Die Schnittchen von nebenan

Hamburgs Golden Pudel Klub hat unliebsame Nachbarschaft bekommen. Seit in Hörweite ein Edel-Restaurant eröffnet hat, schaut öfter mal die Polizei vorbei, und in der Gegend patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst. Ein Bericht vom aktuellen Verdrängungskampf in der Hafenstraße von St. Pauli

von Tina Petersen

Es gibt Leute, die wissen nicht, was der Golden Pudel Klub ist. Das macht natürlich nichts und ist im übrigen auch ganz im Sinne seines Betreiber-Kombinates, das unter anderem aus Rocko Schamoni, Viktor Marek und Schorsch Kamerun besteht. Seit über elf Jahren backen sich die Musiker und Multitask-Künstler in der Hafenstraße Nummer 27 ein Ei auf den Mainstream. Machen Musik, Ausstellungen und Tüdelkram, laden zum Bierchen oder schmeißen den „Meinungswindkanal Pudel“ an. Denn die Welt soll eine bessere sein, gerecht und glamourös.

Als der Pudel Klub an den Hafen zog, war die Gegend für Investoren und geldschwere Konsumenten noch Niemandsland. Die Viertelbewohner gehörten mehrheitlich zu den ärmsten der Stadt, vor den Leuten der erkämpften Hafenstraßen-Häuser schlotterten dem Hamburger Bürgertum noch die Knie.

Heute sieht hier nur noch der Pudel fertig aus. „Was ist denn das für ein Haus da? Gehört das zur Hafenstraße? Wird das bald abgerissen?“, fragte des Pudels neuer Nachbar, Herr Moaiyeri, Pächter der Riverkasematten, im Frühling dieses Jahres den Kollegen vom darüber liegenden Café Amphore. Herr Moaiyeri meinte den Golden Pudel Klub. Dass er nicht weiß, was der Pudel ist, macht natürlich was. Denn er ignorierte, dass er mit seinem edlen Lounge-Restaurant, das im Juni eröffnete, nicht nur in umkämpftes Gemäuer zog, sondern dass dieses Viertel sehr agile Bewohner hat, die nicht gewillt sind, es dem Diktat solventer Gäste zu überlassen, „die es schick finden, im ,authentisch-anrüchigen‘ St. Pauli einen witzigen Abend zu verbringen“, so Schamoni.

Einem Netzwerk aus Anwohnern, der Hafenstraße, dem Pudel Klub und den Künstlern Christoph Schäfer und Margit Czenki gelang, was weltweit für Aufsehen sorgte: Die Verhinderung des Bebauungsplanes für das Gelände oberhalb von Pudel und Riverkasematten, stattdessen die Realisierung von „Park Fiction“. Nach zehn Jahren behördlicher Kämpfe, öffentlicher Wunschproduktion und Planung sind diesen Sommer die Entwürfe der Anwohner Realität geworden. Vom „Fliegenden Teppich“ oder den „Palmeninseln“ kann nun jeder bequem den freien Blick auf den Hafen genießen. „Die zentrale Idee von Park Fiction ist die Aneignung der Stadt durch ihre Bewohnerinnen und Bewohner“, erklärt Christoph Schäfer. Ohne die würde es den Pudel im letzten, alten Fischerhaus da unten nicht mehr geben.

Mit der Eröffnung der Edelgastronomie in den Riverkasematten kommt nun ein ganz anderer Geist über den Hafenrand. Zur Eröffnung des Restaurants bezog die Polizei in Kampfmontur ganze Wochenenden Stellung, und von Anfang an patrouilliert der private Sicherheitsdienst vom Lokal durch den oberhalb gelegenen öffentlichen Park Fiction.

„Wann immer jemand an den Pflanzen vor den Kasematten zuppelt, rufen sie die Polizei und schicken sie zu uns“, erzählt Viktor Marek. In der Welt schwärmte ein Autor von den „güldenen Kacheln in den Waschräumen“ der Kasematten, den „schönen Korb- und Teakmöbeln“ und den Hauptgerichten „zwischen 18 und 24 Euro“. In St. Pauli schwärmte niemand. „ Das gehört eher an die Alster und ist ausgerechnet an dieser Stelle ein Affront gegen das Viertel und seine politische Bedeutung“, sagt Rocko Schamoni.

Ein Affront, den Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun schon kommen sahen. Klausmartin Kretschmer, Eigentümer der Riverkasematten, hatte schon im Frühjahr 2001 klargestellt, für welche Klientel er das alte Gemäuer erworben hat. Kretschmer, der auch die ehemals besetzte „Rote Flora“ im Hamburger Schanzenviertel gekauft und sich als deren Gönner inszeniert hatte, vermietete zum Einstand in der Hafenstraße die Räume dem „nationalen Kommunikationskongress Hamburger Dialog“, der dort die „MediaNight“ feierte. 400 Polizisten wurden aufgefahren, um den geladenen Professionals ein geruhsames Schnittchen zu ermöglichen, zubereitet vom Food-Designer aus London und serviert im eigens errichteten Alu-Glas-Vorbau. Auf der Straße protestierten ein paar hundert Leute gegen die martialische New-Economy-Party.

Nebenan im Pudel sah man an jenem Abend über die Großleinwand Schamoni und Kamerun vor den Riverkasematten als deren Bauherren flimmern. Mit iBook, blonder Assistentin und echt dicker Hose. Schamonis Stimme aus dem Off erläutert den „Content“ des „Image-Films“: „Vor allem Touristen und kaufkräftige Kundschaft aus den benachbarten Stadtteilen sollen das künftige Zentrum des Park Fiction lebendig und wirtschaftlich rentabel machen. Im übrigen sind wir bereit, mit niemandem darüber zu diskutieren. Wir gehen sogar noch weiter. Wir weihen Sie erst gar nicht ein. Bewundern Sie das Zauberspiel einer nach Einzelinteressen orientierten Stadtplanung.“ Nachdem die „feierliche Schlüsselübergabe an Michael Ammer“ für null Uhr angekündigt ist, nehmen beide ihre Bauhelme ab und reichen sie nach hinten. Die Blondine schleppt.

Wer kam, waren aber nicht der Hamburger Partykönig Ammer and friends, sondern die neuen Betreiber der Kasematten. Sie legten fünf Euro auf den Pudel-Tresen und sagten zur Dame dahinter: „Hol‘ mal Zigaretten. Den Rest kannst du behalten!“ So macht man sich Freunde im Viertel.

Völlig absurd ist für Schamoni, wenn sich die Abneigung gegen die zunehmende Gastronomisierung des Hafenrands gegen den Pudel selbst wendet. Am Rande des Parkeröffnungs-Pudel-Sommerfests lamentierte eine kleine Runde Anwohner inklusive Kontaktbereichsbeamtin über Dreck und Lärm im Viertel und dass der Pudel sich „wohl eine goldene Nase“ verdiene. „Wenn ich das höre, könnte ich sofort aufhören!“, sagt Schamoni. „Wir stehen immer noch für das unkommerzielle St. Pauli, das für die Leute da ist und sie nicht ausnimmt. Ich verdiene da so gut wie gar nichts und habe dazu noch den Stress mit den Behörden“.

Auch Viktor Marek findet es „frustrierend“, wenn dem Pudel angelastet wird, dass mehr los ist im Viertel. „Wir sind die Station die dagegen steuert“, sagt er, und nicht dem Pudel, sondern dem Viertel gehe es an den Kragen. Weitere Cocktail-Bars kommen, man munkelt von einem Starbuck‘s... Für Schamoni ist rätselhaft, „dass die Leute nicht spüren, wo oben und unten ist. Das merkt man doch“.

Mancher wohl doch nicht. Aber will man da helfen? Der Pudel, sagt Schamoni, wolle keinen größtmöglichen Umsatz und keine Horden, die „durchlaufen“, „durchkonsumieren“ und sich auf einer „durchdesignten“ Abbruch-Party wähnen. „Wir wollen ein Rückzugsort für alle die sein, die das nicht mehr ertragen.“ Gelegentlich verspürt Schamoni einen gewissen Stolz ob der „totalen Unvereinnehmbarkeit des Klubs“.

Wäre schön, wenn‘s so bleibt. Denn alsbald werden Toiletten im Hof stehen. Die einzigen öffentlichen zwischen Landungsbrücke und Fischmarkt. „Ihr könnt erahnen, was da auf uns zu rollt“. Ach Rocko, armer Pudel!