Wirbel in Bosnien um Naser Orić

Exkommandeur der bosnischen Verteidiger in Srebrenica ist nach Haager Prozess nach Hause zurückgekehrt. Für die einen ist er ein Held, für die anderen ein Kriegsverbrecher

SARAJEVO taz ■ 500 identifizierte Opfer des Massakers im bosnischen Srebrenica werden heute in dem Ort Potočari beigesetzt. Anlass ist der elfte Jahrestag des Massakers, bei dem im Juli 1995 8.000 Menschen von serbischen Truppen ermordet wurden. Die Sicherheitskräfte sehen diesem Ereignis mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn dort könnte Naser Orić dort auftauchen, was zu militanten Reaktionen der Serben führen könnte.

Naser Orić, ehemaliger Kommandeur der bosnischen Verteidiger in der im Krieg von serbischen Truppen eingeschlossenen Enklave von Srebrenica, ist erst vor wenigen Tagen nach seinem Prozess vor dem UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien nach Bosnien zurückgekehrt. Das wurde möglich, weil das Urteil milde ausgefallen ist. Es lautet auf zwei Jahre Haft und ist durch die Untersuchungshaft abgegolten.

Das Urteil und Orić’ Freilassung haben in Bosnien viel Staub aufgewirbelt. Den Überlebenden des Massakers vom Juli 1995 gilt er als Held. Tausende von Menschen wollten ihn am Flughafen begrüßen. Denn der zu Beginn des Krieges 1992 25 Jahre alte Polizist erwies sich in ihren Augen während der dreijährigen Belagerung, als mehr als 40.000 Menschen sich in dem Ort zusammendrängten, als eine fähige Persönlichkeit. Orić gelang es, unter widrigsten Umständen die Verteidigung des Orts zu organisieren. Durch nächtliche Angriffe auf die serbischen Linien und Dörfer gelang es seinen Truppen 1992, Waffen und Munition zu erbeuten. Erst als die UN-Truppen 1993 die Enklave absichern sollten, stellten die Verteidiger ihre Gegenangriffe ein.

Für die serbische Seite ist Naser Orić ein Kriegsverbrecher, der serbische Dörfer überfallen und Zivilisten ermordet hat. Über 3.200 Tote sollen nach Meinung der Serben auf sein Konto gehen. Das Urteil macht nach Meinung der serbischen Öffentlichkeit die Ungleichbehandlung zwischen den bosniakisch-muslimischen Verteidigern und den Serben deutlich. Selbst der als liberal geltende serbische Präsident Boris Tadić kritisierte das Tribunal. In der Region drohten Aktivisten der serbischen Kriegsveteranen mit Aktionen gegen die heutigen Feierlichkeiten.

Schon seit langem versuchen serbische Medien, die Zahl der serbischen Opfer in der Region nach oben zu korrigieren. Die Schmach, das Massaker an den Muslimen verantworten zu müssen, habe diese Art der Reaktion hervorgerufen, vermuten Menchenrechtsorganisationen. Mit der Annahme, es habe sich um Kampfhandlungen mit Opfern auf beiden Seiten gehandelt, ließe es sich einfacher leben als mit der Anschuldigung, das Massaker geplant und systematisch betrieben zu haben.

Serbische Medien behaupten zudem, in Sarajevo seien ebenfalls mehr als 3.000 Serben ermordet worden. Aber die serbischen Zahlen sind weder in Srebrenica noch in Sarajevo haltbar. Es gab zwar serbische Opfer, doch die meisten waren Soldaten und nicht Zivilisten. Die von serbischer Seite vorgelegten Listen von Opfern stellten sich nach Quellen aus Den Haag großenteils als falsch heraus.

Das Gericht hat Naser Orić lediglich für die Misshandlung von sieben serbischen Zivilisten in der Polizeistation von Srebrenica verantwortlich gemacht. Er sei zwar nicht an der Folter und dem Mord an den Serben beteiligt gewesen, doch diese Taten wären unter seinem Kommando geschehen, er hätte sie verhindern müssen. Strafmildernd würdigte das Gericht die besonderen Umstände in der damaligen Enklave und das jugendliche Alter des Angeklagten. Zudem habe er sich freiwillig gestellt.

Naser Orić selbst hält sich bedeckt. Er gab trotz Anfragen internationaler Medien nur einem lokalen Reporter aus Tuzla ein Interview. Im Gefängnis von Den Haag habe ihn sein Zellennachbar Slobodan Milošević mehrmals aufgefordert, ihm einen Bericht über Srebrenica zu schreiben, erklärte er. Der serbische Nationalistenführer Vojislav Seselj spiele jeden Tag Schach mit dem aus Mostar stammenden kroatischen Extremisten Mladen Naletelić. ERICH RATHFELDER