Ganz natürlich?

Männer und Frauen, erklären Allan und Barbara Pease, haben grundverschiedene Gehirnsoftware. Wissenschaft und Populärwissenschaft allerdings liegen bisweilen auch weit auseinander …

von REGINA FREY

Allan und Barbara Pease wollen uns erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Was ihre Mischung aus evolutionstheoretischen Thesen, groben Vereinfachungen und humoristisch angereicherter politischer Unkorrektheit abbildet, sind jedoch eher hoch konservative geschlechtsspezifische Zuschreibungen als die heute real gelebte Geschlechtervielfalt. Allerdings kommen die Thesen des australischen Ehepaars gut an: Ihr erstes gemeinsames Buch – deutscher Titel: „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen“ (Ullstein, Berlin 2000, 384 Seiten, 8,95 Euro) – ging millionenfach über die Ladentische. Jüngst erschien ihr zweites Werk auf Deutsch: „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen“ (Ullstein, Berlin 2002, 400 Seiten, 16,95 Euro).

Aus diesem Anlass dürfen die beiden derzeit Interviews im Stern und im ZDF-Frauenmagazin „Mona Lisa“ geben, ohne dass allzu kritische Fragen gestellt werden. Als gäbe es nicht bereits eine seit Jahrzehnten andauernde Kontroverse darüber, ob menschliches Verhalten nun eher durch biologische beziehungsweise genetische Faktoren bestimmt oder ob es eher sozial und kulturell bedingt ist. Immerhin befasst sich heute eine gesamte Disziplin – die Gender Studies – mit Fragen der soziokulturellen Herstellung und Reproduktion von Geschlecht.

Die Ausgangsthese von Allen und Barbara Pease: Männer waren Jäger und Frauen Nesthüterinnen – und eigentlich sind sie es noch heute. Sie meinen, dass wir „bereits mit vorprogrammierter Gehirnsoftware auf die Welt kommen. Die Tatsache, dass die Männer in der Regel auf die Jagd gingen und die Frauen sich um die häuslichen Angelegenheiten kümmerten, bestimmt auch heute noch unser Verhalten, unsere Überzeugungen und Prioritäten.“

Die gesellschaftliche Realität indes, wie auch die politische Geschlechterdebatte, ist etwas komplexer. Seit man davon abkam, Geschlechterverhältnisse als gottgegebenes Schicksal zu betrachten, bewegt sich die geschlechterpolitische Debatte um die beiden Pole „von der Natur festgelegt“ und „durch gesellschaftliche Einflüsse geschaffen“. Hier wird seit Jahrzehnten unerbittlich und produktiv gestritten. Stand der Dinge: Niemand kann eine Grenze zwischen „Biologie“ und „Sozialem“ festlegen, denn soziale Einflüsse sind eben immer schon vorhanden, und es ist nicht möglich, eine Laborsituation zur Untersuchung der „reinen Natur“ des Menschen zu schaffen. So dürfte auch der genaue Nachweis über die von Allan und Barbara Pease deklarierte „Gehirnsoftware“ mit seriösen Argumenten schwer fallen.

Betrachtet man das Werk des Ehepaars Pease nach wissenschaftlichen Kriterien, wird schnell deutlich, dass bei ihnen eine doch eher skurrile Auffassung von Wissenschaftlichkeit vorherrscht. Nicht nur blenden sie den gesamten Strang sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung aus, sie bemühen auch gerne den „gesunden Menschenverstand“ oder ihre persönlichen Erfahrungen, um Argumente zu belegen. Dennoch betont das AutorInnenpaar stets, ihre Erkenntnisse stützten sich auf neueste wissenschaftliche Untersuchungen. Sie selbst allerdings halten es mit diesen nicht ganz so genau. So ersparen sie sich weitgehend Nachweise für ihre Behauptungen. Eine Quelle wie „Pease International Research, UK“ mit der in ihrem ersten Band eine Statistik zu männlichem und weiblichem Geschlechtstrieb belegt wird, ist gar nicht erst im Literaturverzeichnis enthalten – ebenso wenig wie im zweiten Band die Quelle zu einer Abbildung über männliche und weibliche Gehirnregionen, die einem „Psychiatrischen Institut in London“ zugewiesen wird.

Wer nach der Literaturrecherche noch Zeit hat, kann sich einem Selbsttest unterziehen, der prüft, „in welchem Ausmaß Ihr Gehirn auf weibliches oder männliches Denken programmiert ist“. Wir kreuzen also an, wo wir im Kino am liebsten sitzen, wie wir einkaufen, wie wir tanzen und wie wir unseren Tag planen, um dann festzustellen, dass wir gar nicht anders können, als männlich oder weiblich zu sein. Denn für Männer und Frauen sind – Überraschung! – unterschiedliche Auswertungsmodi vorgesehen: Frauen multiplizieren eine von drei Antwortkategorien mit fünfzehn, während Männer nur mit zehn multiplizieren. Damit wird sichergestellt, dass die Auswertung nach dem Frauenmodus mehr Punkte ergibt. Und je mehr Punkte auf dem Auswertungsbarometer, desto stärker die „weibliche Ausrichtung“, je weniger, desto männlicher. Solcherart bleibt das geschlechtliche Weltbild immer hübsch in den Fugen: Männer und Frauen sind von Natur aus „körperlich und geistig grundverschieden“.

Die gute Nachricht des Ehepaars: Rettung naht, denn das Geschlechterverhältnis kann seit neuestem durch Kommunikation in den Griff bekommen werden! Dabei hilft Ihnen gerne Allan Pease in seiner Funktion als Kommunikationstrainer.

Würden die LeserInnen dem Ehepaar Pease glauben, hätte dies vor allem weit reichende politische Konsequenzen. Denn ihre Thesen verschließen eher Handlungsspielräume für eine Umgestaltung der realpolitischen Geschlechterordnung, als dass sie sie eröffneten. Wo die Natur waltet, ist der gesellschaftlichen Gestaltung eben auch eine klare Grenze gesetzt. Zumindest in der nächsten Million Jahre, denn um diese Zeitspanne, so das Forscherpaar, seien „hochfliegende Ideale und Verhaltenskonzepte der genetischen Realität voraus“. Das ist vielen sicherlich nicht unangenehm, rückt es doch eine gesellschaftspolitische Veränderung von Geschlechterverhältnissen in weite Ferne.

Dass ihre geschlechtlichen Zuweisungen und Normierungen die Stoffe sind, aus denen Diskriminierungen gemacht werden können, scheint Allan und Barbara Pease klar zu sein, denn sie argumentieren an diesem Punkt: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist eine politische beziehungsweise ethische Angelegenheit, die Frage nach dem grundlegenden Unterschied zwischen ihnen eine wissenschaftliche.“ Ethik und Wissenschaft voneinander abkoppeln zu wollen, ist jedoch nicht unproblematisch – spätestens seit der Entdeckung der Kernspaltung kam man auf diese Idee.

Auch in den Gender Studies hat man sich eingehend um das Feld der Wissenschaftstheorie gekümmert, so zum Beispiel die Biologin Donna Haraway. Sie dekonstruiert mit ihrer Gendertheorie die These „Mann = Jäger“ am Beispiel der Affenforschung. Sie weist nach, dass Arbeiten über das Verhalten von Affen und die entsprechenden Rückschlüsse auf das Sozialverhalten von Menschen immer geschwängert sind mit spezifischen Weltbildern, die wiederum durch Forschung bedient und gestärkt werden.

In einer Abhandlung über renommierte PrimatenforscherInnen und SoziobiologInnen weist sie nach, dass im Zuge vermeintlich objektiver Forschung Vorstellungen von der „richtigen“ Welt hergestellt werden, indem die WissenschaftlerInnen einerseits spezifische Affenstämme untersuchen und andererseits überhaupt nur bestimmte Verhaltensweisen erkennen und in einer bestimmten Weise interpretieren. Der These „Männchen = Jäger = Kulturleistung“ stehe etwa gegenüber, dass in anderen Affenstämmen Männchen junge Affen töteten. Neuere Forschungen zeigen, dass sich Weibchen verschiedene Sexualpartner halten.

In „Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen“ (Campus, Frankfurt am Main 1995, 237 Seiten, 21,50 Euro) kommt Haraway zu der Einschätzung, die Biologie sei „eigentlich ein Zweig des politischen Diskurses und kein Nachschlagewerk objektiver Wahrheit“. Bleibt die Frage, warum sich mancher Forscher auf der doch zumindest reduktionistischen Jäger-These ausruht und vor allem warum schnell noch von „dem“ Affen auf „den“ Menschen geschlossen wird – und fertig ist die Geschlechterkonstruktion.

Allan Pease werden solche wissenschaftstheoretischen Spitzfindigkeiten kaum von seiner Vermarktungsstrategie abhalten. Der Internetauftritt von „Pease International Training“ zeigt jedenfalls deutlich, wer beim Ehepaar Pease ökonomisch die Hosen anhat, denn die Website ist eine One-Man-Show: Die „Official Allan Pease Website“ verkauft zwar die gemeinsam verfassten Bücher, Barbara Pease jedoch bleibt hier seltsam unsichtbar.

Während Jäger Pease sich international als Trainer profiliert, ist Nesthüterin Pease, wie sie im Stern schildert, zu Hause für die nassen, liegen gelassenen Handtücher zuständig, die sie sich freilich weigert aufzuhängen – so ganz von der Unveränderbarkeit des Mannes scheint sie denn doch nicht überzeugt zu sein. Sie managt den Haushalt, er arbeitet zu, indem er den Müll hinausbringt, den Rasen sprengt oder die Heizung repariert. Dieses altbackene Modell geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung wird vor allem in „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ durchgängig bedient. Frauen werden als Nörglerinnen dargestellt, die ihre Männer (O-Ton: „Opfer“) so lange nerven, bis sie Aufgaben im Haushalt übernehmen.

Die Nörgelei liegt, so Pease & Pease, an der weiblichen Gehirnorganisation, denn: „Frauen reden, Männer fassen es als Nörgeln auf.“ Und: „Beziehungen durch Reden aufzubauen und zu festigen hat absolute Priorität in der Programmierung des weiblichen Gehirns.“

Auffällig oft grenzen sich Barbara und Allan Pease gegen „den“ Feminismus ab. Allan Pease, Verfasser von „The Ultimate Book of Rude and Politically Incorrect Jokes“ (1999), lamentiert, der Feminismus habe die Männer in den Wahnsinn getrieben, daheim herrsche „der totale Sexismus“ – weil Männer dort den Klodeckel herunterklappen müssen.

„Angeblich“, amüsieren sich die beiden Autoren, „wurden Frauen von dominanten Männern unterdrückt.“ In Wirklichkeit sei es genau umgekehrt. Pease & Pease behaupten, dass die Selbstmordrate von Frauen um 34 Prozent zurückgegangen, während die der Männer um sechzehn Prozent gestiegen sei. Trotzdem werde „immer noch unablässig das harte Los der Frauen beklagt“. Zwar stellen sie selbst ein paar Seiten weiter fest: „Allein in den Vereinigten Staaten gibt es mehr als zweitausend Fälle pro Jahr, in denen Männer ihre Frauen umbringen und angeben, sie hätten die Nörgelei nicht mehr ausgehalten.“ Gleichwohl sind es die Männer, die im Zusammenhang mit dem Thema Nörgelei bei Pease & Pease als Opfer bezeichnet werden – teilweise pro Seite sechsmal.

Warum aber kommen die beiden dermaßen gut an? Offensichtlich stoßen sie in einer Zeit, in der konventionelle soziale Beziehungen erodieren, in eine emotionale Marktlücke. Die Familie ist nicht mehr das, was sie einmal war; verschiedene sexuelle Orientierungen werden zunehmend enttabuisiert; sogar bürgerliche Frauen verlassen zunehmend das Nest und erobern berufliche Männerdomänen – und Männer fangen an, sich ihrer Jäger- und Ernährerrolle zu entledigen. Es gibt sogar Menschen, die sich ganz einer konventionellen zweigeschlechtlichen Zuordnung zu sperren versuchen. Das heißt, geschlechtliche Identität ist freier gestaltbar, aber auch komplizierter geworden und gibt weniger Orientierung als damals, als sozusagen „die Welt noch in Ordnung war“. Nur gut, dass uns Allen und Barbara Pease in dieser verwirrenden Vielfalt „die ganze Wahrheit über Männer und Frauen“ verraten.

REGINA FREY, 36, Politikwissenschaftlerin, arbeitet als geschlechterpolitische Beraterin und Trainerin. Sie führt mit Jens Krabel das Gender Büro in Berlin