Kommentar: Das Schweigen der Mittelschicht

Der eigentliche Skandal bei Klaus Wowereits Diktum gegen eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ist, dass sich niemand drüber aufregt.

Klaus Wowereit liebt nicht nur Glanz und Glamour, sondern auch die Provokation. Deshalb hat er, vor Monaten schon, verraten, wohin er sein Kind, wenn er denn eins hätte, gewiss nicht hinschicken würde - auf eine Kreuzberger Schule.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat sich gegen eine allgemeine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes ausgesprochen. "Das Arbeitslosengeld II oder die Sozialhilfe sind gewiss nicht so üppig bemessen, dass man davon in Saus und Braus leben kann", sagte Wowereit der Zeitschrift Super Illu. Es nutze aber nichts, Familien die Unterstützung zu erhöhen, "die nicht mit Geld umgehen können, die sich vom Konsum berauschen lassen, statt erst einmal die notwendigsten Dinge zu bezahlen". Daher sollte der Staat besser in Familienhelfer investieren. Er wolle keinem Hartz-IV-Empfänger etwa das Recht auf ein Mobiltelefon absprechen, so Wowereit. "Aber vielleicht braucht man nicht das neueste und teuerste." In jedem Fall sei das Geld falsch investiert, wenn deswegen die Kinder nichts Vernünftiges zu essen bekämen. Eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von 347 Euro wird derzeit auch in der Bundes-SPD diskutiert. AFP

Hinterher wird sich der Regierende wohl gedacht haben: Hätte ich bloß vor dem Reden das Hirn eingeschaltet. Kaum war der Ratschlag in der Welt, luden Lehrer und Eltern den Tempelhofer nach Kreuzberg, um ihn eines Besseren zu belehren. Wowereit blieb nichts anderes, als zu signalisieren: Ich habe verstanden.

Und nun das. Zum wiederholten Mal in wenigen Tagen sagt Wowereit, es nutze nichts, Familien die Unterstützung zu erhöhen, die nicht mit Geld umgehen können. So steht es in seinem Buch. So hat er es auch der Super Illu erzählt: Wowi, der es geschafft hat; Wowi, der Haushälter; Wowi, der Mann für den Mentalitätswechsel.

Mindestens so skandalös wie diese Sätze ist freilich der Umstand, dass der Protest diesmal ausblieb. Eingedenk der veröffentlichten Lebensgeschichte lässt man dem aufgestiegenen Bürgermeister von Berlin solchen Populismus offenbar durchgehen.

Oder, schlimmer noch, man stimmt ihm zu. Vielleicht noch augenzwinkernd und mit einem flotten Spruch auf den Lippen: Neulich im Media Markt in der Alexa, habt ihr gesehn? Die Hartz-IV-Schickeria!

Das Schweigen auf Wowereits jüngste Provokation zeigt, wie tief dieses Gemeinwesen namens Berlin bereits gespalten ist. Zwischen den Wohnzimmern mit Bierbüchsen und DVD-Rekorder und den Lofts von Mitte gibt es nichts Verbindendes mehr - nicht einmal mehr einen Wowereit, der wissen müsste, wie Armut schmeckt. Warum nicht gleich den Hartz-IV-Satz senken und eine Flasche Schampus köpfen. Auf die Gerechtigkeit! Wählt SPD!

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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