Haus der Kulturen der Welt: Jedem sein New York

Mit der Ausstellung "New York - States of Mind" öffnet das Haus der Kulturen der Welt in Berlin nach langer Renovierung. Mit einem Sammelsurium kleiner New-York-Fantasien.

Iona Rozeal Brown: Off the Dome: Sicker than your Average Bild: HKW

Aus Mary Ellen Marks Bilderserie zu Coney Island Bild: HKW

"New York ist ein unerschöpflicher Raum von endlosen Schritten." Das hat der Schriftsteller Paul Auster einmal über seine Heimatstadt gesagt. So fantastisch Austers Beschreibung der amerikanischen Ostküstenmetropole auch anmutet, birgt sie doch eine tiefer liegende Wahrheit. New York lässt sich nur schwer ins Konzept pressen. Wie die aktuelle Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt beweist.

"New York - States of Mind" lautet der Titel der Schau, mit der nun die alte Kongresshalle im Berliner Tiergarten nach langer Renovierung wiedereröffnet wurde. Die "Schwangere Auster" wurde der Stadt 1957 von den Amerikanern geschenkt. Nun werden dort 28 Künstler gezeigt, die größtenteils in New York leben und arbeiten. Auf der Vernissage war leichtes Gemurre zu vernehmen: Irakkrieg, nackte Körper - wo bleibe da noch das New-York-Spezifische. Dabei deutet es der Untertitel an: "States of Mind", "Bewusstseinszustände", könnte in einer freieren Übersetzung aber auch "Staaten im Kopf" bedeuten - eine Vielzahl imaginärer Territorien, die in den Köpfen der einzelnen Menschen entstehen, die miteinander streiten und die vor allem die Wolkenkratzer-Realität der Stadt überlagern. Um dieses Sammelsurium kleiner souveräner New-York-Fantasien geht es.

Wie sollte eine große, kohärente Erzählung auch aussehen? Zwischen der Kunst einer Ana Mendieta etwa und der einer Josephine Meckseper liegen Welten. Während Mendieta in den Siebzigern in brachialen Performances die Ausbeutung des weiblichen Körpers anprangerte, bewegt sich Meckseper heute innerhalb des Bildersystems, das sie kritisiert: Mit subtilen Verschiebungen entlarvt sie die Codes der Modewelt, wobei ihre Fotografie so fashionable bleibt, dass sie sich prima verkauft.

Wenn etwas die Positionen von "New York - States of Mind" miteinander verbindet, dann ist es ein gewisses dissidentes Potenzial. "Bewusstseinszustände" heißt hier politisches Bewusstsein. An vielen Stellen greift die Schau auf die Aktions- und Performancekunst der Sechziger und Siebziger zurück. Eine Wiederentdeckung ist Ana Mendietas Videofilm "Sweating Blood" von 1973, bei dem drei Minuten lang Blut aus dem Kopf der Künstlerin zu sickern scheint.

Ähnlich subversiv erscheint das Projekt "Food" von Gordon Matta-Clark: Der Künstler eröffnete 1971 ein Restaurant in SoHo, in dem er unter anderem in Blattgold frittierte Polaroids anbot. Ein Dokumentationsfilm zeigt "Food" als Szenetreff, kiffende Kellner inklusive. Wie schön, die wilden Siebziger.

Das radikalste Kunstwerk der Ausstellung ist als Nachzügler entstanden. Für seine Arbeit "One Year Performance" entschied sich der taiwanesische Künstler Tehching Hsieh im September 1981, ein Jahr auf den Straßen New Yorks zu leben und während dieser Zeit kein Gebäude zu betreten. Faszinierend ist vor allem seine Akribie: Der Künstler hat seine Wege jeden Tag in Karten markiert. Und so liest man mit Interesse, dass Hsieh zum Beispiel am 9. November 1981 sieben Dollar und achtzig Cent für Essen ausgab und seinen Darm nachmittags um zehn vor drei vom Pier 49 in den Hudson River entleerte.

Während Mendieta, Matta-Clark und Hsieh der Glaube verband, in ihren Filmen und Dokumentationen authentische Erlebnisse transportieren zu können, wird diese Überzeugung von heutigen Künstlern nicht mehr geteilt. "New York - States of Mind" zeigt, wie Skepsis die Post-9/11-Metropole dominiert. Neben Josephine Meckseper hinterfragt vor allem Jon Kessler die Strategien kontemporärer Realitätsproduktion. Sein Werk "The Palace at 4 A.M." ist ein Bilderinferno: Fotografien von Explosionen, Soldaten und dem World Trade Center bewegen sich auf primitiv klackernden Ketten und Zahnrädern. Sie werden von Überwachungskameras gefilmt und dann auf Monitoren gezeigt. Kessler hat hier ein stimmiges Symbol für das holprige Rattern der Medienmaschinerie gefunden. Es ist eben doch das Prozesshafte, Hybride, das die Realität des Daseins bestimmt. So hybrid wie die Gemälde von Iona Rozeal Brown, die das Figurenrepertoire japanischer Farbholzschnitte mit den Insignien der Hiphop-Kultur vermengt.

Wer möchte, kann auch dies als ein Symbol für New York sehen, den mythisierten "Schmelztiegel", in dem "weiße" Amerikaner längst in der Minderheit sind. Es ist ja nicht so, dass die Ausstellung an Bezügen zur Metropole spart. Marcel Duchamps braune Papiertüte etwa wird unsigniert so über zahllose Ladentheken der Stadt gereicht.

Gelegentlich wagt "New York - States of Mind" sogar Abstecher ins Atmosphärische, wie mit Mary Ellen Marks Fotografien vom Karneval und dem Rummel auf Coney Island. Eines der schönsten Fotos zeigt einen Mann im Batman-Kostüm mit drei kleinen grimmigen Prinzessinnen in einer Hochhausschlucht. Die Tatsache, dass die Szene beim Betrachter keine Irritationen auslöst, ist bezeichnend: Selbstverständlich kann New York auch Gotham City sein. Die Stadt ist als Ermöglichungsraum offen und kann mit den kuriosesten Projektionen gefüllt werden.

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