Im Zeichen von Cem Baba

Die Freiheit des Augenblicks und die Seele des Jazz auf weiß gedeckten Tischen und in dunklen Gassen: Der A-Trane-Betreiber Sedal Sardan eröffnet heute im Stilwerk seinen Jazzclub „Soultrane“

von MAXI SICKERT

Der Jazz richtet sich ein. Behutsam beleuchtet und umringt von Männern mit Bohrern, Malerpinseln und kleinen, ausklappbaren Handys. Abgebildet liegt er eingerollt auf eckigen, weiß gedeckten Tischen. Billie Holiday, Miles Davis, Dexter Gordon. Sie halten etwas fest, von dem man glaubt, seine Seele zu spüren. Jazz.

Türkei im Sommer, Mitte der Achtzigerjahre, ein kleiner Ort an der Küste. Eine Gruppe von Freunden streift durch die engen Gassen, einem blauen Neonschriftzug entgegen: „Bebop“. Einer überredet die anderen zum Hineingehen. Auf der kleinen Bühne spielt ein Duo aus Piano und Kontrabass. Der junge Mann fühlt etwas Seltsames, die Worte um ihn entfernen sich, die Musik zieht ihn zu sich. Der alte Mann am Bass wird „Cem Baba“ genannt, „Papa Cem“. Bald geht der junge Mann jeden Abend zu diesem Club, zu dem alten Mann und hört ihm zu, seiner Musik und seinen Geschichten.

Cem Baba gibt ihm Bücher zu lesen und lässt ihn glänzende, schwarze Vinylplatten hören. „Warum bist du hier?“, brummt er. „Was willst du eigentlich?“ „Ich weiß es selbst nicht.“ Ein zufriedenes Lächeln breitet sich über dem Gesicht des alten Mannes aus. Er nickt. „Das“, sagt er, „ist ein guter Grund.“

Sedal Sardan zieht ein kleines schwarzes Päckchen Zigarillos und Streichhölzer aus der Hemdtasche, auf der Packung steht „… no comment“. Er spricht darüber, Jazz zu fühlen. Über die Freiheit des Augenblicks und den besonderen Ernst, der in diesen Momenten enthalten sein kann. Das Jazz vor allem Livemusik sein müsse.

Er fährt mit der freien Hand durch die samtige Dunkelheit, während das Mittagslicht auf der Kantstraße liegt. Er entwirft Visionen, wo noch nicht viel zu sehen ist. Zwischen Leitern und Farbeimern steht ein Bechstein-Flügel mit Klavierschemel. Bald werden hier Herbie Hancock, Brad Mehldau und Alexander von Schlippenbach sitzen, ihre Hände auf diesen Tasten. Pharoah Sanders wird sich über sein Saxofon beugen und seine heiseren Töne werden sich auf die Tischdecken legen.

1962 wurde Sardan in Ankara geboren. Er wuchs bei der Großmutter auf, mit zwölf Jahren holten die Eltern ihn zu sich nach Berlin, nach Spandau. Der sportbegeisterte Junge spielt Basketball im DTV, heute Alba Berlin. Er liest die türkischen Ausgaben von Marx und Engels und engagiert sich für den Traum einer besseren Welt, vor allem nach dem Militärputsch in der Türkei 1980. Nach der Begegnung mit Cem Baba arbeitet er als Kofferträger und Kellner, dann bricht er sein Grafikstudium ab und gründet mit einem Freund einen Jazzclub in Kreuzberg. Er nennt ihn „Bebob“.

Eigentlich mehr eine Kneipe, in der einmal pro Woche Konzerte stattfanden. „Eines Tages“, erzählt Sedal, „stand Dino in der Tür.“ Der Philosophieprofessor aus Albanien suchte einen Job und bot sich als Koch an für Linsensuppe und Bratkartoffeln. Nach fünf Jahren und mit dem Gefühl, genug Erfahrung gesammelt zu haben, verkaufen sie das Bebop und gründen die „Mokka-Bar“ in der Gneisenaustraße, in der immer noch Sedals selbst gemalte Bilder hängen.

Von den Idealen bleibt das Klavier zurück und mit dem Versuch, Jazz und türkische Musik zusammenzubringen, gründet er in der ehemaligen Diskothek „Dschungel“ in der Nürnberger Straße das „Pashas“. Das Konzept geht nicht auf und in dieser Phase bietet sich die Gelegenheit, den bereits bestehenden Jazzclub A-Trane zu übernehmen – eine Namensmischung aus dem Ellington-Hit „A-Train“ und dem Musikerkürzel für John Coltrane. Der kleine Club in der Pestalozzistraße soll jetzt vor allem Hochschulmusiker unterstüzten. Dazu arbeitet Sardan mit den Professoren und Dozenten von der UdK und der Hanns-Eisler-Hochschule für Musik zusammen. Zusammen mit der Bechstein-Etage im obersten Stock des Stilwerks wird Sardans neuer Club dann im November auch zu einem der offiziellen Veranstaltungsorte des Berliner Jazzfests. Eine Aufnahme von Coltrane mit dem Red Garland-Trio von 1958 heißt „Soultrane“. Das klingt ein wenig traurig und sentimental und Seele ist in diesem gläsernen Palast der käuflichen Formen noch nicht wirklich zu spüren.

„Eigentlich“, sagt Sardan, „liebe ich die Gassen.“ Die Dunkelheit darin und die Möglichkeit eines blauen Lichts. Es schimmert über der rund geschwungenen Bar, die Zeigefingerlinie entlang. Blau. Und dunkel ist es hier auch. Die Jazzgasse des Sedal Sardan also. Ganz im Zeichen von Cem Baba.

„Soultrane“: Jazz and Dining. Stilwerk, Kantstraße 17, Eröffnung heute, 20 h