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: Das Big-Brother-Prinzip ist im Roman angekommen – mit Erfolg

Kathrin: Ich muss jetzt mal aufs Klo. Sie steht auf und geht.

Eddy zu Kathrin: Das stört dich jetzt, dass ich hier bin und rede?

Kathrin: Nein, ich muss nur aufs Klo.

„Big Brother“ 2007. Die Reality-Soap auf RTL2, die im Jahr 2000 die feuilletonistische Debattenmaschine heiß laufen ließ, dann unzählige Nachahmer in Containern und auf Inseln fand, um schließlich als Quotenkrepierer zu enden. Und nun kommt die Jugendbuchautorin Isabel Abedi und präsentiert einen Big-Brother-Roman.

Die Helden: zwölf Jugendliche, die bei einem Casting als Schauspieler für das neue Projekt des Filmgurus Tempelhoff arbeiten dürfen. Das Setting: eine einsame brasilianische Insel vor der Küste von Rio de Janeiro. Der Plot: ein Spiel, bei dem ein durch Los gezogener „Mörder“ seinen Opfern durch harmloses Umfassen des linken Handgelenks signalisiert, dass sie „tot“ sind und die Insel wie das Spiel verlassen müssen. Natürlich wird die Insel von unzähligen Kameras überwacht. Aus dem Material soll später ein Film zusammengeschnitten werden. Zwölf kleine Schauspielerlein: Und da waren’s nur noch zehn – und so weiter.

Die Idee klingt so fade, dass man eigentlich gar nicht erst anfangen möchte zu lesen. Aber das wäre ein Fehler. Denn Big Brother ist – ganz unabhängig vom realen Fernsehgeschehen – als Idee ein Topos, der etwas geradezu Archetypisches hat: von jedem verstanden und in allen möglichen Variationen immer wieder durchdekliniert. Darin gleicht er den Märchenmotiven, die ebenfalls reichlich in diesem Roman stecken: das Kind als Waise, der Kindbetttod der Mutter, der verlorene Sohn und seine Heimkehr.

Was als Reality-Show scheitert, funktioniert als Roman durchaus. „Isola“ ist ein Thriller, den man nicht aus der Hand legt, bevor man auch die letzte Seite verschlungen hat. Denn natürlich kommt es so, wie es das Big-Brother-Motiv nahelegt: Aus dem Spiel wird Ernst. Es gibt einen echten Toten und echte Panik bei seinem Anblick. Es gibt einen echten Mörder und viele verschlungene Umwege bis zu seiner Entlarvung. Es gibt eine echte Rettung vor dem Bösen und einen Unschuldigen, der geopfert wird, damit die anderen leben können.

Vor allem aber gibt es echte Charaktere, die schon bald bemerken, dass das wahre Leben aufregender ist als das einfallslose Mörderspiel, bei dem ein überschätzter Regisseur die Fäden zieht. Und so fragen die schauspielernden Jugendlichen schon bald recht ernsthaft nach ihrer Herkunft, ihrer Liebe, nach dem Richtigen in einem falschen Spiel. Die Namen, die sie sich für den Film geben mussten, bleiben ihnen plakativ und fremd: Solo, Joker, Moon, Peal, Darling, Vera. Da haben sie ihren Containerkollegen viel an Intelligenz voraus.

Diese Jugendlichen interessieren sich wirklich füreinander. Wer ist der schweigsame Junge, den Vera küsst? Was ging in Joker vor, bevor er die Klippen hinunterstürzte? Was fühlt Vera, während sie sich in Ekstase tanzt? Was empfindet Solo, als er Psychopharmaka nimmt und darauf Alkohol trinkt? Reicht der Mix, um ihn besinnungslos handeln zu lassen und zum Mörder zu machen?

Es ist ein Buch ohne Weichspüler. Jugendliche nehmen Drogen; Sex kann auch mal heftig werden; Menschen, auch junge, suchen das Extreme, um zu spüren, dass sie leben, und begeben sich dabei manchmal in Gefahr. Gegen zu viel einlullende Inselromantik helfen Ekstase und Rausch, die Hilfsmittel der Lebenshungrigen.

Es sind diese Nebengleise, die dem Roman Tiefe geben. Kombiniert mit den klassischen Verwicklungen eines Thrillers, die ihm Tempo verleihen, ergibt das eine gute Mischung. Und zum Ende hin gewinnt diese Geschichte ordentlich an Fahrt – ein standesgemäßer Showdown inklusive. ANGELIKA OHLAND

Isabel Abedi: „Isola“. Arena Verlag, Würzburg 2007, 328 Seiten, 14,95 Euro