In Wurstgewittern

Ein Amerikaner in Berlin. Eine Begegnung mit dem Skandalkoch Anthony Bourdain, bei Currywurst von Konnopke

VON TILL EHRLICH

Ich stand in der Wohnungstür und sprach mit dem neuen Nachbarn, der aus der westdeutschen Provinz zum hippen Prenzlauer Berg gezogen war. Gerade sagte er, dass er mich bei der Hausverwaltung wegen Ruhestörung verpetzen wolle, wenn ich nicht künftig Filzpantoffeln in meiner Wohnung anzöge. Da klingelte das Telefon. Es war die Pressefrau von DMAX, einem neuen kleinen Fernsehsender in München. „Wir sind der erste Dokutainment-Sender für Männer in Deutschland“, sagte sie freundlich, „und wir machen das männlichste Fernsehen.“ Noch bevor ich auflegen konnte, fragte sie schnell: „Wollen Sie morgen Anthony Bourdain in Berlin treffen?“

Ich wollte. Bourdain, 51, ist ein ehemaliger Chefkoch aus New York, der vor einigen Jahren einen weltweiten Bestseller gelandet hat: „Geständnisse eines Küchenchefs“ (2001). Das Buch ist äußerst indiskret und breitet genussvoll allerhand Unappetitliches über New Yorks Restaurantszene aus. Protagonisten sind halbkriminelle Köche und sadistische Küchenchefs. Bourdain stilisiert sich als janusköpfiges Raubein und einsamer Wolf, der in zwielichtigen Restaurantküchen als Chefkoch ein „Rudel beinharter Jungs“ anführt, sich nicht unterkriegen lässt und überlebt, weil er Prinzipien hat, an die er sich eisern hält.

Seit seinem Erfolg hat Bourdain seine Küchencrew gegen ein Fernsehteam eingetauscht, ist neun Monate im Jahr auf Reisen und lässt sich dabei filmen, wie er in die entlegensten Gebiete der Welt fährt und die dortigen Spezialitäten verspeist. Er hat in Amerika im Travel Channel eine eigene Fernsehserie, „No Reservations“, die jetzt bei DMAX unter dem Titel „Anthony Bourdain – Eine Frage des Geschmacks“ läuft. Konzeptionell ist die Serie an seinen zweiten Bestseller, „Ein Küchenchef reist um die Welt“ (2002), angelehnt. Dort schildert er seine rastlose Suche und unstillbare Gier nach kulinarischer Exotik, nach ausgefallenen Speisen, Abgründen und Passionen des Genusses. In Namibia verspeist er gekochtes Warzenschweinfleisch und fingerdicke Würmer, in Tokio giftigen Kugelfisch und in Saigon das noch schlagende Herz einer Kobra. In der Sahara testet er Hammelhoden und in Kanada rohes Robbenfleisch. Er ist ein kulinarischer Erotomane, der immer den Kick sucht, die nächste Sensation. Ekel ist ihm offenbar fremd. Und wenn er welchen hat, dann ertränkt er ihn in Bier und Wodka, fast jede Geschichte handelt auch vom Suff und endet meist auch darin. In hellen Momenten fragt er sich, was er hier und da verloren hat. Ansonsten inszeniert er Erlebnisse, die storytauglich sein müssen. Er veröffentlicht fast jedes Jahr ein neues Buch in ähnlicher Manier, das aktuelle heißt „Kleine Schweinerein“ (Heyne Verlag 2007, 8,95 Euro).

„Was will Bourdain in Berlin?“, fragte ich die DMAX-Frau, weil mir hier nichts Exotisches oder besonders Ekelhaftes einfiel, was für ihn neu sein könnte. „Er dreht die nächste Staffel und will in Prenzlauer Berg die Currywurst von Konnopke testen.“ Wird die jetzt aus Katzenfleisch hergestellt?, schoss es mir durch den Kopf. Oder aus Gammelfleisch? Doch die Dame aus München war wirklich nett, ich wollte sie nicht schockieren und fragte, warum Bourdain nicht in ein gutes Restaurant gehen wolle. „Wir haben ihm das Borchardt am Gendarmenmarkt in Mitte empfohlen, aber er ist auf Konnopkes Imbiss fixiert.“ Edelrestaurants und Trendlokale habe er satt. Was er wolle, sei „the real wurst“.

Konnopkes Imbiss liegt auf einer Straßeninsel inmitten der Schönhauser Allee, direkt unter der Hochbahn. Über der Wurstbraterei bremsen die Züge ab bei ihrer Einfahrt in den U-Bahnhof Eberswalder Straße. Es ist ein seltsamer Ort, oben rumpelt die U-Bahn, unten strömt links und rechts der Verkehr. Wer hier, Ecke Schönhauser, die Kreuzung quert, muss an Konnopke vorbei. Es riecht nach U-Bahn-Bremsgummi und Bratfett. Der Lärmpegel ist hoch, Autoabgase wehen heran, während die Würste hastig verschlungen werden. Eins fünfzig kostet die darmlose Currywurst. Eigentlich denkt man hier nicht an Essbares.

Nach der morgendlichen Pressekonferenz im Marriott Hotel am Potsdamer Platz kommt Bourdain mit seinem amerikanischen Fernsehteam und ein paar Journalisten im Schlepptau zu Konnopke. Der Chef, Mario Ziervogel, 43, bringt Bourdain eine Curry mit Pommes und eine Flasche Pils. Die Kamera läuft, Bourdain zieht an seiner Zigarette, kostet die Wurst und sagt: „This is real junk food. I like it.“ Das hatte er schon am Morgen gesagt. Ziervogel bringt Bourdain noch eine Bulette. Die begeistert ihn. „The wurst is delicious, but the bulette is great.“

Max Konnopke hatte sich 1930 einen Wurstkessel um den Bauch gebunden und Bockwürste verkauft. Nach dem Krieg wurde ein Wurstwagen aufgestellt. Die Arbeiter kamen auf ihrem Weg zur U-Bahn vorbei. Vor der Frühschicht spülten sie hastig ein, zwei Würste mit Pils runter, abends kamen sie noch mal. 1960 wurde ein fester Holzkiosk gebaut und die darmlose Currywurst in Ostberlin eingeführt. Konnopkes Tochter Waltraud ließ 1983 den heutigen Kiosk unter der Hochbahn errichten, ein mit gelblichem Aluminiumblech verkleidetes, stabiles Fossil aus der DDR-Zeit. Vier Jahre später, zur 750-Jahr-Feier Berlins, wurde eine Sitzecke mit Zementsichtblende und Zeltplane angebaut, im Stil eines ostdeutschen Schrebergartens. Seitdem hat sich nichts verändert.

Mario Ziervogel, der Enkel Max Konnopkes, leitet heute den Familienimbiss mit vierzehn Mitarbeitern. Er nimmt die Bestellungen an und kassiert. Immer mit demselben Gesichtsausdruck, in der gleichen monotonen Tonlage und mit dem immer gleichen Text. Die Frauen, die für ihn arbeiten, tragen rosaweiße Kittelschürzen, eine steht den ganzen Tag an einer großen Bratmulde und fischt tausende Würste aus siedendem Fett heraus, eine andere frittiert nur Pommes, und eine dritte reicht den Kunden das Gewünschte zu. Immer die gleichen Griffe und Bewegungen. Der Imbiss arbeitet präzise und geräuschlos wie ein perfektes Uhrwerk. Im 25-Sekunden-Takt werden Würste über das blitzsaubere Chromstahlblech gereicht. Das Geschäft läuft.

Bestsellerautor Anthony Bourdain kennt das Dienstleistungsgewerbe am unteren Ende der sozialen Leiter aus dem Effeff. Er war dreißig Jahre lang Koch, davon zwanzig Küchenchef. Das Milieu ist sein erzählerisches Thema, er lässt kein Klischee aus, und oft kippt der Ton ins Sentimentale. Trotzdem gelingen ihm Brüche, dann werden hinter den Posen und Stereotypen Menschen mit Geschichten sichtbar – selten hat einer die reale Brutalität in Profiküchen so direkt, lakonisch und unterhaltsam dargestellt. Anthony Bourdain ist ein Sohn französischer Einwanderer, der damit kokettiert, dass er zur Arbeiterklasse gehört. Er stammt aus der Mittelschicht und ist später ins Küchenproletariat abgerutscht. Bevor er sein Leben in den Griff bekam, war er Junkie und acht Jahre lang in einem Methadonprogramm, bis er clean war. Später wurde er Chefkoch im französischen Bistro-Restaurant „Brasserie Les Halles“, einem In-Lokal in Manhattan, dann Autor und Journalist.

Bourdain hasst Fernsehköche wie Jamie Oliver. Er bewundert vielmehr seine früheren mexikanischen Kochkollegen, die illegal Eingewanderten, die oft ohne Verträge und Papiere „in fettigen Küchen schuften, eng und gefährlich wie schrottreife U-Boote“, die am Tag „lautlos 250 Essen rausdrücken“ und ohne die in Amerika angeblich kein Restaurant funktionieren würde. Bourdain ist ein geschickter Erzähler, er vermischt die amerikanische Profiküchenwirklichkeit mit seiner Fantasie einer heroischen Küchenbrigade, einer Horde gesetzloser Abenteurer, mit eigener Moral, vom Schicksal zusammengeschweißt – einer Piratencrew im Kampf gegen den Untergang. So weit die Legende. In Wirklichkeit ist er prominenter Bestsellerautor und Teil des amerikanischen Medienbetriebs.

Nach 30 Minuten sind die Aufnahmen bei Konnopke beendet, doch Bourdain will am Ende noch, dass sein US-Kameramann eine Wurst isst. Doch der will nicht. Bourdains Augen funkeln plötzlich bös, er lässt eine Tirade los: „You man get down! Eat this working class food! That’s real“. Die Currywurst schmeckt süß, weich und fettig. So, wie Fastfood überall schmeckt. Was ist daran so besonders, frage ich ihn, nachdem er sich wieder beruhigt hat. „It’s what it is. You don’t have to speak about it …“ Er nimmt einen Schluck Pils aus der Flasche und sagt: „… like sex.“

Die Konnopkewurst ist schon lange nicht mehr „real working class food“. Sie ist ein nostalgisches Relikt. Und in diesem Moment wirken Mario Ziervogel und Anthony Bourdain wie zwei Brüder im Geiste. Der eine verkauft falsche Erinnerungen, und der andere sammelt sie. Bourdain ähnelt einem alternden Odysseus, dem auf seinen Reisen die Abenteuer ausgehen.

Schade, dachte ich, dass er nicht innehalten kann. Dann hätte er bemerkt, dass Konnopke nur noch eine Sentimentalität ist. Er hätte erfahren können, dass es hier in Prenzlauer Berg einen Bevölkerungsaustausch gab und dass die Immobilienpreise am Kollwitzplatz inzwischen so hoch sind wie am Savignyplatz im alten Westberlin. Er hätte sehen können, dass das Ostberliner Proletariat längst verschwunden ist und dass Konnopke ohne Touristen heute nicht existieren könnte. Wenn es Anthony Bourdain interessierte, hätte er die neue Wirklichkeit von Prenzlauer Berg sehen können. Die wird von Cafés bestimmt, die „Kauf Dich glücklich“, „Kakao“, oder „103“ heißen. Dort sitzen Typen wie unser neuer Nachbar mit ihren iMacs herum, mit denen Wahlproletarier Bourdain partout nichts zu tun haben will.

TILL EHRLICH, geboren 1964, ist freier Autor in Berlin. Am morgigen Sonntag laufen auf DMAX zwei Folgen von „Anthony Bourdain – Eine Frage des Geschmacks“: um 22.10 Uhr „In Ghana“ und um 23.05 Uhr „In Namibia“