13 km Projektionsfläche

Wenn der neue Nachbar ein G8-Schutzwall ist: „Der Zaun“ durch Heiligendamm polarisiert (So., 21.45 Uhr, 3sat)

Der Zaun, der sich vergangenen Sommer durch Heiligendamm zog, sah immer auch ein bisschen aus wie ein schlechter architektonischer Scherz in der Landschaft. Ein Gebilde aus Stahlgitter und Beton, mit Stacheldrahtkrone, aufgestellt im norddeutschen Flachland zwischen Rapsfeldern und Wiesen, um die Staatschefs der Welt während des G8-Gipfels vor Anschlägen und Protesten zu schützen.

Der Zaun war das deutlichste nach außen sichtbare Zeichen des Gipfels und wurde wegen seiner hohen Kosten von 12,5 Millionen Euro stark kritisiert. Nun widmet sich eine Dokumentation dem kontroversen Schutzwall, und schnell ist klar, was der in erster Linie darstellte: eine 13 Kilometer lange Projektionsfläche für Weltwahrnehmung.

„Dieser Zaun ist ein juristisches Machwerk, das täglich im Weg steht“, erklärt ein Rechtsanwalt den Filmemachern Armin Marewski und Andreas Horn. Für den Polizeichef ist der Zaun „internationaler Sicherheitsstandard“ und die natürlichste Sache der Welt. Der Aktivist findet ihn unrechtens, und der Besitzer der Imbissbude „Oase“, die in der Sicherheitszone liegt, spöttelt: „Ich habe die sichersten Bratkartoffeln vom sichersten Herd, abgeschnüffelt vom BKA.“

Die Filmemacher haben über mehrere Wochen den Zaunbau beobachtet – und somit auch die Verwandlung des kleinen Küstenortes Heiligendamm in eine Bühne für Polittheater. Besonderen Spaß hat ihnen offenbar das Interviewen der Bewohner, Polizisten, Monteure und Gipfelgegner gemacht, so frei wie die Autoren aus dem Off bisweilen ins Geschehen lachen.

Auch die Protagonisten fühlen sich sichtlich wohl mit dem Filmteam. Man hört ihnen gerne zu, wenn sie einerseits über Demokratie sprechen und andererseits pragmatische Nöte formulieren. Wie der Heiligendammer, der von seinem Balkon in der abgeriegelten Sicherheitszone besorgt auf die Polizisten vor seinem Haus schielt: „Wenn die jetzt hochschießen und mich treffen und ihr holt den Krankenwagen“, fragt er die Filmer, „ob der kommt, oder muss ich hier verbluten?“

Derweil landet irgendwo in seiner Nachbarschaft in Heiligendamm gerade George W. Bush. Die zwei Männer könnten sich ferner nicht sein.

Der Zaun erschafft durch Abschirmung ein Innen und Außen, zwei Welten, die nebeneinander existieren: innen die weltpolitischen Diskurse und ihre mächtigen Akteure, und außen die Bürger mit ihrem Recht auf Meinungsäußerung, doch ohne die Möglichkeit, die Beratungen zu beeinflussen.

Marewski und Horn porträtieren das Außen, ohne sich in allzu simple Gut-versus-Böse-Muster zu verstricken. Das ist eine große Stärke dieser Dokumentation.JOANNA ITZEK