Machtvolle Kulturelite gegen sattgefütterte Masse: Droht uns die mediale Klassengesellschaft?

Dass ein Autor gleichzeitig von Springers Welt und der taz wirklich geschätzt wird, kommt nicht so häufig vor. Klaus Harpprecht hat in seiner Vita aber noch ganz andere intellektuelle Bravourstücke hinbekommen. Er führte den Fischer Verlag und schrieb Reden für Willy Brandt. 15 Monate lang leitete er sogar die legendäre „Schreibstube“ des “Demokratie wagen“-Kanzlers. Außerdem hat sich Harpprecht mit Verve an Thomas Mann abgearbeitet, eine 2.000-seitige Biografie des Schriftstellers zeugt davon. Mit Zeitungen hatte Harpprecht zeitlebens zu tun. Ihn als „Urgestein“ des Journalismus zu bezeichnen, sollte man nur deshalb unterlassen, weil das Wort etwas altbacken klingt.

Harpprecht gehört jedenfalls zu den prägenden Figuren der bundesrepublikanischen Pressezunft, ob Print, Radio oder Fernsehen, Letzteres etwa als Washington-Korrespondent des ZDF. Ansonsten ist Klaus Harpprecht, 1927 geboren, einer derjenigen Vertreter der Flackhelfergeneration, die sich wundern, dass es in Stil und Gestus der Jüngeren inzwischen etwas ruhiger zugeht. Debattenfreudigkeit und polemischer Drive begleiten ihn bis heute - obwohl er es sich doch im provencalischen La Croix-Valmer, wo er seit 25 Jahren mit seiner Frau Renate Lasker-Harpprecht lebt, gemütlich machen könnte. Dirk Kripphals

Die taz hat es schon hinter sich (sagen wir mit leicht gepresstem Atem). Die erste Zeitungskrise streifte sie nur sacht: Sie hatte ohnedies kaum Anzeigen, folglich konnte sie auch keine verlieren, als die mächtigen PR-Agenturen ruchlos die Budgets der Frankfurter Allgemeinen oder der Süddeutschen dezimierten. Als die Seitenzahlen der stolzen Paradeblätter, die von Jahr zu Jahr weiter und weiter zu schwellen schienen bis hin zur Kiloschwere der New York Times, plötzlich zusammenschmolzen wie vollschlanke Damen in teuren Entfettungskuren. Als der saure Geruch von Panik und Angstschweiß durch die Flure in Frankfurt und München zog. Als das Personal zu munkeln anfing, es sei nicht ausgemacht, dass die nächsten Gehälter ausgezahlt werden könnten. Als die Experten zu wissen meinten, die Gewaltigen in den Banken verweigerten selbst den Blättern, die ihnen mit geradezu hündischer Treue gedient hatten, die dringend gebrauchten Kredite. Als Verlagsmanager, Herausgeber und Chefredakteure mit fliegender Hast Ballast abzuwerfen begannen: die Süddeutsche ihre Ruhrgebiets-Ausgabe, die endlich den rechten Elan zu gewinnen schien, und die FAZ so manch teure Akquisition ihres genialisch-agilen Feuilleton-Herausgebers, zum Beispiel die „Berliner Seiten“ samt einer Handvoll begabter Redakteure (vom großmäulig angekündigten Umzug der gesamten „Kultur“ in die alt-neue Hauptstadt war, nach einem Veto des Politikchefs Nonnenmacher, nicht länger die Rede), außerdem wurde verdienten Korrespondenten, gleichviel wie lange sie dem Blatte gedient hatten, der Stuhl vor die Tür gestellt - sofern sie nicht in der Gunst des Magiers standen, dem es übrigens trotz aller Widrigkeiten gelungen ist, sein Sonntagsblatt in Quantität und Qualität zur besseren Konkurrenz der Springer-WamS emporzuwuchten, mit abflachenden Verlusten, die eines Tages sogar schwarzen Zahlen weichen könnten - wenn die nächste Krise höflich genug ist, noch ein paar Jährchen zu warten.

Sie kommt bestimmt, die Krise, raunen die Auguren, eher früher als später. Wenn der Aufschwung schlappmacht oder auch nur eine Weile durchhängt. Wenn die Personalchefs der Exportindustrien nicht mehr händeringend um Fachkräfte betteln und die Stellenanzeigen „auszudünnen“ beginnen, wie man auf Neudeutsch sagt. Wenn die Arbeitslosenquote sich wieder mit sachter Bosheit nach oben schiebt. Wenn die PR-Strategen die Werbeetats mit kaltem Blick reduzieren. Wenn sich die Kleinanzeigen des Wohnungs- und Automobilmarktes weiter ins billigere und effizientere Internet zurückziehen und die Bekanntschaftsannoncen einer erotisch-sozialen Schwindsucht anheimfallen. Wenn die Angst ein anderes Mal durch die Gänge schleicht. Wenn plötzlich die Alarmglocken schrillen und wir zusammenzucken, als habe uns keine Seele auf das drohende Unheil vorbereitet: dann ist es so weit. Die zweite Krise wird härter sein als die erste - und Doktor Schirrmachers medienumspannende Sympathie-Allianz (von der FAZ über den Bild-Kommandeur hinüber zum Spiegel-Chef und neuerdings selbst zur Feministen-Front).

Nein, es wird keine vorübergehende Lähmung sein, aus der sich unsere Blätter eines Tages so fröhlich erheben, wie es nach der ersten Heimsuchung glückte, als wir allesamt, die großen Bosse vorneweg, mit einem verlegenen Lächeln den Dreck von den Hosenbeinen schüttelten und fragten, was denn gewesen sei. Die Stelleninserate, sagen die Fachleute voraus, werden ein zweites Mal nicht mehr zurückkommen, sondern im Internet verankert bleiben. Vielleicht werden selbst die Angebote und Ausschreibungen der öffentlichen Institutionen in die elektronische Welt verschleppt, die Anzeigen der Regierungen und ihrer Ämter, der Schulen und Universitäten, kurz: des krisensicheren Staates und der Gemeinden, die so fest bei der Zeit verankert waren (und noch immer sind), von keiner Konjunkturschwankung angefochten, weil die Behörden immer ihre Heere von Inspekteuren, Räten und Professoren hin und her versetzen oder in den Ruhestand schicken und darum neues Personal anzuheuern gezwungen sind. Überdies nutzte die kluge Führung des Hamburger Blattes die Konditionsschwächen der Wochenendausgaben von FAZ und SZ, die zu einer scharfen Konkurrenz der Wochenblätter zu werden drohten, um sich der Leserschaft hübsch aufgebügelt, informativer, auch unterhaltsamer darzubieten. In der Tat schwang sich Die Zeit wieder zu der Traumauflage von einer halben Million empor, für die sie mit kleinen Anflügen von Niveauverlusten, zumal im neuen Magazin mit seinen Anfällen von originalitätsbemühter Überanstrengung, keinen untragbaren Preis bezahlt.

Vielleicht werden die Wochenzeitungen und Magazine generell eine härtere Resistenz beweisen, zumal der Spiegel. Der Stern mag anfälliger sein, und Focus könnte am schnellsten in die Knie gehen, eben weil das Blatt von Beginn an auf rasche Verkäuflichkeit, intellektuelle Bescheidung, leicht verdauliche Häppchen, kurz: auf die Konsummentalität der Kundschaft billigerer Warenhäuser gesetzt hat - umso geringer die Möglichkeit einer Flucht in die fortschreitende Boulevardisierung, in der die eher kopflose Medienwelt ihre Rettung zu finden hofft.

Aber wer von Anfang an das Niveau so niedrig hielt, wie es für eine halbwegs zivilisierte Gesellschaft gerade noch zumutbar war, hat nur eine limitierte Fallhöhe. Die Ironie des lieben Gottes ist wohl auch hier am Werk. Denn wer schon immer auf die sogenannten niedrigen Instinkte setzte, kann nur mit Schwierigkeiten tiefer sinken. Auch die Verkommenheit, es ist paradox, hat ihre Grenzen. Kann Bild mehr Bild werden, als es schon ist? Vielleicht zeigen die Londoner Gazetten à la Sun die Chancen eines weiteren Abstiegs an. Groß ist der Manövrierraum jenseits von Papst Benedikt samt goldener Bild-Bibel, Kampfidol Alice, Polit-Skandälchen und Nuttenmarkt nicht. Trotz massivster Appelle ans ungesunde Volksempfinden hat die Teutonen-Postille gegenüber ihren Triumphzeiten eine Million Käufer verloren. Sie wird sie in der ranzigen Moralinsauce, die durch Diekmanns Souterrain schwappt, gewiss nicht wiederfinden.

Die Gefahr der Boulevardisierung könnte eher die Blätter überwältigen, deren Niveau eine scharfe Abwärtsentwicklung erlaubt. Sie hat in den Vereinigten Staaten fast die gesamte Regional- und Lokalpresse überflutet, die ihren Lesern nur noch „Vermischtes“ auftischt (am liebsten den täglichen Pädophilie-Skandal, am besten mit Priester, gleichviel welcher Konfession). Sonstige Charakteristika: keine. Verlagsideal: Belanglosigkeit, leicht verkäuflich.

Doch selbst die Bastionen der sogenannten Qualitätspresse sind nicht mehr die unerschütterlichen Festungen, auf die wir unsere Hoffnungen setzten. Rupert Murdoch hat sich des Wall Street Journal bemächtigt, das bisher nur auf seinen Meinungsseiten ein feudaler Turnierplatz der Neocons war: Die allgemeine Redaktion hatte mit dem deprimierenden Allotria der Bush-Ritter nichts zu schaffen. Es steht dahin, ob der australische Medienzar seine Finger von dem Prinzip der strikten Trennung von Kommentar und Nachricht lassen wird. Das Beispiel seiner TV-News-Corporation ist nicht ermutigend. Der Alte erwies sich bisher stets als der umgekehrte König Midas, dem alles Gold zu Dreck wird, wenn er es nur berührt; doch leider, im nächsten Arbeitsgang, der Dreck denn doch wieder zu Gold?, dem zählbaren, das schwer in der Hand liegt, nicht dem luftigen der Ideale. Die New York Times und die Washington Post werden ihre Krisen meistern, vielleicht am Ende selbst die Los Angeles Times. Fast wichtiger: Amerika verfügt, anders als wir, über ein halbes Dutzend großer Zeitschriften, die beweisen, dass höchste Qualitätsansprüche sehr wohl den wirtschaftlichen Erfolg garantieren: allen anderen voran der New Yorker, der mehr als 700.000 Exemplare verkauft, neben ihm Atlantic Monthly und Harpers Magazin (jeweils über 300.000), The New Republic, The Nation - und die New York Review of Books, vermutlich die beste Zeitschrift der westlichen Welt, auf schlichtem Zeitungspapier gedruckt, jede Ausgabe weit über einhunderttausendmal verkauft. Die einst so wichtigen Nachrichtenmagazine Time und Newsweek zählen dank des fortgesetzten Substanzverlustes nicht mehr viel. Doch ein modisches Hochglanz-Magazin wie Vanity Fair förderte nicht nur seine Reputation, sondern auch den Verkauf durch die großen Reportagen und Porträts, mit denen die geniale Redakteurin Tina Brown dem Blatt auf die Beine half - während das Vorstadt-Talent Dr. Ulf Poschardt die deutsche Ausgabe nicht nur durch den hirnrissigen Einfall wöchentlichen Erscheinens, sondern durch eine schwachköpfige Fixierung auf „Glamour“ (vielmehr: was er dafür hält, wozu nach seiner Einsicht auch Willy Brandts Warschauer Kniefall gehörte) zum sicheren Untergang verurteilt, offensichtlich von einer ähnlichen Untergangssucht besessen wie die wechselnden Chefs von Park Avenue, die aus dem Irgendwoher kommend im Nirgendwohin verläuft.

Die Leser der großen amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften aber sind weithin die Zuschauer des „Public Television“, das ein Programm von hohem Anspruch - Arte und 3sat vergleichbar - nahezu ausschließlich aus Spenden finanziert. Sie sind die Zuhörer des „Public Radio“ mit seinen aberhundert (selbständigen) Mini-Stationen, das die beiden brillanten Wortprogramme am Vormittag und am Vorabend, die klassischen Musiksendungen (keineswegs, à la Klassik-Radio, in kulturfrevelnden Sätzchen und Häppchen dargeboten), die Jazz- und Folkloreprogramme, die Literaturlesungen zum größeren Teil aus den guten Gaben des Publikums und einiger reputationsbedachter Firmen bestreitet. Die eingeschworene Hörerschaft kauft Bücher - nicht den Airport Trash und nicht nur den Weisungen der Bestseller-Listen gehorchend. Sie hocken im Theater und in den Konzertsälen. Sie halten die Orchester aus. Sie sorgen für die Etats der Museen. Sie sind partiell mit der Machtelite (eher in der Industrie-und Bankwelt als in der Politik), vor allem freilich mit der akademischen Welt identisch. Man kann, mit dem Blick auf die Vereinigten Staaten, von einer minoritären, doch machtvollen Kulturschicht reden, die hoch über dem mit billiger Unterhaltung rund um die Uhr sattgefütterten und ruhiggestellten Massenpublikum schwebt.

Das ist in Wahrheit die neue Klassengesellschaft: die Spaltung in eine kleine, doch mächtige K-Klasse und die majoritäre U-Klasse - eine Unterscheidung, die grausamer sein könnte als die alte Scheidung nach Einkommen und Besitz. K und U werden das Geschick auch unserer Medien bestimmen. Natürlich überleben die großen Zeitungen - sofern sie dem Sog der Boulevardisierung und Simplifizierung widerstehen. (Welt Kompakt hat den Vorteil, den Holzweg klar genug zu markieren.) Vermutlich werden Zeitungen, die den Namen verdienen, sehr rasch an Umfang verlieren, vermutlich werden die Auflagen sinken, vermutlich werden auch sie auf den Opferwillen ihrer Leser und auf den Großmut einsichtiger Industrie-und Bankchefs angewiesen sein, der freilich nur mit dem erhofften Respekt belohnt wird, wenn die Spenden durch keine Bedingung beschwert sind, sondern - im Gegenteil - die redaktionelle Freiheit garantieren.

Allerdings mag eine Generalabhängigkeit mit segensreicher Klarheit deutlicher werden als in den vergangenen Jahrzehnten: die von der Gunst der Leser, die sich im Umkreis der K-Klasse nur durch Qualität gewinnen lässt. Mit anderen Worten: Die Zeitungen und wenigen Zeitschriften, die dann noch zählen - sie werden teurer, doch sie werden im Glücksfall auch besser. An Talenten fehlt es, entgegen aller kulturpessimistischer Maunzerei, keineswegs. Es gibt heute mehr junge Leute, die eine gute Feder führen, einem eindrucksvollen Bildungswillen nachleben, neugierig auf die Welt sind und sie zu beschreiben wissen, als in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, in denen das Verdikt “Schönschreiber“ der böseste Verdacht war, der einem Autor, einer Autorin angehängt werden konnte.

Die Entscheidung „Boulevardisierung oder Qualität“ gilt in gleicher Weise, ja vielleicht mehr noch für die elektronischen Medien. Die “Öffentlich-Rechtlichen“ können nicht, um der „Quote“ willen, auf allen Hochzeiten der „Privaten“ mittanzen, ihre Nachrichten (zumal „heute“ im ZDF) mehr und mehr mit Meldungen aus dem sogenannten Humanbereich des “Vermischten“ zumüllen, die Informations- und Bildungsprogramme hinter der Mitternacht verstecken oder im Zweifelsfall zu Arte und 3sat abschieben - doch zugleich mit hartem Knöchel, ja mit dem Bundesverfassungsgericht drohend auf einer Gebührenerhöhung nach der anderen bestehen. Die Staatsverträge verpflichten die Sender klar genug zu Kultur- und Informationsprogrammen. Der Anspruch auf Gebühren, die einer TV- und Radio-Steuer gleichkommen, ist an die Einlösung dieser Verpflichtung gebunden. Auch Brüssel wird daran erinnern, dass es selbst für die privilegierte Schicht der öffentlich-rechtlichen Elektronik-Beamten nicht alles gibt, was das Gemüt ergötzt: Gebühren und volle Werbekassen, Showbiz nach Hollywood-Preisen und anspruchsvolle Reportagen, vom Heer der sogenannten Freien gegen schäbige Minutenhonorare geliefert. Entweder - oder.

Aber was reimt sich auf Krisis? Für den Bildungsdeutschen noch immer die Katharsis? Die taz hat es, wie gesagt, schon hinter sich. Vielmehr: Sie erlebt es täglich aufs Neue, und es wird sie darum lange geben. Ein Wunder, an das zu glauben, nah israelischer Weisheit, der Realismus gebietet. Klaus Harpprecht