Der stadtbekannte Unbekannte

Kennern der Neonazi-Szene ist einer der U-Häftlinge ein bekanntes Gesicht. Was weiß Brandenburgs Innenminister?

VON ASTRID GEISLER

Bloß keine voreiligen Schlüsse ziehen aus dem Fall Ermyas M., warnt seit Tagen Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Der rechtsextremistische, fremdenfeindliche Hintergrund der Tat sei nach wie vor fragwürdig. Kenner der rechtsextremen Szene in Potsdam finden etwas anderes fragwürdig: Wieso sagt der Innenminister so etwas? Müssten seine Sicherheitsbehörden den Tatverdächtigen Thomas M. nicht kennen – aus dem Umfeld der gewaltbereiten Potsdamer Neonazi-Szene?

„Thomas M. gehört seit mehreren Jahren zur rechtsextremen Szene in Potsdam“, sagt Falko Schumann, der sich beim Berliner Antifaschistischen Pressearchiv (Apabiz) intensiv mit Neonazis aus Berlin und Brandenburg befasst hat. Der Verdächtige sei ein „enger Freund“ des Neonazis Marcus Sch., den das Potsdamer Landgericht erst vor einigen Wochen wegen des Überfalls auf einen Linken in einer Straßenbahn zu einer Haftstrafe verurteilte. Thomas M. sei wiederholt im Pulk mit anderen Rechtsextremen bei Prozessen gegen Neonazis in Potsdam aufgekreuzt, um die anwesenden Opfer und Zeugen einzuschüchtern und Solidarität mit den Angeklagten zu bekunden. „Den haben wir dort gesehen“, versicherte Schumann der taz.

„Ich kann bestätigen, dass ich ihn bei einem Prozess gegen Neonazis gesehen habe, die einen Jugendlichen auf die S-Bahn-Gleise geschubst hatten“, sagte auch die 20-jährige Paula vom Potsdamer Arbeitskreis Antifa der taz. „Der Mensch ist bekannt hier. Der ist regelmäßig mit anderen Neonazis aufgetreten.“ Laut Spiegel soll M. wegen seines Bärtchens in der Szene den Spitznamen „Hitler“ getragen haben.

Sowohl Thomas M. wie auch der 29-jährige ebenfalls in Untersuchungshaft sitzende Björn L. bestreiten alle Vorwürfe. Sie wollen zur Tatzeit überhaupt nicht am Tatort gewesen sein.

Björn L. – Türsteher, Hobbybodybuilder, wegen seiner hohen Stimme von der Potsdamer Halbwelt mit dem Spitznamen „Pieps“ bedacht – ist nach Medienberichten wegen Drogen- und Waffenbesitzes polizeibekannt. Laut Spiegel versicherte seine Mutter den Ermittlern, sie habe ihren Sohn in der Tatnacht gegen 0.30 Uhr schlafend im Bett gesehen. Björn L. sei wegen einer Kehlkopfentzündung krankgeschrieben gewesen, er habe seit Wochen nur noch krächzen können und scheide auch deshalb als Tatverdächtiger aus, erklärte sein Verteidiger Veikko Bartel. Der 29-Jährige sei ein „unbescholtener Bürger“ und auch nie im Zusammenhang mit Rechtsextremismus aufgefallen.

Kriminaltechnische Ermittlungen der Bundesanwaltschaft erhärteten indes gestern den Verdacht gegen beide Beschuldigten. So ergaben DNA-Analysen von Blutspuren auf einer am Tatort gefundenen zersplitterten Bierflasche laut der Behörde, dass der 30-jährige Verdächtige Thomas M. als „Spurenleger“ in Betracht komme. Die Analyse der Stimmenaufzeichnungen habe zudem ergeben, dass es sich bei einer der Stimmen auf der Handymailbox „wahrscheinlich“ um die von Björn L. handele, teilte Generalbundesanwalt Kay Nehm mit. Er blieb bei seiner Einschätzung, dass es sich um eine fremdenfeindlich motivierte Tat handeln dürfte.

Was aber wissen die Ermittler über das Umfeld des Beschuldigten Thomas M.? Bild am Sonntag berichtete, dem Verfassungsschutz lägen „keinerlei Hinweise auf rechtsextremistische Aktivitäten der beiden vor“. Sie seien „in der einschlägigen Szene völlig unbekannt“.

Falsch, wenn man dem Tagesspiegel glaubt. Nach Informationen des Blattes soll M. auch brandenburgischen Sicherheitsbehörden in der rechtsextremen Szene aufgefallen sein, unter anderem bei Neonazi-Prozessen. Die Quelle dieser Information nennt das Blatt nicht – vermutlich mit gutem Grund: Welcher Beamte will schon offen dem Dienstherrn Schönbohm widersprechen?

Die Behauptung sei womöglich inhaltlich richtig, erklärte gestern das Potsdamer Polizeipräsidium. „Unsere Behörde hat sich zu dieser Fragestellung aber nicht geäußert.“ Schließlich habe Karlsruhe mit den Ermittlungen auch die Pressearbeit übernommen.

Dass Sicherheitsbehörden von dem rechtsextremen Freundeskreis des Beschuldigten M. nichts bekannt ist, kann Apabiz-Mitarbeiter Schumann nicht glauben. M. habe zwar mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Mitgliedsausweis einer rechtsextremen Organisation. Das bedeute aber nicht, dass er nicht zum rechtsextremen Spektrum zähle. Zumal seit den „Kameradschafts“-Verboten in Berlin ein Großteil der Szene keiner Gruppierung mehr angehöre.

Dem Apabiz liegen Fotos aus der Zeit von 1999 bis 2005 vor, auf denen M. mit Neonazis zu sehen sein soll. Eine Aufnahme zeige den Beschuldigten mit dem Schlagzeuger der Rechtsrock-Band „Landser“, die von Gerichten als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde. Bisher seien aber noch nicht alle Fotos eindeutig zugeordnet, sagte Schumann. Der Grund: Auch ein Bruder von M. sei im rechtsextremen Umfeld unterwegs, deshalb bestehe Verwechslungsgefahr. An seinem Urteil über den Inhaftierten ändert das aber nichts: „M. ist eine Szenegröße. Der ist den Potsdamer Sicherheitsbehörden auf jeden Fall bekannt.“