Debatte: Hilfe ohne Kollateralschäden

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan sollte nur verlängert werden, wenn eines klar ist: Die Isaf-Schutztruppe wird auf gar keinen Fall mehr an Kampfeinsätzen teilnehmen

Zwischen Anlass und Wirkung bestand ein gewisses Missverhältnis. Als vor Wochenfrist zwei deutsche Bautechniker in der ostafghanischen Provinz Wardak Entführern in die Hände fielen, reklamierte ein Taliban-Sprecher die Tat für seine Organisation. Die Selbstbezichtigung erwies sich als ebenso kurzlebig wie Tage später die Nachricht von der Geiselnahme eines weiteren Deutschen durch die Taliban in der Provinz Kunar.

Deutsche Sicherheitsdienste witterten hinter den Falschmeldungen Methode. Den islamischen Extremisten gehe es um gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik. Über die politische Diskussionslage in Deutschland seien sie genauestens informiert. Das Auswärtige Amt sprach gar von Medienkrieg und Propagandafeldzug. Ein neuer Masterplan der Taliban? Wohl kaum. Ihre Forderung nach sofortigem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan war zu dilettantisch, und mit der deutschen Sprache haperte es auch.

Noch überzogener fielen die Reaktionen auf das Selbstmordattentat in Kundus am 19. Mai aus, bei dem drei deutsche Soldaten ums Leben kamen. Der Anschlag könnte erst der Auftakt zu systematischen Angriffen auf Isaf-Kräfte im Norden des Landes gewesen sein, um die deutsche Öffentlichkeit zu verunsichern und gegen den Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan Stimmung zu machen. Es gelte, das schwächste Glied aus der Kette zu brechen. Diese Einschätzung entstammte Brüsseler "Nato-Kreisen". Zugleich nannte das Innenministerium in Berlin die Sicherheitslage "dramatisch wie nie zuvor", auch wegen neu gewonnener Erkenntnisse über die Vorbereitung terroristischer Anschläge in Deutschland selbst. Träfe diese finstere Lagebewertung zu, müsste der berühmte Satz von Exverteidigungsminister Peter Struck wohl umgeschrieben werden: Am Hindukusch würde die Sicherheit der Bundesrepublik nicht verteidigt, sondern auf Spiel gesetzt.

Deutsche Soldaten auf ewig in Afghanistan? Die Zustimmung schmilzt, in der Bevölkerung sowieso, in den Parteien auch. Hier liegt der Grund für die gesteigerte Nervosität in Berlin. Man fragt sich, wie man den unpopulären Einsatz über die nächste parlamentarische Hürde bringen soll. Im Herbst muss der Bundestag abstimmen, der Reigen von Klausurtagungen und Sonderparteitagen beginnt nach der Sommerpause.

Alle Befürworter des "Weiter so" in der Afghanistanpolitik benutzen heute dieselbe dreigliedrige Argumentationsfigur. Erstens: Der Sturz des Taliban-Regimes nach dem 11. September hat Kabul befreit und kam den Afghanen zugute. Zweitens: Der politische und wirtschaftliche Wiederaufbau ist noch nicht abgeschlossen; er muss weitergehen, das Erreichte darf nicht verspielt werden. Drittens: Keine zivile Entwicklung ohne militärische Sicherheit. Bei genauem Hinsehen bleibt ein Schlupfloch für die im Bedarfsfall nachzuschiebende Folgerung: Wird die Sicherheitslage noch schwieriger, muss der bewaffnete Schutz eben verstärkt werden.

Rundum falsch ist die Analyse nicht. Aber sie bestätigt nur den Kurs, der auch für die anhaltende Misere verantwortlich ist. Armut, Gesetzlosigkeit, Gewalt lasten unvermindert auf dem zerrütteten Land, während die Drogenbarone immer größere Profite einstreichen. Fünf Jahre lang war der organisierte islamistische Widerstand als politische Einflussgröße von der Bildfläche verschwunden. Statt über die Gründe seiner Wiederkehr zu rätseln, sollte die Politik sich Gedanken machen, warum ihn mehr und mehr Menschen für ein kleineres Übel halten als die Isaf-Mission. Hatte die internationale Staatenwelt je ein schlüssiges Sanierungskonzept für Afghanistan, so ist es bisher im Land nicht angekommen. Noch sind Kabul und Bagdad nicht dasselbe. Aber immer ähnlicher werden sie sich schon.

Kein Zweifel, dass die verfehlte Strategie militärischer Befriedung daran maßgeblichen Anteil hat. Wer sich als Beschützer ausgibt, aber wie ein Besatzer auftritt, darf sich nicht wundern, wenn ihn sein Gastland ungastlich behandelt. Inzwischen klagt Präsident Karsai, er werde nicht einmal mehr konsultiert bei den militärischen Operationen, die ihm politisch den Boden unter den Füßen wegziehen. Dabei spricht er nicht von amerikanisch geführten Koalitionsverbänden, sondern von der internationalen Unterstützungstruppe Isaf. Der Senat in Kabul forderte Anfang Mai die ausländischen Streitkräfte auf, ihre Kampfhandlungen einzustellen. An die Regierung appellierte er, direkte Verhandlungen mit allen afghanischen Oppositionskräften aufzunehmen. Aber was ist im Zielland westlicher Demokratieförderung schon ein gewählter Senat?

Zum Hauptstreitpunkt haben sich in jüngster Zeit die sogenannten Kollateralschäden ausgewachsen, der Tod von Zivilisten etwa durch Angriffe und Gefechte. Wie viele Opfer es sind, weiß niemand genau. Nach Angaben afghanischer Regionalbehörden überstieg ihre Zahl im zweiten Quartal 2007 die der umgekommenen Taliban-Kämpfer. Für denselben Zeitraum kennt der Stabschef im Hauptquartier der Isaf, ein deutscher General, eine ganz andere Zahl: Wir haben "nach unserer Statistik nicht einen einzigen Fall zu beklagen". Kein Abgeordneter des Bundestages sollte sich, wenn er über die Zukunft der Bundeswehr in Afghanistan mitentscheidet, einen so desolaten Informationsstand bieten lassen.

Was müsste geschehen? Die Grünen und Teile der SPD wollen "Enduring Freedom" beenden, Isaf jedoch fortsetzen. Weder an der Realität der Einsätze würde das etwas ändern noch am Druck aus Brüssel, das deutsche Militärkontingent weiter aufzustocken und räumlich auszudehnen. Die Isaf, die multinationale Unterstützungstruppe mit UN-Mandat, und "Enduring Freedom", die amerikanische Talibanjagd auf eigene Faust, sind bereits bis zur Ununterscheidbarkeit verschmolzen. Entsprechend haben beide bei Angriffen auf Aufständische zivile Opfer in Kauf genommen. General McNeill, seit Jahresanfang Isaf-Kommandeur, befehligte vorher "Enduring Freedom". In der umkämpften paschtunischen Ostregion liegen beide Truppenkommandos in der Hand desselben US-Generals. Und die deutschen Tornados fliegen Aufklärungseinsätze mal für die eine, mal für die andere Mission.

Das ramponierte Image von "Enduring Freedom" bessert sich nicht, wenn man nur das Etikett austauscht. Vielmehr verspielt die Isaf gerade den eigenen Ruf. Das A im Kürzel steht für "Assistance". Bei zwei Aufgaben soll sie der Kabuler Regierung zur Hand gehen: der humanitären Hilfe für die Bevölkerung und dem Wiederaufbau des Landes. So sagt es das immer noch geltende UN-Mandat. Von eigenmächtiger Kriegführung ist nirgends die Rede. Die Bundesregierung täte gut daran, ihre Verbündeten wissen zu lassen, dass die Bundeswehr für diesen Auftrag weiterhin zur Verfügung steht, aber für keinen sonst. Das würde allerdings etwas Mut erfordern - Mut vor dem Freund.

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