Durch Folter zum Geständnis

Seit gestern stehen in der Türkei vier Polizisten vor Gericht. Sie sollen neun Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe in Polizeigewahrsam gefoltert haben

ISTANBUL taz ■ „Die türkische Regierung behauptet, gegen Folter konsequent vorzugehen. Ich glaube das nicht. Es hat sich nichts geändert hier.“ Mehmet Bakir ist ein ruhiger Typ. Er ist erschöpft und zermürbt, doch ein Ende seines Alptraums ist nicht abzusehen.

Mehmet Bakir lebte und arbeitete als Journalist türkischer Herkunft in Berlin. Vor einem Jahr geriet er bei einem Urlaub in die Fänge der türkischen Polizei. Er wurde gefoltert und von einem Staatssicherheitsgericht in erster Instanz zu 4 Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Seitdem wartet er auf die Revisionsverhandlung. Er wurde zwar aus der Untersuchungshaft entlassen, darf aber die Türkei nicht verlassen.

Gestern standen vier Polizisten, die ihn und neun weitere Beschuldigte in den ersten vier Tagen seiner Polizeihaft im Juli 2002 schwer folterten, in Izmir vor Gericht. Es ist die zweite Verhandlung. Beim Auftakt des Prozesses waren alle vier Beschuldigten erst gar nicht erschienen. Über ihre Anwälte bestreiten sie alle Vorwürfe.

Der Hauptangeklagte Muhtesem Cavusoglu, im letzten Jahr Chef der Antiterrorabteilung der Polizei in Izmir, ist heute Vizepolizeichef der Großstadt Aydin. Er ließ dem Gericht ausrichten, er habe auch künftig keine Zeit, zu dem Prozess zu erscheinen. Mit den Folteranschuldigungen haben er sowieso nichts zu tun.

Dabei waren die Vorwürfe, die die Polizei im letzten Jahr durch Folter der Gefangenen untermauern wollten, bizarr genug. Mehmet Bakir wurde am 9. Juli mit seinem ebenfalls in Deutschland lebenden Bekannten Mehmet Desde verhaftet, als sie auf dem Weg zu einer Ferienwohnung nahe Izmir waren. Sie und acht weitere Angeklagte wurden beschuldigt, Mitglieder beziehungsweise Unterstützer einer obskuren „terroristischen Vereinigung bolschewistische Partei Nordkurdistan-Türkei“ zu sein. „Wir hatten von dieser Organisation nie gehört“, erzählt Bakir, „deshalb konnten wir die Fragen der Polizei nicht beantworten.“

Die Folge waren tagelange Folter und erzwungene, falsche Aussagen, sagt Bakir. Nach vier Tagen wurden alle zehn Beschuldigten einem Haftrichter vorgeführt, der für fünf von ihnen U-Haft anordnete. Alle Beschuldigten widerriefen vor dem Haftrichter ihre Aussagen.

Trotzdem wurden die Aussagen aus der Polizeihaft in einem Ende Juli 2003 durchgeführten Verfahren von der Staatsanwaltschaft angeführt und vom Gericht zugelassen. Anzeigen der Angeklagten gegen ihre Folterer wies die Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück. Im Prozess stellte sich heraus, dass der vermeintlichen terroristischen Vereinigung nur das Verteilen von Flugblättern in Izmir und Bursa zur Last gelegt wird.

Obwohl nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Angeklagten tatsächlich mit der Organisation etwas zu tun haben, wurden fünf von ihnen, darunter Mehmet Bakir und Mehmet Desde, als Gründer einer „unbewaffneten terroristischen Vereinigung“ zu besagten 4 Jahren 2 Monaten Haft verurteilt.

Die Anklage gegen die Polizisten kam erst zustande, nachdem das deutsche Konsulat in Izmir sich eingeschaltet hatte, weil Mehmet Desde deutscher Staatsbürger ist. Auf Anweisung aus Ankara nahm die Staatsanwaltschaft in Izmir die Ermittlungen erneut auf. Erst jetzt wurden Desde und Bakir von unabhängigen Ärzten in Izmir untersucht. Aufgrund deren Befund erstellte die Staatsanwaltschaft eine Anklage, in der die vier Polizisten beschuldigt werden, die Kläger während der Polizeihaft im Sommer 2002 gefoltert zu haben. Trotzdem hat Mehmet Bakir wenig Hoffnung, dass die Polizisten verurteilt werden könnten. „Solche Prozesse laufen oft jahrelang und am Ende kommt nichts heraus.“ JÜRGEN GOTTSCHLICH