine Leitung gehen, reiche noch nicht aus. Die Preise seien wegen der Telefonkosten für die Übertragung nicht konkurrenzfähig und die Speicherkapazitäten auf den heimischen PCs für die Datenmassen einer CD noch unterentwickelt. Gestützt auf eine Studie der amerikanischen Marktforscher Jupiter Communications, erwartet von Zitzewitz eher eine deutliche Zunahme im Bereich des Versandhandels. Interessenten hätten dabei die Möglichkeit, in einem Online-Katalog zu stöbern und Bestellungen per E-Mail aufzugeben.

Bandbreiten der Leitungen und Speicherkapazitäten gehören indessen zu den Bereichen der Computertechnik, die sich sprunghaft weiterentwickeln, und die Übertragungskosten kann die Telekom heute nicht mehr allein diktieren. Weit eher könnte der Traum einer jederzeit abrufbaren Netzmusik an den Vorbehalten der Produzenten und Verlage scheitern. Denn am Computer lassen sich die Titel umstandslos vervielfältigen; nach den heutigen technischen Voraussetzungen gilt auch für sie das amerikanische Hackerwort „Information wants to be free“.

Genau hier aber setzt nun die neue Technik des Musikvertriebs einen radikalen Schnitt an. Sowohl das Musikshopping der Telekom als auch die Media City von Fritsch & Friends nutzt die Arbeit des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen in Erlangen (http://www.iis.fhg.de/audio/). Die Beschäftigung mit digitalisierten Klängen ist dort nichts Neues. In Erlangen wurde der international akzeptierte Standard für die Kompression von Audiodaten, „MPEG Layer 3“, entwickelt. Er gestattet es, Klangdaten in CD-Qualität bei einer Bandbreite von 128 Kilobit pro Sekunde zu übertragen. Das entspricht der Leitungskapazität, die bei der Bündelung von zwei ISDN-Kanälen zur Verfügung steht.

Im Rahmen des EU-Projekts „Music On Demand“ (http:// www.mode.net/) wurde das Institut gebeten, nun auch noch ein Verfahren zur Sicherung der Urheberrechte an den übertragenen Titeln zu erstellen. Das Resultat heißt „Multimedia Protection Protocol“ (MMP) und wird von der Telekom wie auch von Media City eingesetzt. Wie im Modell von „Liquid Audio“ benötigen Hörer eine spezielle Software, den Player, und müssen sich beim jeweiligen Anbieter für eine Kundennummer registrieren lassen. Sie können dann Musiktitel über das Web herunterladen und abspielen. Während bei Media City auch ein herkömmliches Modem ausreicht, erfordert das Telekom-Musikshopping einen ISDN-Anschluß. Auf den gebündelten Kanälen kann die Software Musikstücke schon während des Einlesens der Daten wiedergeben.

Raffinierte Verschlüsselungstechnik sorgt dafür, daß dabei die Produzenten nicht leer ausgehen: MMP-Dateien enthalten im Kopfteil Datenfelder für den Anbieter, den Kunden, den Titel des Stücks und einige andere Angaben. Erst danach folgen die Audiodaten, die nun so verschlüsselt sind, daß sie nur mit der Kundennummer im Kopf zusammen unbeschädigt abgespielt werden können. Ohne Kundennummer ist Geräuschsalat zu hören – das Musikstück werde „personalisiert“, lautet die Sprachregelung am Fraunhofer-Institut.

Wer auf diesem Wege Musik gebührenfrei weiterverbreiten wollte, müßte deshalb das eigene Wiedergabeprogramm gleich mitliefern. Was aber in der analogen Welt unvorstellbar scheint, nämlich beim Verleih einer CD den eigenen CD-Spieler dazuzupacken, ist in der digitalen Welt immerhin denkbar. Solche kompletten Raubkopien können im MMP- Modell nur dadurch verhindert werden, daß die Kundennummer der Geheimnummer einer EC- Karte gleichgestellt wird. Anbieter und Entwickler spekulieren darauf, daß beim Geld die Freundschaft aufhört. Denn die Nummer dient sowohl dem Einkauf als auch der korrekten Entschlüsselung. Wer sie preisgibt, liefe Gefahr, die musikalischen Interessen anderer zu finanzieren.

Auf die Frage, ob damit nicht die private Verfügungsgewalt über ein gekauftes Produkt zu sehr eingeschränkt werde, entgegnet Niels Rump, befaßt mit der Entwicklung des Protokolls: „Ein wirksamer Schutz des Urheberrechts ist anders kaum zu realisieren.“ Tatsächlich setzt die Software nur den Buchstaben des Gesetzes um, genau das aber könnte verhindern, daß sie sich bei den Kunden durchsetzt. Abschreckendes Beispiel dafür ist das „Digital Audio Tape“ (DAT), das Kopien von CDs ohne das Knistern und Rauschen der herkömmlichen Bandgeräte möglich macht. Doch DAT-Recorder fristen heute ein Nischendasein, weil die Musikindustrie frühzeitig darauf gedrängt hatte, sie mit einem Kopierschutz auszustatten. Dem MMP-Standard droht dasselbe Schicksal, zumal sich im Internet eine Kultur herausgebildet hat, die zwar neugierig ist, dem Urheberrechtsgedanken aber wenig Respekt zollt. Patrick Goltzsch

pat@minerva.hanse.de