Was ist rechtsradikal?

Die taz meint: Die „Böhsen Onkelz“ sind eine „berüchtigte rechtsradikale Band“. Am kommenden Dienstag entscheidet das Berliner Landgericht darüber, ob wir das auch in Zukunft behaupten dürfen

von EBERHARD SEIDEL

Keine andere Band ist mit der Geschichte der Skinheadbewegung in Deutschland so eng verknüpft wie die 1979 gegründeten „Böhsen Onkelz“.

Mit dem in den frühen 80er-Jahren verfassten Hasssong „Türkenfotze“ erreichte sie in der rechtsradikalen und neofaschistischen Subkultur schnell Kultstatus. Zwar erschien der Song nie auf einer autorisierten Veröffentlichung der Band, aber er kursiert seit 1982 tausendfach auf Kassetten kopiert. Der Text lautet nach einer publizierten Texttranskription: „ . . . alle Türken müssen raus!/ Türkenfotze unrasiert/ Türkenfotze nicht rasiert/ Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze!/ Türkenpack, Türkenpack, raus aus unsrm Land! . . . “

In einem Bescheid der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (Entscheidung Nr. 5446 V) über eine Aufnahme des Tonträgers „Erinnerungen“ in die Liste der jugendgefährdenden Schriften finden wir folgenden angeblich von den Böhsen Onkelz stammenden Songtext zitiert: „SS-Staat im Staate / wir woll’ns miterleben / Ach du Jude altes Schwein / Mensch du gehörst ins Gas hinein“

Sind die Böhsen Onkelz nun rechtsradikal oder nicht? Seit über zehn Jahren wird diese Frage debattiert.

Das Ergebnis: Für die einen gilt die Band nach halbgaren Distanzierungen und der Fürsprache von Prominenten wie dem Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit als geläutert und deshalb unbedenklich.

Für die anderen bleiben die Böhsen Onkelz, was sie auch in der Vergangenheit waren: Ein Haufen von Musikern, die rechtsradikales Gedankengut propagieren.

Die „Böhsen Onkelz“ sind ein Ärgernis. Denn seit Jahren nerven sie die Presse mit einstweiligen Verfügungen und Klagen. Nun hat es die taz erwischt. Der Anlass: In einer am 23. Oktober 2000 erschienenen Rezension über Albert Ostermaiers Stück „Death Valley Junction“ in den Berliner Volksbühnenstudios schreibt die Rezensentin: „Zu allem Überfluss gibt es dann noch ein Lied der berüchtigten rechtsradikalen Band ,Böhse Onkelz‘ .“

Die Folge: Die Anwälte der „Onkelz“ erwirkten eine einstweilige Verfügung, die der taz untersagt, sie als „berüchtigte rechtsradikale Band“ zu bezeichnen. Die taz wird am Dienstag vor dem Berliner Langericht beantragen, die Klage der „Böhsen Onkelz“ abzuweisen.

Unsere Begründung: Es handelt sich bei der Titulierung der Band als rechtsradikal um eine vergleichsweise substanzarme Berurteilung, die durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist, unabhängig davon, ob das Gericht oder die Kläger diese Beurteilung teilen.

Dass die „Böhsen Onkelz“ „berüchtigt“ sind, also einen schlechten Ruf haben, ist gerichtsnotorisch und bereits belegt durch die anhaltenden Bemühungen der Band, diesen Ruf zu leugnen, zu dementieren und ihn zum Beispiel durch Klagen untersagen zu lassen.

Für die taz sind die „Böhsen Onkelz“ auch deshalb berüchtigt, weil nicht nur wir, sondern eine Vielzahl von Medien eine rechtsradikale oder faschistische Konnotation in ihren Texten, ihrem Image, ihrem Auftreten und ihrer Anhängerschaft erkennen und deshalb darüber schreiben.

Die taz ist deshalb der Auffassung, dass sie sich für ihre Meinung über ihre politische Einschätzung der „Onkelz“ nicht rechtfertigen muss. Meinungen sind auch geschützt, wenn sie falsch, ja wenn sie grotesk falsch sind, wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorhebt. Die taz hält ihre Beurteilung nicht für falsch, aber es ist das gute Recht eines jeden, anderer Auffassung zu sein. Meinung bleibt frei.

Wenn nun aber die „Böhsen Onkelz“ die taz zwingen, die Meinung, dass sie eine „berüchtigte rechtsradikale Band“ sind, zu rechtfertigen, so können sie das haben. Rechtsanwalt Johannes Eisenberg wird dem Berliner Landgericht in der Klageerwiderung detailliert darlegen, weshalb die „Böhsen Onkelz“ mit Fug und Recht als rechtsradikal bezeichnet werden können. Ihre Formsprache, ihre Musik, ihre Texte und deren Rezeption durch rechtsextremistische Kreise legen dieses Urteil nahe. Die Überhöhung des Männlichen, die Verherrlichung von Gewalt und die von den Onkelz propagierte Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Ideologie, die Beschimpfung fast der gesamten Presse – all das sind Topoi, die konstituierend für rechtsradikale Gruppen sind.

Wie rechtsradikal sind die „Böhsen Onkelz“, wenn sie sich doch vordergründig von Hakenkreuzen und Hitlerverehrung distanzieren?

Zitat aus unserer 28-seitigen Klageerwiderung: „Klaus Theweleit hat in seinem Werk ,Männerphantasien‘ das besondere Verhältnis des Faschismus zur Männlichkeit beschrieben. Rechtsradikalismus ist nicht nur gekennzeichnet durch Kriegs-, Überlegenheits- und Allmachtsphantasien seiner Anhänger, sondern auch durch ein autoritäres Menschenbild, das von unterschiedlichen Wertigkeiten verschiedener Menschen ausgeht. So ist kennzeichnend für faschistische Bewegungen, dass die Männlichkeit eine besondere Bedeutung gewinnt, ein reaktionäres Geschlechterbild herrscht und eine Zivilgesellschaft, die nicht vom Kampf geprägt ist, durch eine Kriegsgesellschaft ersetzt werden soll.

Genau in dieser Welt, in diesen Bildern leben die ,Böhsen Onkelz‘ mit ihrem ständigen ,Kampf‘ mit allen möglichen ,Gegnern‘, mit ihrer paranoiden Vorstellung, von Bösewichtern umzingelt zu sein, ihrem Gerede vom ,Hass‘ usw. Das ist ,rechtsradikal‘, jedenfalls darf man das so nennen, auch wenn das das Geschäft der Kläger (Böhse Onkelz) beinträchtigen könnte.“

Vor dem Landgericht geht es am Dienstag um zweierlei. Erstens: Wie steht es um die Meinungsfreiheit? Zweitens: Machen sich die Gerichte weiterhin zum Helfershelfer eines Musikunternehmens, das vordergründig vorgibt, mit seiner rechten Vergangenheit nichts mehr zu tun haben, und gleichzeitig jede Gelegenheit nutzt, seinen rechtsradikalen Anhängern augenzwinkernd zu signalisieren, dass man trotz des Drucks der Öffentlichkeit im Kern ungebrochen und ganz die Alten geblieben sei? Im Übrigen: Den klingenden Namen haben die „Böhsen Onkelz“ nicht gewechselt. Wie auch? Mit dem, und allem was mitschwingt, machen sie ihre Geschäfte.