Die Entdeckung der Langsamkeit

Gütertransport mit dem Handkarren

Mitten auf der Straße, zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern, zieht Tilman Tschacher alias Schott seinen Handkarren durch Moabit. Damit setzt er nicht nur ein Zeichen für die Umweltzone, sondern appelliert auch an die körperliche Fitness der Berliner.

Dass die Straßen der Hauptstadt überfüllt sind, ist kein Geheimnis, und auch die neu eingerichtete Umweltzone hat weder an der Zahl der Autos noch am Dreck, den sie produzieren, viel geändert. Inmitten dieses Chaos zieht jedoch ganz unerwartet ein mit Möbeln beladener Handkarren vorbei. Gern auch mal auf der Autofahrbahn, wenn es auf dem Fußweg zu eng werden sollte. Ganz so, wie es die Straßenverkehrsordnung vorschreibt.

Die Konstruktion des einachsigen Holzkarrens ist sehr simpel. Umso überraschender ist es, was darin alles Platz findet. Bis zu 200 Kilogramm transportiert Tilman auf diese Art und Weise durch die Hauptstadt und legt dabei mal eben sechs Kilometer pro Stunde zurück. Seine längste Tour: elf Kilometer – ein Sofa von Friedrichshain nach Moabit.

Die für heutige Verhältnisse recht ungewöhnliche Form des Gütertransports erscheint vielen vielleicht als seltsam, ist aber schlicht und ergreifend ein Hobby des jungen Englischlehrers. Dabei stand nicht der Umweltgedanke, sondern vielmehr das eigene Wohlbefinden im Vordergrund, wie der 34-jährige Berliner ganz unverblümt zugibt. Ein Hobby, dass ihm nicht nur Spaß macht, sondern auch körperlich fithält. Sein größter Traum ist es, dem einmal auch Hauptberuflich nachzugehen, und so seinen Beitrag für ein grüneres Berlin zu leisten. Denn Autos sind seiner Meinung nach nicht nur teuer, sondern auch viel zu laut, dreckig und ungesund.

Die Reaktionen der Berliner für seinen Einsatz fallen jedoch sehr nüchtern aus. Oft wird er wahrgenommen, nicht einmal als Kuriosität, sondern als einfacher Mann, der mit dem Karren durch die Straßen zieht. Was auch mit der Tatsache zu tun haben mag, dass die Handkarren aus Berlin nie ganz verschwunden sind. „Der Karrenbezirk“, so nennt er selbst sein Moabit und erzählt begeistert wie Gemüse- und Zeitungshändler, aber auch andere Geschäftsleute mit einem kleineren Exemplar dieses Transportmittels auf die Straße gehen. Andere für dieses Konzept zu begeistern, scheint also durchaus möglich.

Alle zwei Kilometer ein Verleih oder ein Karren pro Hausgemeinschaft, und alles, so Tilmans Überzeugung, würde von selbst funktionieren. Sympathisch scheint der Gedanke schon, statt der riesigen Transport-Lkws, die in zweiter Reihe parken, viele kleine Handkarren durch Berlin fahren zu sehen, die gesund und umweltfreundlich Betriebe jeder Art beliefern oder Umzüge abwickeln könnten. Eine Rückbesinnung auf die Einfachheit wäre genau das, was Berlin bräuchte, um sich wirklich von anderen Metropolen Europas hervorzuheben.

In den Augen vieler wird „Schott“ eine Kuriosität bleiben. Ein intelligenter, junger Mann mit einem ungewöhnlichem Hobby. Für andere mag er aber vielleicht inspirierend wirken, und eventuell hat er mit seiner Idee eine Marktlücke entdeckt. Für den begeisterten Karrenzieher aus Moabit ist es einerlei. Er wird auch weiterhin seinen Karren ziehen und versuchen andere dafür zu begeistern. Für Anfragen oder ein Gespräch steht er immer zur Verfügung und bietet auch an, anderen einen Handkarren zu bauen. Wer weiß, vielleicht sehen wir eines Tages wieder mehr als nur einen Karren in Berlins Innenstadt.

Schott schreibt regelmäßig im Blog auf bewegung.taz.de/aktionen , Kontakt: handcart@gmx.de

Autofrei Leben e.V.

Am 3. Oktober 1998 gegründet setzt sich der Verein „Autofrei leben“. Er tritt bundesweit für eine Gesellschaft ohne Autos ein. In Berlin sorgen 30 engagierte Aktive für vielfältige Programme, wie zum Beispiel den Parking-Days, bei denen Parkplätze in Berlin „besetzt“ und mit künstlichen Grünfläche bedeckt werden. „Wir sind der Stachel im Fleisch der Autogesellschaft“, sagt Heiko Bruns, Vorstandsmitglied des Vereins, betont jedoch, dass man sich nicht als klassischen Lobbyverband der Autogegner sieht.

Im Gegenteil. Zwar bemühen sich alle Mitglieder grundsätzlich um ein vorbildhaftes Leben ohne motorisierten Untersatz, sehen jedoch auch, dass sie in bestimmten Umständen unverzichtbar sind, zum Beispiel beim Transport von Kranken und Verletzten oder der Kriminalitätsbekämpfung. Man setzt sich für verkehrsberuhigte Städte und Kommunen ein und nicht für die Abschaffung des Automobils.

„Unser Ziel ist es zu zeigen, dass man das Auto jederzeit stehen lassen kann und trotzdem gut durch den Alltag kommt, ja sogar besser.“ Um dieses Ziel zu erreichen, bemüht sich der Verein um eine Vernetzung von Gleichgesinnten, organisiert Kampagnen und Aktionen und versucht im öffentlichen Leben präsent zu sein. Die Reaktion der Berliner Autofahrer sind größtenteils gleichgültig. Viele wissen noch gar nicht, wie man mit der Idee umgehen soll, und das obwohl 50 Prozent der Berliner Haushalte jetzt schon ohne Auto auskommen. Dennoch setzt sich der Verein für seine Ziele ein und versucht so ein Bild von Berlin zu vermitteln, welches sauberer, schöner … ganz einfach „autofrei“ ist.

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DAVID DOMENICO SIGNORELLO