Haushaltspolitik: "Wir setzen auf die Forschung"

Berlin hat Geld - aber was soll es damit tun? Die Wissenschaft unterstützen, sagt Carl Wechselberg, der haushaltspolitische Sprecher der Linken.

taz: Herr Wechselberg, wir sind im Casino Berlin am Alexanderplatz. Waren Sie schon einmal hier?

Carl Wechselberg: Nein, noch nie.

Wieso nicht?

Ich bin kein spekulativer Typ.

Wir haben uns das Casino ausgesucht, weil wir über viel Geld sprechen wollen, und was man damit anfangen könnte. Haben Sie als Haushälter überhaupt solche Visionen, oder denken Sie nur ans Sparen?

Ich mag das Wort Visionen nicht, ich spreche lieber von langfristigen Zielsetzungen. Nach einer langen, anstrengenden Zeit des Sparens haben wir nun etwas noch Schwierigeres vor: die ökonomische Erneuerung Berlins. Und weil ich das als Linker sage, verbinde ich dieses Ziel mit der Vorstellung, dass ein sozialer Ausgleich gelingt.

Im nächsten Jahr wird Berlin erstmals keine neuen Schulden machen und bis 2011 sogar 500 Millionen Euro Überschuss erwirtschaften. Wofür würden Sie, Supersenator Wechselberg, 500 Millionen Euro ausgeben?

100 Millionen zusätzlich in die Integration, 100 Millionen zusätzlich in die Schulen, 100 Millionen zusätzlich in Forschung und Wissenschaft. Und die restlichen 200 Millionen stecke ich in den Abbau der Verschuldung.

Migrationshintergrund

Carl Wechselberg wurde am Neujahrstag 1969 im ostfriesischen Aurich geboren.

Meilensteine

Seit 1987 Mitglied bei der sozialistischen Jugendorganisation "Die Falken". Studierte Psychologie an der Uni Bremen, war in der Hansestadt Landesvorsitzender der PDS/Linke Liste. Brach das Hochschulstudium ab, zog nach Berlin und studierte von 1992 bis 99 Politikwissenschaften an der Freien Universität.

Meinung

War von 2000 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus. 2001 bis 2003 Mitglied des PDS-Landesvorstandes. Seit Anfang 2003 im Abgeordnetenhaus. Heute ist er haushaltspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion.

Malcolm X

Übersetzte Ende der 80er-Jahre Redetexte der 1965 erschossenen Leitfigur der US-amerikanischen "Nation of Islam" ins Deutsche.

Macht

Karriere machen will der politische Ziehsohn von Wirtschaftssenator Harald Wolf nach eigener Aussage nicht. Er sieht sich in 15 Jahren eher als "Vater und Teil einer glücklichen Kleinfamilie".

Was soll im Bereich Wissenschaft und Forschung gefördert werden?

Wir werden zwischen 2008 und 2011 zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von 150 Millionen Euro im Bereich Forschung investieren, und das ist meines Erachtens auch klug. Der Bund fördert internationale Spitzenforschung, und wir fördern mit Berliner Mitteln Bereiche, für die es nicht ganz langt, aber die für die ökonomische Entwicklung Berlins wichtig sind.

Erst spart der rot-rote Senat 75 Millionen Euro bei der Lehre, nun buttert er 185 Millionen in die Forschung. Verlierer dieser Politik sind die Studenten.

Netto wurden rund 30 Millionen Euro gespart, nicht 75 Millionen. Es gab vorher ein starkes Ungleichgewicht. Bayern und Baden-Württemberg haben ihre Ausbildungskapazitäten massiv heruntergefahren und stattdessen die Forschung an den Universitäten gefördert, Berlin hat die Ausbildungslast für andere Bundesländer übernommen und Forschungskapazitäten zurückgefahren. Das war auch immer eine Schwäche Berlins. Es ist also völlig richtig, Forschung jetzt stärker zu fördern.

Wie kann diese Verbindung zwischen Bildung, Forschung und Wirtschaftswachstum konkret aussehen? Werden Unternehmen in Lichtenberg entstehen, weil Studenten hier studiert haben und mit Fördergeldern Firmen gründen?

Ich denke, das wird genau so passieren. Aber es passiert nicht von selbst. Wir müssen diese Entwicklung unterstützen.

Wie denn?

Wir müssen Ausgründungen aus Instituten fördern, Start-ups unterstützen und die Schere in den eigenen Köpfen beiseitelegen. Gucken Sie nach Adlershof. Linke - auch ich - kritisierten immer wieder massiv, dass dort versucht werde, Silicon Valley zu imitieren. Ich räume freimütig ein: Diese Kritik war zu scharf, es hat funktioniert. Dort entstehen neue Arbeitsplätze.

In Adlershof entstehen Jobs für hoch qualifizierte Fachkräfte. Aber ein Großteil der 300.000 Menschen, die seit der Wende ihre Jobs in der Industrie verloren haben, ist für diese Stellen überhaupt nicht geeignet. Sollen die sich die 2.500 von Rot-Rot geplanten, öffentlich geförderten Jobs teilen?

Wir hoffen, dass wir bis 2011 etwa 10.000 Beschäftigte im öffentlich geförderten Sektor haben werden. Und zwar, indem das Land Mittel, die von der Bundesregierung angeboten werden, vollständig nutzt und gegenfinanziert.

Wie viel kostet es Berlin, 10.000 Menschen in Lohn und Brot zu bringen?

Für 10.000 öffentlich geförderte Jobs bezahlt das Land 50 Millionen Euro, ein durchaus nennenswerter Betrag. Bis 2011 ist das ein guter Anfang. Es kann auch noch deutlich mehr werden.

Bis zu einer Milliarde? Das wäre ein Sechzehntel der Summe, die ihre Partei bundesweit als öffentlichen Zuschuss für ein existenzsicherndes Grundeinkommen ausgeben will.

Es dauert sicher lange, bis Berlin sich eine Milliarde Euro leisten kann. Der Betrag sollte auf keinen Fall durch neue Schulden, also auf Kosten kommender Generationen, erbracht werden. Berlin hat viel zu lange nicht darüber nachgedacht, wie eigentlich die Schulden der eigenen Finanzpolitik aussehen, und hat mit Chips um sich geworfen.

Gut, dann erst mal 50 Millionen Euro. Aber schafft man damit die Arbeitslosigkeit ab?

Nein, auf diesem Wege werden wir niemals das Beschäftigungsproblem lösen. Das darf aber auch nicht der Anspruch sein. Das ist nur ein Modell, um zu zeigen, wie man mit Arbeitslosigkeit anders umgeht und wie man Menschen wieder sinnvoll beschäftigen kann.

Was sollen diese 10.000 Menschen denn machen?

Sie sollen gemeinnützige Arbeit leisten. Man könnte sie beispielsweise ergänzend in Kindergärten einsetzen, so dass diese wieder länger geöffnet haben.

In Bildungseinrichtungen also. Was für einen Rang soll Berlin 2011 in Bildungsfragen haben? Gibt es dann funktionierende Gemeinschaftsschulen?

Das hoffe ich sehr. Ich war selber Schüler einer Gesamtschule. Das war Klasse. Es war ein ausgesprochen stabiles System mit jungen, motivierten Lehrern. Wenn wir über Gemeinschaftsschule in Berlin reden, dann reden wir vor allem über die Abschaffung der Hauptschulen. Man muss kein Bildungspolitiker sein, um zu erkennen, dass diese Schulform keinerlei Zukunft haben darf und nichts anderes ist als die Ghettoisierung der sozial Schwächeren. Dafür wäre ich auch bereit, einiges mehr an Ressourcen zur Verfügung zu stellen als die 22 Millionen Euro, die im Koalitionsvertrag stehen.

Da sind Sie sich mit Ihrer Fraktionschefin Carola Bluhm einig. SPD-Fraktionschef Michael Müller hat dem Anliegen dagegen eine klare Absage erteilt. Ist die Forderung damit ad acta gelegt oder wird die Linke sich mit dem Koalitionspartner anlegen?

Mit dem Streiten haben wir schon angefangen. Aber richtig lohnt es erst, wenn man weiß, ob die Qualität der von den Schulen angebotenen Konzepte stimmt. Das sehen wir im Herbst.

Wenn die Kinder ebenfalls von jungen, motivierten Lehrern unterrichtet werden sollen, muss das Land seine Personalpolitik aber massiv ändern. Der durchschnittliche Lehrer ist über 50, junge Absolventen rücken kaum nach.

Nein, die Entwicklung läuft anders. Die Schülerzahlen sinken, und alle ausscheidenden Lehrer werden durch junge ersetzt. Das heißt, es werden Stellen belassen, für die es eigentlich keine Schüler mehr gibt.

Wenn man Klassenstärken von 30 Schülern für normal hält.

Gut, das ist ein Problem. Ich hadere da auch mit dem Finanzsenator und finde die Formulierung falsch, dass Berlin gegenüber Hamburg deutlich zu viel Personal hat. Wir müssen uns diesen Ausstattungsvorsprung erhalten und in bestimmten Bereichen sogar noch vertiefen. Etwa bei Integration und Sprachenförderung. Unser Ziel muss bleiben, den sozialen Zusammenhalt in der Stadt vernünftig zu organisieren.

Wie wollen Sie das schaffen?

Der Schlüssel ist für mich, eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur zu erhalten - und zwar zu Preisen und Konditionen, die die Masse der Bevölkerung sich leisten kann. Wasser und Energieversorgung sind schon privatisiert. Umso stärker muss man auf die Wohnungen gucken. Ich kämpfe entschlossen um die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften. Wenn die Mieten immer mehr steigen und die Innenstädte immer weiter funktional zugerichtet werden - wie das ja in der Friedrichstraße und am Potsdamer Platz zu beobachten ist -, dann geht diese soziale Mischung verloren.

Sagen Sie das als Finanz- oder eher als Sozialpolitiker?

Finanzpolitisch bin ich im Gegensatz zum Finanzsenator der Meinung, dass Wohnungsbaugesellschaften keine gute Kapitalanlage sind. Das Ziel ist nicht, dass diese Rendite abwerfen. Zumindest nicht in bar. Deren Aufgabe besteht darin, dämpfend auf die Mietenentwicklung einzuwirken und dafür zu sorgen, dass ein nennenswerter Teil der Bevölkerung Zugang zu bezahlbarem Wohnraum hat. Gerade da, wo es den bisher nicht gibt.

Das geht doch aber an der Realität vorbei. Das Land hat 270.000 Wohnungen. In Steglitz-Zehlendorf sind es nur rund zwei Prozent der dortigen Wohnungen. In Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf stehen tausende Plattenbauwohnungen leer. So können Sie die soziale Entmischung in der Stadt nicht verhindern.

Zugegeben: Der Verkauf der GSW mit ihren 56.000 Wohnungen hat uns vieler Wohnungen in der City beraubt. Das würden wir heute anders machen. Aber jetzt geht es darum, die strategisch wichtigen Bestände im Westen und in der Innenstadt um jeden Preis zu halten. Vielleicht müssen wir sogar wieder neue Bestände kaufen.

Was macht Sie so optimistisch, dass Sie die soziale Spaltung Berlins damit aufhalten?

Wir stellen uns zumindest dieses Ziel. Eine normierte kapitalistische Metropole kann Berlin auch ohne uns sein.

Aber ein geglücktes Beispiel haben Sie nicht vor Augen?

Ich kenne kein erfolgreiches Beispiel.

Wo steht Berlin in 15 Jahren?

Berlin ist als Stadt viel zu toll, als dass man sie politisch versenken kann. Ich habe die Vision, dass Berlin eine großartige, eine soziale Metropole sein wird.

Und Sie? Sind Sie in 15 Jahren Finanzsenator?

Ich bin dann Vater und Teil einer glücklichen Kleinfamilie.

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