Zivilgesellschaft unter der Kontrolle des Kreml

Russisches Parlament verabschiedet in zweiter Lesung Gesetz über NGOs. Auch neue Version öffnet Willkür Tür und Tor

BERLIN taz ■ „Die Möglichkeiten, in Russland Druck auf politisch missliebige Organisationen auszuüben und gegen sie vorzugehen, werden sich enorm vergrößern. Die dafür notwendigen neuen Instrumente bekommen die Behörden jetzt in die Hand“, sagt Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin des „Deutsch-russischen Austauschs“.

Die Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitz in Berlin hat einen russischen Partnerverein in St. Petersburg. Der muss sich demnächst neu registrieren lassen und die deutschen Mitglieder aus dem Vorstand ausschließen. Denn künftig dürfen bei russischen Organisationen keine Ausländer mehr in Leitungsgremien sitzen. „Das macht die internationale zivilgesellschaftliche Kooperation fast unmöglich“, sagt Schiffer.

Genau das ist auch einer der gewünschten Effekte des Gesetzes über NGOs, das das russische Unterhaus gestern in zweiter Lesung mit großer Mehrheit verabschiedete. Im Kern geht es darum, Nichtregierungsorganisationen einer möglichst lückenlosen Kontrolle des Staates zu unterstellen, um – so die offizielle Lesart – Terrorismus und Geldwäsche zu bekämpfen sowie die Finanzierung politischer Aktivitäten durch das Ausland zu unterbinden.

Bereits am 23. November hatte die Duma einen ersten Entwurf abgenickt. Als Reaktion auf eine scharfe Kritik des Europarats ordnete Präsident Wladimir Putin eine Überarbeitung an. So entfällt jetzt zumindest die Verpflichtung ausländischer NGOs, sich als russische Körperschaften beim Justizministerium neu registrieren zu lassen. Auch muss der Gründer einer russischen NGO rechtskräftig wegen Extremismus oder Geldwäsche verurteilt worden sein, um seiner Organisation die Registrierung zu verweigern. Vorher reichte dafür der bloße Verdacht.

Ansonsten sind die 74 Seiten langen Nachbesserungen, die gestern zur Abstimmung standen, kosmetischer Natur und weitgehend offen für eine kreative, sprich restriktive Auslegung. So kann die Tätigkeit ausländischer NGOs unterbunden werden, wenn sie die russische Souveränität, die territoriale Integrität, die nationale Einheit, das kulturelle Erbe oder die nationalen Interessen bedrohen. Schluss mit finanziellen Zuwendungen an einheimische Organisationen oder der Durchführung spezieller Programme ist auch, wenn ausländische NGOs die nationale Sicherheit oder die Rechte andere Bürger beeinträchtigen sollten.

Im Falle von Gesetzesverstößen – „zwei kleinen oder einem großen“ – können die Behörden bei Gericht die Schließung einer NGO beantragen. Welche Rechtsverletzungen das sein können, lässt das Gesetz, das am 1. Januar 2006 in Kraft treten soll, offen. „Da reicht es auch schon, wenn die Feuerschutzbestimmungen nicht eingehalten werden“, sagt Lev Levinson vom Moskauer Institut für Menschenrechte. Zudem müssen alle NGOs beim Justizministerium in regelmäßigen Abständen detaillierte Berichte über ihre Finanzen und Aktivitäten vorlegen.

Der Abgeordnete der Partei Rodina und einer der Autoren des Gesetzes, Alexander Tschujew, hält den Vorwurf von Kritikern, mit dem Gesetz wolle der Kreml Revolutionen wie in der Ukraine oder Georgien verhindern, für „an den Haaren herbeigezogen“. „Jeder aus dem Ausland, der die Absicht hat, eine Art Revolution in Orange in Russland zu fördern, kann das über geschäftliche Kanäle tun“, sagte er. BARBARA OERTEL