PETER UNFRIED über CHARTS
: 104 – fast so erotisch wie eine Oberweite

Die Charts: Warum reden alle vom Toyota Prius Hybrid – und keiner vom Honda Civic Hybrid?

Klimakatastrophe: Es gibt zwei Hybridautos auf dem deutschen Markt, die im weitesten Sinne das Klima schützen. Warum redet alles nur über den Toyota Prius Hybrid? Aber keiner über den Honda Civic Hybrid?

Bis zur Antwort zunächst schnell der Grundkurs für Neueinsteiger: Auf dem Weg zum Elektroauto, das die Autoindustrie bisher nicht hingekriegt haben wollen hat, ist der Hybrid eine Übergangstechnologie. Er verbindet den (Benzin-)Verbrennungsmotor mit einem Elektromotor. Hybrids können bei niedrigen Geschwindigkeiten in der Stadt den sich selbst aufladenden Elektromotor nutzen und sich dadurch sprit- und schadstoffarm bewegen und auch leise, weil der Elektromotor tatsächlich schnurrt wie ein Kätzchen, wenn überhaupt. Auf der Autobahn bringen sie nichts.

Der Toyota Prius (104 g/km CO2-Ausstoß) hat – über seine inneren Werte hinaus – in den letzten Tagen eine Abbildungskarriere gemacht, wie sie derzeit sonst nur Projektionsflächen wie Paris Hilton und Anna Nicole Smith offen steht. Die Zahl 104 ist inzwischen fast so erotisch aufgeladen, als stünde sie für eine Oberweite. Heißt: Toyota hat sein Image als Ökoautogigant weiter ausgebaut, obwohl der Flottenverbrauch (163 g/km) das nicht im Geringsten einlöst. Die Marketingabteilung hat gut gearbeitet, speziell mit der Verzahnung in den Bereich von Bild, den man bei Qualitätszeitungen redaktionell nennt. Wenn man jetzt tatsächlich noch an Renate Künast einen Prius loswird, sollte der Toyota-Chef eine Belobigung aussprechen.

Dafür hat das Basiswissen in kurzer Zeit zugenommen. Im Leserbriefteil des Schwäbischen Tagblatts diskutieren Tübingens Bürger mittlerweile auf hohem Niveau den neuen Dienst-Prius ihres Oberbürgermeisters Boris Palmer. Also nicht mehr nur: Darf man Japaner fahren? Sondern, ob der Prius wirklich das richtige Auto für die realen Bedürfnisse des OB ist, also im wesentlichen Stadtverkehr und 35-Kilometer-Fahrten auf der B 28 nach Stuttgart. Ist es das? Gerd Lottsiepen vom VCD sagt: Ja. Palmer selbst schwärmt davon, wie er dank der Bremsenergie „ohne eine Gramm CO2 von Degerloch bis zum Landtag runter“ fährt. Auf dem Rückweg, den Berg rauf, geht das selbstredend nicht. Ansonsten hat er auf tübingen.de eine Seite einrichten lassen namens „Häufig gestellte Fragen zum neuen Dienstwagen mit Hybrid-Antrieb“. Bei der derzeitigen Nachfrage könnte das ein echtes Clickmonster werden.

Dagegen hat offenbar keiner Fragen zum Honda, obwohl der in der VCD-Umweltliste vor dem Prius die Nummer eins ist, weil er zwar etwas mehr CO2 ausstößt (109 g/km), aber noch leiser durch die Stadt schwebt.

In Kalifornien ist der Civic sehr gegenwärtig, in Deutschland kennt ihn praktisch keiner. Honda arbeitet hier deutlich weniger als Toyota mit dem Imagefaktor Hybrid. Grade musste man ungeschickterweise das Modelljahr 2006 zurückrufen, wegen eines Problems mit dem 20-PS-Elektromotor.

Im Jahr 2006 wurden 614 Honda Civic Hybrid verkauft, das rechtfertigt kaum die Aufnahme in die VCD-Liste, in der echte Ökoautos wie das Leichtelektromobil Twike als Nischenprodukte nicht vorkommen.

Interessant ist aber, dass Honda offiziell mitteilt, man bewege sich mit seiner Hybridentwicklung nicht in Richtung Luxussegment wie Toyota mit dem Lexus GS 450 H, das ist die 345-PS-Limousine der grünen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. In der Oberklasse sollen Dieselmotoren den Verbrauch senken, „unten wollen wir künftig auch unter der Civic-Klasse Hybrids anbieten“, heißt es. Honda geht also in Richtung Hybridkleinwagen. So wie VW das auch angekündigt hat. Und beim Auto ist es so: Wo etwas kleiner wird, wird es interessant.*Die Charts im Februar Musik: Senait, „Herz aus Eis“; The Decemberists, „Sixteen Military Wives“ Konzert: The Decemberists (Postbahnhof, Berlin) Buch: Fred Grimm, „Shopping hilft die Welt verbessern“ Magazin: Vanity Fair (Klimaberichterstattung)

Fragen zu Autoerotik? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf aus OVERSEAS