Montagsinterview Naturschützre Christian Muhs: "Grün kommt eben gut an"

Christian Muhs, der Chef der Obersten Naturschutzbehörde ist einer der Väter des Berliner Naturschutzgesetzes, er hat die Stiftung Naturschutz mit aufgebaut und er hat nicht nur die Linden am Potsdamer Platz gerettet.

taz: Herr Muhs, wir sitzen hier auf einem ehemaligen Rangierbahnhof - zwischen Wiesen und Bäumen. Warum haben Sie diesen Ort für das Interview vorgeschlagen?

Christian Muhs: Der Naturpark Südgelände in Schöneberg hat mich viele Jahre begleitet, eigentlich hängt meine ganze Karriere im Naturschutz damit zusammen. Er steht für eine ganz besondere Art von Stadtnaturschutz, die ich interessant finde. Einerseits wirkt er fast museal, mit den Schienen, dem rostigen Wasserturm und den Stahlskulpturen. Andererseits geht man über sonnige Trockenwiesen und durch schattige Schluchtwälder. Die Mischung aus Kunst, Technik und Natur ist toll.

Die Natur hat sich hier mit dem Menschen arrangiert. Ist das ein Sinnbild für Ihre Arbeit?

So kann man es sehen. Das Südgelände ist eine Kulturlandschaft im besonderen Sinne. Sonst meint der Begriff ja eher das Zusammenspiel von Landwirtschaft und Natur, von Feldern mit Wegen, Alleen und Weihern. Hier aber hat sich der Mensch vor 50 Jahren zurückgezogen, die Natur hat sich das Grundstück wiedererobert. Dann haben Künstler und wir das Ensemble vorsichtig ergänzt.

Geht es bei Ihrem Job vor allem darum, solche Erholungsinseln in der Stadt zu schaffen?

Inseln und - ganz wichtig - Verbindungen. Man kann heute entlang der Spree vom Schloss Charlottenburg bis in die Innenstadt flanieren. Solche grünen Wege finanzieren wir als so genannte Ausgleichsmaßnahmen - also mit Geld, das Investoren, die in der Stadt etwas bauen wollen, für einen natürlichen Ausgleich zahlen müssen. Das Südgelände hat uns die Bahn beispielsweise geschenkt, als Ausgleich für Hauptbahnhof und Eisenbahntunnel.

Kein schlechter Deal. Muss ein Chef-Naturschützer auch harter Verhandler sein?

Das gehört dazu. Es gibt ja verschiedene Typen von Naturschützern. Naturwissenschaftler folgen einem engen Ansatz, da heißt es oft: "Geht oder geht nicht." Diese strenge Linie entspricht meist der Gesetzeslage, der Naturschutz arbeitet oft mit Verboten. Die meisten meiner Kollegen sind wie ich Landschaftsplaner. Wir suchen nach Wegen, ein Vorhaben möglich zu machen - aber so, dass es umweltverträglich ist. Nehmen Sie den Autobahnzubringer durch den Tegeler Forst bei Heiligensee. Ursprünglich sollte er als Autobahn mitten durch den Wald führen. Jetzt schlängelt sich die Straße in scharfen Kurven am Waldrand entlang, ist sehr viel schmaler und führt streckenweise durch Tunnel. Dafür mussten wir hart kämpfen.

Sie arbeiten seit mehr als drei Jahrzehnten in der Verwaltung. Wie sind Sie zum Naturschutz gekommen?

Das ergab sich, Ideologie war dabei jedenfalls nicht im Spiel. Ich habe an der Technischen Universität Landschaftsplanung studiert und dort zunächst an Forschungsaufträgen mitgearbeitet. Als ich dann eine Familie gründen wollte, waren mir die befristeten Unijobs auf lange Sicht zu unsicher. Deshalb bewarb ich mich auf die Stelle "Friedhofsleitstelle", die in der Senatsbauverwaltung ausgeschrieben war.

Was muss man sich darunter vorstellen?

Der Winter 1970/71 war sehr kalt, die Böden waren steinhart gefroren. Und es starben viele alte Menschen. Die Bestatter hatten nun ein Problem: Sie bekamen die Leichen nicht in die Erde, alle Kühlkammern der Stadt waren restlos überfällt. In seiner Not stellte der Senat sogar leer stehende U-Bahn-Tunnel für die Leichen zur Verfügung.

Und Sie mussten dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert?

Genau. Dann wurde ja auch ein großer neuer Friedhof in Gatow angelegt. Mit der Zeit übernahm ich andere Aufgaben, zum Beispiel die Finanzierung der öffentlichen Grünflächenpflege. Und eines Tages sagte der Abteilungsleiter zu mir und zu meinem Kollegen, dem heutigen Chef der Britzer und Marzahner Gärten und auch des Naturparks Südgelände: "Jungs, ich habe zwei wichtige Jobs zu vergeben. Einer muss ein Naturschutzgesetz schreiben, der andere eine Bewerbung für die Bundesgartenschau 1985 vorbereiten. Wer macht was?" Tja, beides hat bekanntlich geklappt, und so bin ich eher zufällig zum Naturschutz gekommen. Inzwischen bin ich aber längst Überzeugungstäter.

Das moderne Berliner Naturschutzgesetz trat 1979 in Kraft, Sie gelten als einer seiner Väter. Was war Ihnen dabei besonders wichtig?

Bis dahin galt das - von den Nazis geschriebene - Reichsnaturschutzgesetz. Es kannte nur zwei Ziele: Reservate vor der Zerstörung zu bewahren und die Entnahme wertvoller Pflanzen und Tiere aus der Natur zu verhindern. Naturschutz spielte sich ausschließlich vor der Stadt ab. Wir führten ein neues Naturverständnis ein: Sie ist überall schützenswert; wer sie zerstört, muss an anderer Stelle Ersatz schaffen. Außerdem gibt es seither eine Landschaftsplanung, genauso, wie die Verkehrsbehörde eine Verkehrsplanung macht. Der Naturschutz verfügte plötzlich über ein offensives Instrument, er konnte Ziele formulieren.

Das neue Gesetz stellte eine Revolution dar. Gab es Widerstände?

Im Gegenteil, die Parteien überschlugen sich Ende der 70er geradezu mit Vorschlägen; alle Fraktionen im Parlament haben das Gesetz mitgetragen. In der Umsetzung gab es dann aber so manches böse Erwachen: Das Südgelände war zum Beispiel bis Inkrafttreten des Gesetzes völlig schutzlos. Als die Planung für den nahen Güterbahnhof begann, vertraten Bahnjuristen ernsthaft die Auffassung, die Natur sei hier widerrechtlich auf ihrem Gelände entstanden, sie sei also quasi kriminell.

Sie betreiben Naturschutz vom Schreibtisch aus, was zunächst ungewöhnlich klingt. Was ist der Reiz?

Wir arbeiten an der Schnittstelle zur Politik, dadurch können meine KollegInnen und ich unheimlich viel beeinflussen. Das Tolle in der Stadtentwicklungsverwaltung ist: Aus der Politik - also aus Parteien und Fraktionen - kommen kaum Konzepte und Ideen, das Thema wird in Partei- oder Wahlprogrammen nur mit wenigen Sätzen abgehandelt. Eine meiner Erkenntnisse lautet deshalb: Der Naturschutz entsteht aus der Verwaltung heraus - natürlich in enger Zusammenarbeit mit den Naturschutzverbänden. Wir haben viel Freiraum, meist greift die Politik dann unsere Vorschläge auf. Grün kommt eben gut an.

Wo hat die Naturschutzbehörde überall ihre Finger im Spiel? Nennen Sie mal ein Beispiel.

Die Naturschutzbehörden sind ja an fast allem beteiligt, was in der Stadt passiert - auch dort, wo man es kaum erwartet hätte. Bei der Verhüllung des Reichstages durch Christo 1995 haben wir zum Beispiel eine wichtige Rolle gespielt. Dieses Gebäude war damals ein hervorragender Brutfelsen für alle möglichen Vögel, etwa Mauersegler und Turmfalken. Entsprechend haben wir lange vor der Verhüllung die Brutnischen mit Gittern verschlossen. Oder das Beate-Uhse-Erotikmuseum

Welche geschützte Art nistet darin?

Keine. Aber kurz nach der Eröffnung mussten wir einige Exponate beschlagnahmen. Sie waren aus Elfenbein - was sie darstellten, sage ich jetzt mal nicht. Elfenbein ist weltweit geschützt. Wir haben die Exponate deshalb mit Tüchern verhängt, damit sie nicht mehr gewerblich zur Schau gestellt wurden. Erst ein paar Wochen später legte das Museum die nötigen Ausfuhrpapiere vor.

Bei einem Stadtspaziergang treffen Sie bestimmt alle naselang auf eine Stelle, wo ihr Wirken sichtbar ist, oder?

Ja. Man hat schon einen besonderen Blick auf die Stadt. Wenn Sie auf dem Potsdamer Platz durch das Debis-Areal spazieren, finden Sie die Trasse der Alten Potsdamer Straße, wo die herrlichen Linden stehen. Die haben wir in letzter Minute als Naturdenkmal geschützt. Während des Baus sah das schon eindrucksvoll aus: Die Linden standen auf einem schmalen Damm, rechts und links lagen zehn Meter tiefe Baugruben. Es hat sich gelohnt, heute schaffen die Bäume eine herrliche Atmosphäre.

Sie haben fast Ihr ganzes Leben in Berlin verbracht. Hatten Sie nie den Drang, die Stadt zu verlassen?

Doch. In Westberlin wäre ich auf Dauer nicht glücklich geworden, vieles wäre in Routine erstarrt. Aber durch die Wiedervereinigung kamen ja plötzlich ganz andere Herausforderungen: In den Jahren seit der Wende hatten wir es plötzlich mit allen Bereichen des Naturschutzes zu tun. Und der ist in der Stadt vielfältiger als auf dem flachen Land. Berlin ist schließlich eins der artenreichsten Biotope Mitteleuropas.

Bis heute müssen sich Naturschützer mit dem Klischee herumschlagen, sie seien moralinsaure Birkenstock-Träger. Woran liegt das?

Das liegt an den klassischen Konflikten, die wir Naturschützer immer wieder ausfechten und die es dann in die Schlagzeilen schaffen. Denken Sie an die Waldschlösschenbrücke in Dresden. Der Naturschutz sorgt sich um eine Fledermaus und steht schnell als fundamentalistischer Verhinderer da.

Aber sind Sie das nicht manchmal? Ihre Behörde wollte den Bau des ersten Windrades der Stadt boykottieren.

Tja, das ist einer der Fälle, wo wir unsere Position der Öffentlichkeit nur schwer vermitteln können - obwohl es aus meiner Sicht auch gute Argumente gegen das Windrad gab. Wie auch immer, wichtig ist: Wir Naturschützer müssen lernen, uns mit guten Absichten und Zielen besser und offensiver darzustellen.

Was heißt das?

Wir müssen unsere Aufgabe der Landschaftsentwicklung für die Erholung stärker herausstreichen, in der wir die Natur für Pflanzen, Tiere, aber vor allem für den Menschen entwickeln. Kurz: Der Naturschutz muss mit seiner Arbeit werben - und den Naturschutzgedanken mehr an die Menschen herantragen. Ein Beispiel dafür war der erste lange Tag der Stadtnatur im Frühsommer.

Haben Sie Erfolg mit Ihrem Werben um die Menschen?

Ja, die Berliner lernen gerne etwas Neues über ihre Stadtnatur. Das Thema interessiert längst nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen. Es gibt in der Stadt auch viel zu entdecken: Den ehemaligen Schießplatz der Briten in Ruhleben haben wir vorsichtig entsiegelt, also Betonteile abgebaut, und für Erholungssuchende erschlossen. Außerdem errichten wir gerade Aussichtsplattformen in Schutzgebieten, etwa an den Karower Teichen. Andere Beispiele finden sich in einer Broschüre über Berliner Naturschutzgebiete, die wir in Kürze veröffentlichen werden. Aber natürlich gibt es für meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger bei diesem Werben noch genug zu tun.

Was werden Sie nach Ihrer Pensionierung tun?

Ich werde in der Stiftung Naturschutz bleiben, und ich bekomme bestimmt ein paar andere, ehrenamtliche Angebote. Naturschutz funktioniert schließlich als Netzwerk. Da gehören die Verbände dazu, die Bezirke, die Hochschulen, die Planungsbüros - Naturschutz ist ein Berufsstand. Aus diesem Netz entsteht sehr viel, es hat was Familiäres. Ich bin stolz darauf, dass ich darin eine wichtige Rolle spielen konnte.

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