Volksbegehren: Soll Tempelhof offen bleiben?

Am Montag beginnt das Volksbegehren gegen die Stilllegung des Flughafens Tempelhof. Freunde und Gegner des Airports haben gewichtige Argumente. Eine Zusammenschau.

Ein Anachronismus oder nicht: Die Verfechter des Volksbegehrens wollen den Fliughafen Tempelhof offen halten Bild: AP

JA

Der Flughafen Tempelhof muss offen bleiben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es wäre eine "historische Sünde", den City-Airport still zu legen, sagt CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger. "Wir brauchen kein neues Wiesenmeer, sondern neue Investitionslandschaften." Mit dieser Sicht steht Pflüger nicht allein. Eine große Koalition aus CDU, FDP, einzelnen Bundespolitikern und wirtschaftsnahen Verbänden kämpft vehement gegen den Plan des rot-roten Senats, den innerstädtischen Flughafen ab Herbst 2008 einzumotten.

Dass Tempelhof ein Ort mit Historie ist, auf dem etwa die Rosinenbomber der Alliierten einschwebten, um West-Berlin während der sowjetischen Blockade 1948/49 zu versorgen, ist in dieser Debatte ein wichtiges Argument. Wichtiger aber ist den Tempelhof-Befürwortern der ökonomische Effekt des Airport-Betriebs. Der in der Nazi-Zeit erbaute Flughafen sei ein "moderner und leistungsfähiger City-Airport", heißt es bei der Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof, die das Volksbegehren gegen die Schließungspläne organisiert hat. "Andere Weltstädte nehmen solch stadtnahe Flughäfen wieder in Betrieb."

Tatsächlich bedeutet die zentrale Lage Tempelhofs für Reisende einen deutlichen Zeitvorteil: Ein Geschäftsmann ist in wenigen Minuten in Mitte, von Schönefeld aus braucht er eine knappe halbe Stunde - wenn die Autobahn fertig ist. Ist der Flughafen einmal abgemeldet, wäre dieser Pluspunkt unwiederbringlich verloren - keine Behörde der Welt würde heutzutage noch einen Flughafen mitten in der Stadt erlauben.

Außerdem gefährdet eine Stilllegung Arbeitsplätze, so der Tenor der Tempelhof-Fans. Im Flughafen selbst arbeiten derzeit rund 1.000 Menschen, die Mitarbeiter der drei Mini-Airlines, die noch ab Tempelhof fliegen, nicht eingerechnet. Der Flughafen schreibt Miese, rund 10 Millionen Euro pro Jahr. Gut 230.000 Fluggäste wurden 2007 bisher in der hohen Halle abgefertigt. Zum Vergleich: In Tegel waren es 8,5 Millionen.

Natürlich liegt es auch an der drohenden Abmeldung, dass sich der Markt längst gegen den Airport entschieden hat. Neue Hoffnung gab den Tempelhof-Befürwortern ein Konzept zweier US-Investoren. Sie wollten 350 Millionen Euro investieren und ein Gesundheitszentrum mit 1.000 Jobs und angeschlossenem Flugbetrieb in dem Gebäude einrichten. Auch die Deutsche Bahn hatte Interesse angemeldet. Investoren und Bahn haben allerdings nie ein detailliertes Konzept vorgelegt und zogen das Angebot Ende Juni zurück - was Pflüger als "schallende Ohrfeige" für den Senat wertete.

Den Befürwortern gilt die Offerte als Beleg für das Potenzial, welches der Flughafen noch entfalten könnte. Sie haben eine letzte Chance, den Flughafen vor der Stilllegung durch Rot-Rot zu bewahren - allerdings nur eine klitzekleine. Das heute startende Volksbegehren bindet den Senat wegen juristischer Fallstricke zwar nicht. Aber wenn hunderttausende BerlinerInnen für Tempelhof stimmen, entfaltet dies eine politische Stoßkraft, um die der Senat schwerlich herumkommen wird.

NEIN

Der Flughafen Tempelhof muss geschlossen werden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Jeder Versuch, an der Stilllegung zu rütteln, gefährdet den Bau des Großflughafens Berlin-Brandenburg International, argumentiert der rot-rote Senat. "Es wäre doch ein Wahnsinn, jetzt das Planungsrecht zu ändern", sagt Klaus Wowereit (SPD).

Tatsächlich wurde der BBI auch deshalb letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht genehmigt, weil die Planung einer einfachen Logik folgt: Für einen Großflughafen vor den Toren der Stadt schließt Berlin Tegel und Tempelhof, zwei Überbleibsel aus Zeiten einer isolierten Insel-Stadt. Den Tempelhof-Verteidigern hält der Senat die Unwirtschaftlichkeit des Airports vor. Und auch wenn wenige Arbeitsplätze durch die Stilllegung verloren gingen, entstünden durch den Großflughafen ungleich mehr neue, ergänzt ein Sprecher der Flughafengesellschaft. Die Betreiberin der Berliner Airports rechnet, vielleicht etwas zu euphorisch, mit bis zu 40.000 neuen Jobs.

Auch der Senat steht mit seiner Sicht nicht alleine da, allerdings ist der Allianz aus SPD, Linke, Grünen, Naturschutzverbänden und Anwohnerinitiativen ein anderes Argument viel wichtiger als das juristische: Kein Flugbetrieb auf Tempelhof, das bedeutet für zehntausende Neuköllner und Tempelhofer Stille und keine Kerosindämpfe mehr auf dem Balkon. Von dem Risiko abstürzender Flugzeuge ganz zu schweigen. Ein innerstädtischer Airport ist ein "unökologischer Anachronismus", so sagt es Regierungschef Wowereit.

Die Stilllegungs-Befürworter argumentieren nicht nur mit dem Wegfall von Risiken, sondern auch mit einem riesigen Zugewinn. Fiele nach der geplanten Stilllegung im Herbst 2008 irgendwann der Stacheldraht-Zaun, kann mitten in der Stadt eine 380 Hektar weite Freifläche anders genutzt werden, ein Areal, größer als der Central Park in New York. Die Pläne des Senats sind hier noch vage: Ein Wiesenmeer schwebt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) vor. Sie will Tempelhof als "Kühlschrank" Berlins erhalten, weil die Fläche als Wärmetauscher fürs Stadtklima funktioniert. Auch solle das Gebiet als ehemaliger Ort der Luftfahrt erkennbar bleiben, so die Stadtentwicklungssenatorin - vor allem aber schnell an die Berliner übergeben werden.

Und die laufen sich schon fleißig warm. Auf der Internetseite des Senats diskutieren Anwohner das Konzept einer "Kultursavanne" oder eines "Solarhafens", eine Bürgerinitiative macht sich für eine "umweltgerechte und soziale Nutzung" stark, bei der alle mitreden sollen. Praktisch ist, dass all die Stilllegungs-Fans die Dinge einfach laufen lassen können. Der Senat wird in dieser Legislaturperiode Fakten schaffen, darauf hat er sich festgelegt. Das Volksbegehren können sie in der jetzigen, ersten Stufe entspannt ignorieren. Falls es zum Volksentscheid kommt, sollten sie natürlich gegen den Weiterbetrieb stimmen - auch wenn er aus rechtlichen Gründen wirkungslos bleiben wird.

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