Sänger Benjamin Biolay: "Ich bin kein Museumswärter"

Der Melancholiker Benjamin Biolay hat ein neues Album gemacht. Ein Gespräch über den französischen Chanson, Dior-Anzüge und die Vermischung von Pop und Politik.

Steht zwar nicht so auf ihn, gilt aber als Erbe Gainsbourgs: Benjamin Biolay

taz: Monsieur Biolay, das dominante Thema auf ihrer neuen Platte "Trash YéYé" ist der Schmerz. Steht es damit bewusst in der Tradition des französischen Chansons, als dessen Retter Sie oft gehandelt werden?

Benjamin Biolay: Nein, mit Tradition hat das nichts zu tun. Es beschreibt die Gegenwart, meine Gegenwart. Meinen melancholischen Zustand, als ich diese Platte geschrieben habe. Aber diese Phase ist jetzt abgeschlossen. Vielleicht stehe ich jetzt, wo das Album erscheint, happy in der Abendsonne in Miami und spiele Golf. Ich mag die Chansons aus den 60ern übrigens nicht, das ist nichts, was mich interessiert. Françoise Hardy und Serge Gainsbourg höre ich mir schon mal an, aber der Rest interessiert mich nicht. Mein Musikgeschmack ist sehr anglophil. Ich singe auf Französisch, aber deshalb sehe ich mich nicht als Museumswärter.

Er wird als Erbe des übermächtigen Serge Gainsbourg gehandelt, hat aber frappierende Ähnlichkeit mit dem jungen Nick Cave: Benjamin Biolay, geboren 1973 bei Lyon. Bekannt wird er als Songschreiber für Henri Salvador, zum Liebling der neuen Chanson-Szene avanciert er 2002 mit seinem Debüt "Rose Kennedy" - einem Konzeptalbum rund um die Matriarchin des US-Regenten-Clans. Das Abgründige im Biolayschen Werk rutscht in der Folge immer mal in Richtung fluffiger Pop. Eine affaire de famille wird die Platte "Home", die mit seiner damaligen Gattin Chiara Mastroianni auf einer Autofahrt entsteht. Nach der schnelleren Gangart von "A LOrigine" kehrt Biolay mit seinem neuen, fünften Studioalbum "Trash YéYé" (Virgin/EMI) zu einem langsamerem Erzähltempo zurück - mit Streichern und vereinzelten elektronischen Beats eine zugleich abgrundtief melancholische wie herrlich legere Angelegenheit.

Für die jüngere Generation französischsprachiger Musiker, zu der auch Keren Ann, Dominique A und ihre Schwester Coralie Clément gezählt werden, hat sich der Begriff "La Nouvelle Scène Française" etabliert. Gibt es da tatsächlich ein Szene-Bewusstsein?

"La Nouvelle Scene Française" ist Verkaufspolitik der Plattenfirmen. Als Keren Ann und ich unsere ersten Platten veröffentlicht haben, waren wir so ziemlich die einzigen jungen Künstler, die auf Französisch gesungen haben. Das lief gut, und daraufhin haben die Plattenfirmen dann eine ganze Menge anderer junger Künstler mit einem ähnlichen Stil unter Vertrag genommen. Aber so etwas wie ein Gruppengefühl hat da nie existiert.

Die französische Regierung hat Ihnen den Rang eines "Chevalier des Ordre des Arts et des Lettres" verliehen.

Dieser Rang ist heute völlig bedeutungslos. Soweit ich weiß, hat man ihn auch Jean-Claude Van Damme verliehen. Ich engagiere mich als Musiker bestimmt nicht für eine bestimmte politische Partei. Da geht man nur in die Falle, so wie Oasis und andere UK-Bands in den 90ern in die von Tony Blair gegangen sind. Pop und Politik, das läuft nicht so einfach zusammen. Hipness und Coolness sind keine Qualitäten, mit denen man Wahlkampf machen sollte. Als Künstler wird man von Politikern nur als Marketingtool benutzt.

In Frankreich scheint eine charismatische Aura für die Karriere eines Künstlers essentiell zu sein.

Die Franzosen haben eine sehr seltsame Art, mit Künstlern umzugehen. Sie reden nicht über ihre Werke. Sie interessiert nur, was bei diesen Personen gerade angesagt ist und mit wem sie ausgehen. So entsteht dann dieses gefakte Charisma. Ich bekam zum Beispiel einen Anruf von Christian Dior, ob ich nicht Lust hätte, seine Anzüge zu tragen.

Und - haben Sie einen Anzug von Dior getragen?

Natürlich, ich habe alle klassischen Fehler gemacht.

Ihre Karriere als Musiker begann von elf Jahren. Was hat sich seither verändert?

Vieles hat sich zum Schlechten verändert. Seit neuestem stehen alle auf entsetzlich kitschige Songs mit Akkordeonbegleitung, die nach französischer Tradition und Vergangenheit klingen sollen. Ein totaler Fake. Komplett rückwartsgewandt. Ich verstehe nicht, warum man diese Sorte Musik macht, wenn man 20 Jahre alt ist. Und der französische Hiphop, der vor einigen Jahren noch wirklich exzellent war. Puuh. Da ist nichts mehr von übrig, diese Szene ist tot. Das politische Klima ist heute ganz anders als während der Mitterrand-Jahre. Jack Lang hat als Kulturminister unter Mitterrand kulturelle Vielfalt und Entwicklung wirklich gefördert. Da passiert jetzt überhaupt nichts mehr. Die Konservativen, die heute an allen Schaltstellen sitzen, haben keinen Geschmack.

In Deutschland ist aber das französische Technolabel Ed Banger mit Acts wie Justice, Feadz und Uffie sehr erfolgreich. Vielleicht doch ein Lichtblick zwischen den ganzen folkloristischen Tendenzen?

Stimmt, nicht alles was in Frankreich passiert, ist antiquiert. Es gibt schon noch gutes Zeug, Musiker mit eigener Dynamik und Energie.

INTERVIEW: CHRISTINE KÄPPELER

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