Popkomm: Schlacht um die Bretter der Welt

Die Popkomm hat zum ersten Mal einen Messebereich für Konzertveranstalter. Ist das Geschäft mit dem Live-Erlebnis die letzte Möglichkeit, im Pop-Biz Geld zu verdienen?

Unanständig viel Geld müssen Fans für ein Konzert eines Stars ausgeben (hier: Madonna). Die Veranstalter macht das nicht unbedingt reicher. Bild: reuters

Der Sommer ging auf sein Ende zu, da verbreiteten die Branchendienste der Musikindustrie, dass die deutsche Sektion von Sony BMG eine Beteiligung an den deutschen Comedy-Veranstaltern MTS und Bucardo erworben habe. Die Neuigkeit fand nur sehr gemächlich Eingang in die Meldungsspalten der Wirtschaftsseiten und wurde in den Feuilletons meist gar nicht registriert. Doch den Beteiligten selbst war die Signifikanz des Geschäfts durchaus bewusst: Seine Firma, erklärte Edgar Berger, der CEO der Sony BMG Deutschland, "steigt als erster Major in Deutschland in das Management- und Live-Geschäft ein".

Ein international agierender Unterhaltungskonzern hat also sein Portfolio erweitert und drängt nun in das hierzulande vornehmlich lokal organisierte Gewerbe mit der Ware Live-Erlebnis. Bislang hatten die vier Majorlabels sich auf ihr Kerngeschäft konzentriert, Konzerte eher als CD-Verkäufe befördernde Werbemaßnahme verstanden und deren Organisation gönnerhaft vornehmlich Mittelständlern oder an der Grenze zur Selbstausbeutung agierenden Kleinstbetrieben überlassen.

Aber das ist eine überholte Auffassung: Die Gewichtung in der Wertschöpfungskette hat sich verschoben. War der Live-Auftritt früher einmal eher ein Zubrot für den Künstler, entwickelt sich der CD-Verkauf dieser Tage immer mehr zum werbenden Begleitgeräusch für Tourneen, die als Ereignisse inszeniert werden. Und vor allem einen nicht zu überschätzenden Vorteil bieten: Das Live-Erlebnis ist von den unangenehmen Begleiterscheinungen der Digitalisierung nicht betroffen, denn es lässt sich nicht downloaden und auf CD brennen. Während Plattenfirmen seit Jahren immer dramatischere Umsatzeinbußen registrieren müssen, scheinen die Einnahmen mit Konzerten zumindest gesichert.

Kein Wunder, dass auch die Popkomm reagiert. Erstmals hat die Messe eine "Live Entertainment Area" ins Leben gerufen, eine "optimale Plattform", auf der sich die Konzertveranstalter und Agenturen den "Businesspartnern angrenzender Branchen präsentieren und sich untereinander vernetzen" sollen. Und zudem wird Deutschlands größte Popmusikmesse eröffnet mit einem Fachkongress zum Thema: "Kultur- und Wirtschaftsfaktor Live Entertainment", veranstaltet vom Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (idkv). Auf dem Podium werden neben Branchenvertretern auch zwei Staatssekretäre und diverse Bundestagsabgeordnete erwartet. Mit dabei auch Jens Michow, Vorsitzender des idkv, der die von ihm repräsentierte Branche als "nicht wegzudenkenden Motor des deutschen Kulturbetriebs" sieht.

Pünktlich zum Kongress wird Michow allerneuestes Datenmaterial präsentieren. Noch sind die Ergebnisse der Studie des Marktforschungsunternehmen GfK geheim, aber Michow verrät immerhin, dass "die Zahlen überraschend gut aussehen". Schon 2003 hatte der idkv feststellen können, dass im Geschäft mit der Popmusik nur noch 40 Prozent mit Tonträgern umgesetzt wird, 60 Prozent aber mit Konzerttickets. Dieses Verhältnis hat sich, so Michow, "erheblich verschoben" - zugunsten des Live-Geschäfts.

Ein Trend, den die Fantastischen Vier aus nächster Nähe beobachten durften. Die Stuttgarter gründeten 1996 ihre eigene Plattenfirma Four Music, nur wenig später gefolgt von der Booking-Agentur Four Artists. Zwei voneinander unabhängige Firmen, die aber über einen langen Zeitraum unter einem Dach agierten: Die Vermarktung der CDs ging so Hand in Hand mit der Tourneeplanung. Mittlerweile haben sich die Machtverhältnisse verkehrt: Four Music wurde vom langjährigen Vertriebspartner Sony BMG geschluckt, weil man trotz Nummer-eins-Alben von Max Herre und Gentleman am Rande der Pleite stand. Four Artists dagegen bleibt weiter unabhängig und prosperiert.

Die dazugehörige Theorie scheint simpel: Das Geld, das der Konsument einspart, weil er sich die Musikkonserven zwar illegal, aber kostenfrei aus dem Internet lädt, gibt er heutzutage für Konzerte aus. Eine Milchmädchenrechnung, sagen langgediente Konzertorganisatoren. Das Live-Geschäft wächst natürlich - relativ gesehen zum stetig schrumpfenden Umsatz mit haptischen Tonträgern. Absolut gesehen hat sich in den vergangenen Jahren allerdings kaum etwas verändert. Dem muss auch Michow zustimmen: "Seit 2002 geht es zwar langsam nach oben, aber lange nicht so gigantisch, wie viele denken. Währenddessen verzeichnen andere Bereiche des Musikgeschäfts aber große Umsatzeinbußen."

Frehn Hawel, Pressesprecher der Karsten Jahnke Konzertdirektion sowie Sänger und Gitarrist der Band TigerBeat, will keinen Live-Boom erkennen, bestätigt aber mit Einschränkungen die sanfte Aufwärtsentwicklung: "Die Konzerte sind zwar gut besucht, aber die Gewinnmargen werden immer kleiner, weil die Produktionskosten steigen." Der Grund dafür ist hauptsächlich, dass die Musiker wegen sinkender CD-Verkaufszahlen sich zusehends auf die Live-Einnahmen stützen müssen und vor allem weltweit bekannte Künstler immer höhere Gagen verlangen. Die prominentesten Namen, die ein festes, kalkulierbares Publikum binden und so gute Einnahmen zu garantieren scheinen, treiben die Preise, die die Veranstalter zahlen müssen, nach oben. "Der Wettbewerb wird härter", sagt Hawel.

So profitieren von der Umwälzung in der Popbranche vornehmlich die lange eingeführten Markennamen. Im oberen Marktsegment lässt sich noch am ehesten von einem Boom sprechen, vor allem dank explodierender Eintrittspreise. Oft sind es die teuersten Karten, die am schnellsten ausverkauft sind, weil sie ein exklusives, nicht wiederholbares Erlebnis versprechen. So kann eine künstlerisch weitgehend abgehalfterte Barbra Streisand, deren CDs bleischwer in den Regalen liegen, Menschen mobilisieren, die bis zu unanständige 500 Euro für eine Karte auszugeben. Und benötigt dazu noch nicht einmal die Werbewirkung einer neuen Veröffentlichung - was zählt, ist das Event: Das Berliner Konzert der Diva wurde vermarktet als ihr einziger und allererster Auftritt in Deutschland.

Aber auch für unbekanntere Künstler verschiebt sich die Einnahmeperspektive. Nun, da mit dem Verkauf von Tonträgern kaum mehr Geld zu verdienen ist, müssen sich die Musikanten zusehends auf der Bühne ihren Lebensunterhalt verdienen. Das kann funktionieren, wenn man keine allzu großen Ansprüche an den Standard dieses Lebens stellt, erzählt Beat Halberschmidt von Lychee Lassie, der ein geradezu legendärer Ruf als Live-Band vorauseilt. Auch Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow bekundete im Interview (siehe taz vom 3. 7. 2007) sein Unwohlsein mit den wachsenden Ansprüchen an die Live-Auftritte: "Das ist eine sehr ungute Entwicklung. Bei aller Liebe zu den Konzerten: Das ist doch Reproduktion. Und extrem aufreibend. Man kann das nicht ein Leben lang machen." Dass nicht alle Musiker sich mit der Idee anfreunden können, mehr und mehr zu bloßen Bühnenevent-Entertainern zu werden und sich ergo nach dem von Publikumswünschen losgelösten Arbeiten im Albumformat zurücksehnen, ist nachvollziehbar.

Doch die von Künstlerseite gefühlte Dramatik der Situation aus Veranstalterperspektive ist nicht so proportional profitabel, wie zu vermuten wäre. Girogio Carioti, der im Berliner Quasimodo seit 30 Jahren Konzerte zwischen Jazz, Blues und Folk organisiert, findet: "Der Live-Boom ist Quatsch mit Soße." Mal ist sein ungefähr 400 Zuschauer fassender Club voll, mal kommen nur 20 Zahlende. Noch immer ist fast jedes Konzert ein Risiko, die meisten Veranstaltungen seien "bestenfalls kostendeckend".

Zusätzlich erschwert wird das Geschäft durch die komplexen Steuer- und Abgabenregularien, die aus einer Tournee einen bisweilen unüberschaubaren Aufwand machen. Wer ausländische Künstler auf Tour schickt, darf sich durch einen Wust aus Bestimmungen wühlen, der im Zusammenhang mit den eher mageren Gewinnaussichten dafür sorgt, dass der Markt bis heute vornehmlich Idealisten vorbehalten bleibt. Selbst den größten, Millionen umsetzenden Konzertveranstaltern stehen mit Marek Lieberberg oder Karsten Jahnke noch immer schrullige Originale vor, die eher Musikfans als Manager sind. Ob das noch lange so bleibt, wird sich zeigen müssen. Die großen Plattenfirmen haben längst, beeindruckt von den Umsatzeinbrüchen im Tonträgermarkt, ihre Begehrlichkeiten auf zusätzliche Wertschöpfungsmöglichkeiten gerichtet. Das Merchandising, also das Geschäft mit Zusatzprodukten vom T-Shirt bis zum Schlüsselanhänger, spielt da ebenso eine Rolle wie die Lizensierung von Musik für Film und Fernsehen, Klingeltöne und Computerspiele.

Der größte Teil des Kuchens, das Live-Geschäft, aber geht bislang noch an den Majors vorbei. Die ersten Firmen haben nun begonnen, sich mit den Plattenverträgen einen zehn- bis zwanzigprozentigen Anteil an den Gagen ihrer Künstler zu sichern. Eine zuvor weitgehend unübliche Praxis. Beim Branchenprimus Universal gibt es dem Vernehmen nach die Direktive, keine Verträge mehr ohne entsprechende Klausel abzuschließen.

Vor einem direkten Engagement der Musikkonzerne im Live-Geschäft, wie der kürzlichen Portfolio-Erweiterung von Sony BMG, ist der Veranstalterbranche allerdings nicht bange. Zu gering sind die Verdienstmöglichkeiten: Renditen im einstelligen Prozentbereich sind realistisch, aber kaum verlockend. "Kein vernünftiger Mensch kann hoffen, mit Livemusik viel Geld zu verdienen", lacht Girogio Carioti, "wenn ich reich werden wollte, würde ich ins Biogeschäft einsteigen." Und idkv-Präsident Michow empfiehlt den Plattenlabels: "Schuster, bleib bei deinen Leisten. Die sollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren."

Popkomm: 19.-21. 9. auf dem Berliner Messegelände und diversen Clubs der Stadt. Auftakt-Kongress "Kultur- und Wirtschaftsfaktor Live Entertainment" heute im Palais am Funkturm.

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