Ein Fest für fünf Sekunden

Im Bremer Fallturm sausen Staubflusen für zehn Sekunden durch das Nichts und geben Aufschluss über die Entstehung der Planeten

aus Bremen Eiken Bruhn

„The Drop Tower is a symbol of the local aerospace industry.“ Das war Englisch. Es bedeutet, dass der Fallturm ein Symbol der Bremer Raumfahrt-Industrie ist. Der Drop Tower steht auf dem Campus der Bremer Universität und sieht aus wie ein weiß angestrichener Fabrik-Schornstein. Mit 146 Metern ist er so hoch, dass man ihn von vielen Orten in Bremen sehen kann. Was das tolle an einem Fallturm ist, wird weiter unten erklärt. Gesagt hat den englischen Satz gestern Edelgard Bulmahn bei einem Fest im Fallturm, wo viele Männer und ganz wenige Frauen sich über fünf Sekunden gefreut haben. Auch dazu später mehr. Bulmahn ist die oberste Chefin des Ministeriums für Bildung und Forschung in Deutschland. Das gibt viel Geld aus für Falltürme und Wissenschaftler. Das sind Männer und Frauen, die alles über die Welt und das All heraus bekommen wollen.

Der Astro- und Geophysiker Ingo von Borstel zum Beispiel möchte unbedingt wissen, wie Planeten wachsen. „Wie ist die Erde entstanden, und wo kommen wir eigentlich her?“, fragt er sich. Um das herauszubekommen, arbeitet er an der Technischen Universität in Braunschweig mit anderen Forschern zusammen. Manchmal fährt er nach Bremen, weil er dort am besten seine Experimente machen kann. Ingo von Borstels Spezialgebiet ist Staub. Wenn er weiß, was Staub macht, wenn es keine anderen Einflüsse gibt, „wenn der Staub nur mit sich selbst in Kontakt kommt“, dann, so hofft er, kann er auch einmal erklären, wie sich die Planeten geformt haben. Ingo von Borstel weiß schon, dass auch in Ruhe gelassener Staub irgendwann Flusen bildet, „genau solche, wie sie manchmal unter dem Bett liegen, wenn dort nicht ordentlich gefegt wird“. Was er noch unbedingt herausfinden will: Wann der Staub aufhört, „aus 85 Prozent Nichts“ zu bestehen und anfängt, eine eigene Form anzunehmen. So wie ganz früher einmal die Planeten.

Dafür braucht Ingo von Borstel die Schwerelosigkeit, um den Staub im richtigen Umfeld beobachten zu können. So etwas gibt es eigentlich nur im Weltall – und in einem Fallturm. Dort befinden sich Forschungsapparate für den freien Fall und sind für die kurze Dauer des Falls schwerelos. Erforschen kann man damit alles mögliche: Wie sich Flüssigkeiten verhalten oder gasförmige Strömungen. Die Ergebnisse interessieren zum Beispiel Hersteller von Raumfahrttechnologie. Lebendige Wesen kann man nicht abwerfen, nur ganz kleine, weil sie den Aufprall sonst nicht überleben würden. Deshalb werden die Experimente gefilmt oder fotografiert. Aber auch, damit man es sich noch einmal in Zeitlupe ansehen kann.

Nur vier Falltürme gibt es auf der Welt, in den USA, in China und in Bremen, sagt Hans Rath. Er ist der Chef des universitären Bremer Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie, abgekürzt ZARM, und der ZARM-Fallturmbetriebsgesellschaft. Er ist mächtig stolz auf den Bremer Fallturm, der vor 14 Jahren fertig gebaut wurde. 45 Millionen Euro hat das Bundesbildungsministerium seit 1990 in den Turm gesteckt. Seit gestern ist Hans Rath noch ein bisschen stolzer, weil er der Ministerin zeigen konnte, dass die neue Katapultanlage funktioniert. Das Land Bremen hat für die neueste Anlage 1,3 Millionen Euro bezahlt. Mit der verdoppelt sich die Zeit, in der Experimente gemacht werden können. Von 4,74 auf 9,5 Sekunden. „Ganz scharf“ sei der Astrophysiker Jürgen Blum auf die 9,5 Sekunden, sagt Hans Rath. Das stimmt, sagt Jürgen Blum. Er ist der Chef von Staub-Forscher Ingo von Borstel und hofft, dass die Experimente im Fallturm gelingen. „Wenn das klappt, gibt es sofort Geld“, sagt Blum. Und dann können die Flusen endlich dahin reisen, wo sie hin gehören: zur internationalen Raumstation ISS im Weltall.