Ein Leben lang Tee kochen lernen

Kult der Kälte: „Der Tod des Teemeisters“ – ein Roman des japanischen Autors und Nationalheiligtums Yasushi Inoue

VON SUSANNE MESSMER

Vielleicht liegt es an der nördlichsten der japanischen Hauptinseln, Hokkaido, auf der Yasushi Inoue aufgewachsen ist – der Insel mit den klirrenden Wintern, den Schneestürmen und den Eisskulpturen. In Yasushi Inoues Roman „Die Eiswand“ etwa stürzt ein unglücklich Verliebter bei dem Versuch zu Tode, einen Gletscher zu besteigen. In seinem Roman „Das Jagdgewehr“, das gerade anlässlich des hundertsten Geburtstags des Autors vom Suhrkamp Verlag wiederaufgelegt wurde, hängt eine betrogene Ehefrau ihrem Mann das Bildnis einer Schneelandschaft des französischen Malers Maurice de Vlaminck ins Arbeitszimmer. Den Gaugin, der vorher dort hing, nimmt sie einfach mit.

In seinem Roman „Der Tod des Teemeisters“, der nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt, spielt der Kult der Kälte nun nicht mehr nur als Motiv eine große Rolle. Knappe Klarheit und kühle Reduktion beschreiben auch sehr gut den Stil des 1991 verstorbenen Autors, der in Japan als lebender Nationalschatz verehrt wird und neben Kenzaburo Oe zu den meistgelesenen japanischen Autoren der älteren Generation außerhalb Japans gehört. Mit „Tod des Teemeisters“ hat der Suhrkamp Verlag einen der kargsten und unzugänglichsten der zahlreichen historischen Romane dieses Autors gewählt, der vermutlich außerdem, da es sich um ein Spätwerk handelt, die Auseinandersetzung des Autors mit dem Tod und seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg verarbeitet, in dem Inoue zwei Jahre lang als Fußsoldat in Nordchina kämpfte.

„Der Tod des Teemeisters“ spürt dem bis heute ungeklärten Tod des berühmten Teemeisters Rikyu nach, der im Jahr 1591 auf Befehl von oben Selbstmord begangen haben soll. Erzählt wird aus der Sicht seines Schülers Honkakubo, des Erzählers in diesem schmalen Bändchen, der jahrzehntelang ergebnislos versucht, die Gründe für diesen verfrühten Tod zu finden. Er spricht mit anderen Schülern des Teemeisters, mit anderen Teemeistern, mit Kriegern, die den Meister kannten. Anstatt der Wahrheit näher zu kommen, lernt der Leser immer mehr über die seltsame, äußerst ritualisierte und codierte Welt der japanischen Teezeremonie zu Zeiten der blutigsten Kriegswirren und Kämpfe während der Landeseinigung – als man zur Teezeremonie ging, weil man fürchtete, in der nächsten Schlacht das Leben zu lassen. „Jede Zeremonie war ein kleiner Tod“, heißt es in dem Buch.

Man versteht nicht wirklich viel von dem, was da geschieht – und freut sich fast ein wenig, dass neben jüngeren japanischen Autoren wie Haruki Murakami und Banana Yoshimoto auch noch Literatur aus diesem Land gelesen wird, die nirgendwo anders als in Japan spielen könnte und den westlichen Leser mit großem kulturellem Befremden allein lässt. Wie kann man ein Leben lang lernen, Tee zu kochen? Die hohe Kunst des Soufflés, das wäre ja noch zu verstehen. Aber Tee? Warum sind die Gegenstände hierfür so wichtig, dass sie Namen bekommen und weinen, wenn sie grob behandelt werden? Und was hat man sich darunter vorzustellen, wenn einer den Tee „frei und hochherzig“ kocht?

Eine der schönsten Szene des Buchs ist die, in der der Schüler Honkaku von seinem Lehrer träumt, der einen kahlen, steinigen, öden Weg geht und nicht erlaubt, dass man ihm folgt. Als Honkaku diesen Traum zum zweiten Mal träumt, wacht er halb erfroren wieder auf. Aber immerhin weiß er nun, warum sein Meister Selbstmord begangen hat, ohne um Gnade zu flehen. Er wollte sterben, weil die Teezeremonie zu weltlich geworden war, zu korrumpierbar und verwoben mit den Spielen der Macht und der Politik. Er wollte aber auch sterben, weil er so einsam war. Es war ihm unmöglich, all den Kriegern beizustehen, als es ums Große und Ganze ging. Es ist diese rigide Isolation des Einzelnen, die immer wieder auftaucht bei Yasushi Inoue. Sie macht selbst noch sein unwegsamstes Buch lesenswert.

Yasushi Inoue: „Der Tod des Teemeisters“. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 168 Seiten, 19,80 Euro