Aus der Zeit herausgefallen

Ihren Film „Für den unbekannten Hund“ haben die Regisseure Ben und Dominik Reding in der wenig bekannten Subkultur der Wandergesellen inszeniert. Auf dem Oldenburger Filmfest bekamen die Gebrüder Reding dafür jetzt den Otto-Sprenger-Preis

„Zünftig“, das ist das höchste Lob unter den Wandergesellen, die auch heute noch in ihren traditionellen Trachten auf die Walz gehen, sich in einem eigenen Code verständigen und die alten Rituale ihre Zünfte befolgen. Diese Subkultur, die so völlig aus der Zeit herausgefallen zu sein scheint, ist für Filmemacher eine noch unentdeckte Goldgrube. Oder vielmehr: Sie war es. Denn genau aus ihr schöpfen die Filme machenden Brüder Ben und Dominik Reding in „Für den unbekannten Hund“, ihrem zweiten Spielfilm nach dem hochgerühmten Debüt „Oi! Warning“ (1999). Auf dem Oldenburger Filmfest haben die beiden dafür soeben den Otto-Sprenger-Preis erhalten.

Manchmal fühlt man sich da wie in einem jener Science-Fiction-Filme über Zeitreisen, wenn diese jungen Menschen, die wie aus einem anderen Jahrhundert aussehen, reden und agieren, im bundesdeutschen Hier und Jetzt gezeigt werden. Und Bastian (Lukas Steltner), der Protagonist des Films, ist ein extremes Produkt unserer Zeit: Ein Jugendlicher, dem die Playstation wichtiger ist als die Freundin und der auf der Suche nach dem Kick einen Stadtstreicher erschlägt. Weil ein Mitwisser ihn erpresst, schließt er sich einer Gruppe von Handwerksgesellen auf Wanderschaft an, und mit ihm lernt auch der Zuschauer diesen ganz eigenen, oft archaischen Mikrokosmos kennen. Diesen Mikrokosmos zeigen die beiden Regisseure mit einer Bildgewalt, die im deutschen Kino selten ist. Da wird mit schreienden Farben gearbeitet, die Elemente Feuer und Wasser züngeln und spritzen als Leitmotive immer wieder spektakulär von der Leinwand herunter, und bei der ausgeklügelten Kranfahrt hinauf zu den Arbeitenden auf einer Kirche stockt einem der Atem.

Manchmal hat man das Gefühl, die beiden Brüder wollten sich gegenseitig übertreffen, indem sie die Szenen jeweils noch radikaler, noch eigenwilliger, noch expressionistischer inszenierten. Doch lenkt dieser extrem ausgeprägte Wille zum Stil nicht von der eigentlichen Geschichte des Films ab: Die ist gut geerdet in der durchweg authentisch wirkenden Darstellung des Milieus. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie die Wandergesellen reisen, arbeiten, schlafen, essen, trinken – und wie sie als Außenseiter behandelt werden und neue Kraft aus ihrem Ehrenkodex schöpfen. Und wie sie frei sind, weil sie nichts besitzen.

Ben und Dominik Reding trauen sich was, wenn sie hier zugleich großes Kino und einen dreckigen kleinen Film machen, und so kann man die Jury nur zu der Entscheidung beglückwünschen, den diesjährigen Otto-Sprenger-Preis an sie zu vergeben. Mit diesem Förderpreis sollen „begabte Leute eine Anschubfinanzierung für ihren weiteren Lebensweg erhalten“, so wollte es der Hamburger Otto Sprenger, der 1985 aus seinem Privatvermögen die nach ihm benannte Stiftung gründete. Der Preis ist mit 8.000 Euro dotiert, und die Auswahl wurde aus Filmen von jungen Regisseuren getroffen, die im Wettbewerb des Filmfests Oldenburg liefen und einen norddeutschen Bezug hatten. So wurde „Für den unsichtbaren Hund“ im Hamburg produziert und teilweise in und um Wismar gedreht. Ebenfalls nominiert war das Gefängnisdrama „Underdogs“ von Jan-Hinrik Drevs (siehe taz nord vom 12. 9.), das schließlich den Publikumspreis des Festivals bekam.

Bisher wurde der Otto-Sprenger-Preis im Rahmen des Filmfests Hamburg verliehen, und erhalten haben ihn auch allerlei in der Zwischenzeit groß gewordene Namen: Detlev Buck etwa, Andreas Dresen, Caroline Link und Fatih Akin. Für die Oldenburger bedeutet der „Umzug“ der Auszeichnung natürlich einen großen Prestigegewinn, den sich das Oldenburger Festival aber auch im Laufe der Jahre seit 1994 erarbeitet hat: Von Anfang förderte Festivalgründer und -leiter Torsten Neumann erklärtermaßen den jungen unabhängigen deutschen Film jenseits des Mainstreams. Wilfried Hippen