Stadtplanung: Medienufer gerät ins Rutschen

In Friedrichshain-Kreuzberg soll ein riesiges Medien- und Dienstleistungsviertel entstehen. Anwohner wollen das Projekt "Mediaspree" jetzt per Bürgerbegehren stoppen.

Keine Angst, so rabiat sind die Mediaspree-Gegner nicht: traditionelle Gemüseschlacht zwischen Kreuzberg und Friedrichshain Bild: Reuters

Das Bild begrüßt die Besucher der Homepage von Mediaspree, es ziert Faltblätter, und im Büro von Christian Meyer spannt es sich über eine ganze Wand. Es zeigt die Spree zwischen der Treptower Elsenbrücke und der Schillingbrücke in Mitte, aber die Ufer von Friedrichshain und Kreuzberg sind kaum wiederzuerkennen: Fassaden von Bürotürmen glitzern, wo jetzt Strandbars und Fabrikruinen ihren maroden Charme versprühen, gepflegte Parks führen in schmalen Streifen zum Wasser, wo derzeit allabendlich die Pärchen über verwilderte Brachen ziehen. Lofthäuser wechseln sich ab mit klobigen Hotels, und eine neue Brücke spannt sich über den Fluss, von der Kreuzberger Eisenbahnstraße direkt zur O2-World, dem Einkaufs- und Vernügungsviertel, das sich wie eine Festung um die neue Sportarena erhebt.

Heute reicht der "Initiativkreis Mediaspree Versenken!" das von ihm vorbereitete Bürgerbegehren beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein. Anschließend haben alle wahlberechtigten Bezirksbewohner - sprich: alle EU-Bürger, die mindestens 16 Jahre alt sind - ein halbes Jahr Zeit, zu unterschreiben. Gelingt es der Initiative, knapp 5.000 Unterschriften zu sammeln, muss über das Begehren abgestimmt werden.

"Ich weiß natürlich, dass diese Bilder auf Menschen sehr unterschiedlich wirken", sagt Meyer. "Wir haben nur zusammengetragen, welche Möglichkeiten hier bestehen." Christian Meyer ist der Geschäftsführer von Mediaspree, und dieses Bild ist sein Geschäft. Mediaspree ist ein Verein von Investoren, aber Mediaspree ist auch ein Projekt. Auf 180 Hektar, einer Fläche, die fast viermal so groß ist wie der neue Potsdamer Platz, soll entlang des Spreeufers ein "großstädtisches Medien- und Dienstleistungsviertel" entstehen. Und wie bei vergleichbaren Großprojekten, der Hamburger Hafencity etwa oder Stuttgart 21, geht es nicht allein darum, Käufer und Mieter zu finden. Es geht auch um die Etablierung einer Marke. Darum, viele einzelne Projekte als eine Einheit zu präsentieren, einem Stadtviertel ein Gesicht, einen Namen zu geben, der im Wettbewerb der Standorte bestehen kann. Am Spreeufer von Friedrichshain-Kreuzberg heißt der Stadtumbau Mediaspree.

Das Büro von Mediaspree befindet sich im Energieforum gegenüber dem Ostbahnhof. Eine Art Tunnel führt durch die alte Klinkerfassade, dann betritt man ein hohes Glasfoyer und blickt auf die Spree. Die Schritte hallen auf dem polierten Boden, im Flur hängen Jacketts auf einer Stange, aber Herr Meyer trägt nur ein offenes, gestreiftes Hemd. Durchs Fenster sieht man die Ver.di-Zentrale und gegenüber, am anderen Flussufer, eine Strandbar, die Bar 25. "Zwei ganz unterschiedliche Nutzungen", sagt Meyer, "Großunternehmen und Zwischennutzungen existieren hier in friedlicher Koexistenz."

Er redet gern von den Zwischennutzungen, den Bars und Clubs, die sich der brachliegenden Flächen bemächtigt haben. Das gehört zum Konzept. Berlin hat keinen großen Hafen und kein Bankenviertel, aber die Club- und Kneipenszene blüht, und die Subkultur verleiht der Stadt alternativen Schick. Das gefällt der Medienbranche, dachten sich die Grundstücksbesitzer, die sich in den 90er-Jahren zusammenschlossen, um ihre Flächen gemeinsam zu vermarkten. 2002 gründeten sie die GmbH Spree Media, 2004 einen Verein - auf Wunsch des Senats und des Bezirks, die ebenfalls Interesse an professioneller Werbung für das Gebiet haben. Heute ist Mediaspree eine öffentlich-private Kooperation und wie viele öffentlich-private Kooperationen ein schwer zu durchschauendes Konstrukt. Neunzehn Mitglieder zählt das "Regionalmanagement Mediaspree e. V.", alles Grundstückseigner oder Projektentwickler. Finanziert wird der Verein zu 80 Prozent von Land und Bezirk, die ihn über einen Beirat kontrollieren.

Zur Arbeit von Mediaspree gehört es, Erfolge zu melden. Das ist einfach, wenn es Erfolge gibt: 2002 zog der Medienkonzern Universal an die Oberbaumbrücke, 2004 folgte die Europazentrale von MTV. Gerade erst ist der Popsender in einen Neubau expandiert. Schwierig wird es, wenn abseits der wenigen "Leuchttürme" das Gras auf Gleis- und Hafenanlagen wuchert und hohe Zäune Flächen schützen, die niemand kauft. Auf den Faltblättern von Mediaspree ist nicht zu erkennen, welche Projekte bald begonnen werden - und welche mangels Finanzierung in den Sternen stehen. Deutlicher wird das auf der Karte, in der eine Bürgerinitiative den Stand der Projekte zusammenträgt: Demnach ist auf rund der Hälfte der Flächen kein Baubeginn in Sicht.

"Natürlich ist das alles langsamer vorangegangen als erwartet", sagt Christian Meyer. Es stimme auch, dass viele Projekte der letzten Zeit wenig mit Medien zu tun haben. Am Ostbahnhof drehen sich die Kräne über dem Rohbau der O2-Arena, einer Multifunktionshalle für 17.000 BesucherInnen. Und an der Jannowitzbrücke baut eine Immobiliengesellschaft ein Einkaufscenter, dort sollen Lidl und Burger King einziehen. Meyer verzieht das Gesicht: "Da haben wir leider nicht so viel Einfluss drauf." Schließlich sei es die Aufgabe des Vereins, möglichst rasch Investoren für die Flächen zu finden.

"Mediaspree schmückt sich mit der alternativen Kultur im Kiez, arbeitet aber nur daran, das zu zerstören", sagt Carsten Joost von der Bürgerinitiative "Mediaspree Versenken!". Viele Zwischennutzungen müssten um ihre Verträge kämpfen, der Wagenplatz Schwarzer Kanal sei räumungsbedroht. Und nicht nur Zwischennutzungen seien betroffen, fügt Joosts Mitstreiterin Carola Schmidt hinzu. "Die Aufwertung des Spreeufers wirkt sich auf den ganzen Bezirk aus." Im Wrangelkiez sei es inzwischen fast unmöglich, eine billige Wohnung zu finden. In der Köpenicker Straße 18/19 sei kürzlich allen Mietern gekündigt worden. Zurückkommen werde wohl keiner: "Die Besitzer peilen nach der Sanierung einen Quadratmeterpreis um 10 Euro an," sagt Schmidt. Weil Büros sich zurzeit schlecht vermieten lassen, haben Wohnungen "im Hochpreissegment" auch an der Spree Konjunktur.

"Mediaspree Versenken!" wurde 2006 von AnwohnerInnen gegründet - das Label Mediaspree gab auch dem Widerstand einen Ansatzpunkt. Etwa 20 Leute kommen regelmäßig zu den Treffen: VertreterInnen bedrohter Projekte, AnwohnerInnen, die sich gegen die geplante Autobrücke engagieren. "Manchmal kommen auch Leute, die auf der Webseite von Mediaspree gelandet sind und einfach entsetzt sind von der Abscheulichkeit dieser Vorhaben", sagt Joost. An drei Montagen im Monat trifft sich die Gruppe im Südflügel des Bethanien-Kulturhauses am Mariannenplatz. Die Wände des hohen Raums sind rosa gestrichen, Stühle und verschlissene Sofas stehen wild durcheinander. Vor dem Fenster wiegen sich Birken in der Nachmittagssonne, vom Abenteuerspielplatz dringen Kinderstimmen herauf. "Mediaspree Versenken!" hat ein Bürgerbegehren vorbereitet. Eines, das Mediaspree "die Suppe gründlich versalzen soll", wie es auf einem Flyer heißt. Es fordert, die Bebauungspläne des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg zu ändern - und zwar so, dass Neubauten nicht näher als 50 Meter an die Spreeufer rücken können und nicht höher als 22 Meter sein dürfen. "Das würde einen Großteil der Bauvorhaben kippen", sagt Joost. Und noch eine Forderung steht auf dem Unterschriftenbogen: Keine neue Autobrücke über die Spree!

Auf 165 Millionen Euro hat das Bezirksamt die möglichen Kosten des Bürgerbegehrens veranschlagt, falls Grundstückseigentümer entschädigt werden müssen. Aber große Teile dieser Summe seien nur "virtuelle Kosten", hält Joost dagegen. Denn viele der unbebauten Flächen gehörten dem Land. Rechtlich bindend ist das Bürgerbegehren nicht, auch wenn es Erfolg haben sollte - es hat den gleichen Stellenwert wie ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Aber als Ziel nennt die Initiative ja auch, die Diskussion um die Nutzung des Spreeufers neu zu eröffnen.

Das Ufer biete so viel Raum, sagt Carsten Joost. Raum für Spielplätze und für Grünanlagen. Für Wagenplätze, für Bars, Kultur. Raum, um eine andere Form der Stadtentwicklung auszuprobieren. "Für solch utopische Entwürfe", sagt Bürgermeister Franz Schulz, "ist es jetzt ein bisschen spät." Die Zukunft der Spreeufer sei vor einigen Jahren ausführlich diskutiert, ein "Leitbild Spree" erarbeitet worden. Viele Bürgerinitiativen hätten sich beteiligt, vor allem jene aus Friedrichshain.

Schulz ist Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg und ausgewiesener Experte für Stadtplanung: Bevor der Grüne 2006 in sein jetziges Amt gewählt wurde, war er Baustadtrat. Schulz spricht langsam und überlegt. Wenn andere ihn beschreiben, fällt oft der Begriff "pragmatisch". Dass "die Kreuzberger", wie er sie nennt, nun auftauchen, als habe es all die Diskussion, all die Kompromisse nie gegeben - nein, das freut ihn nicht.

Dabei lehnt auch der Bezirk viele der Großprojekte ab, die Mediaspree vorantreibt. Und auch Schulz spricht viel vom "öffentlichen Raum". Immerhin habe der Bezirk sich durchgesetzt und einige landeseigene Grundstücke als Grünflächen gesichert. Die sollen jetzt als schmale "Pocket-Parks" zum Wasser führen. Ein Uferwanderweg soll geschaffen werden, auf Stegen, wo die Bebauung zu dicht ans Wasser reicht. Über Mediaspree redet der Bürgermeister wenig. Der Verein habe gute Broschüren erstellt, sagt er, und bei ressortübergreifenden Projekten habe er die Beteiligten an einen Tisch gebracht. Aber der Verein Mediaspree ist ja auch nur eine Interessengruppe, das Projekt nur ein Entwurf unter vielen. Unzählige Planungen haben das Spreeufer in den vergangenen 15 Jahren kartiert, Nutzungen entworfen und verworfen, vom Planwerk Innenstadt bis zum Bereichsentwicklungsplan. Auch die Autobrücke, die das Mediaspree-Bild zeigt, ist schon lange in der Diskussion.

Wenn es um die Brücke geht, wird Schulz lebendig. In Verlängerung der Eisenbahnstraße soll die alte Brommybrücke wieder aufgebaut werden, Mediaspree verkauft das als "Brückenschlag nach Friedrichshain". Aber vor Ort will niemand die Brücke, höchstens einen Steg für Fußgänger und Radfahrer wünschen die AnwohnerInnen. Auch ein Gutachten der TU schätzt den verkehrstechnischen Nutzen einer Autobrücke äußerst gering ein. Schulz Fraktion in der BVV will mit einem Antrag den Bau verhindern. Auch die SPD-Fraktion war zunächst dabei, jetzt ist sie gespalten und hat sich zurückgezogen. In der PDS, die eigentlich die Grünen unterstützt, wird weiter diskutiert. Der Senat hat angedeutet, sich nach dem Votum des Bezirksparlaments richten zu wollen. Heute Abend steht die Brommybrücke auf der Tagesordnung der BVV.

Vielleicht wird dann ein weiteres Mediaspree-Projekt gekippt - und das Bürgerbegehren hätte schon an seinem ersten Tag einen Sieg errungen. Mediaspree selbst erhält noch bis Ende 2008 öffentliche Gelder, eine Verlängerung schließt Franz Schulz aus. Der Verein muss sich dann selbst tragen, oder er löst sich auf. Die Marke Mediaspree wird, obgleich angekratzt, wohl länger überleben. Bis ein anderes Konzept für die Ufer von Friedrichshain und Kreuzberg sie ersetzt.

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