Schlagloch: Geheimakte. Streng geheim!

Warum wir lachen müssen, wenn der Minister das Ende der Welt verkündet.

Vor vielen Jahren, als Europa noch geteilt war durch einen Eisernen Vorhang und die Staatssicherheiten des Ostens gegen die Geheimdienste des Westens kämpften, war ich ein Student mit vielen Interessen und einer festen Überzeugung: die Diktatur in meinem Geburtsland Bulgarien stürzen zu müssen. Zu diesem Zweck arbeitete ich bei einer Exilzeitung in Paris mit, kopierte subversives Material in winzigen Formaten und besuchte diverse Treffen und Veranstaltungen einer lose organisierten Vereinigung von Emigrantengruppen namens "Bulgarische Befreiungsbewegung". Die politische Arbeit, die wir leisteten, war angesichts des stabilen Status quo im Kalten Krieg von geringer Durchschlagskraft, aber so symbolisch mein Widerstand auch ausfiel, er war einem lethargischen Fatalismus vorzuziehen.

Ich hatte diese Episode meines Lebens fast vergessen, als ich neulich Gelegenheit erhielt, einige Dokumente der bulgarischen Staatssicherheit aus dem Jahr 1987 über mich zu lesen. In diesen trocken gehaltenen "Analysen" werde ich als Mitglied einer Terrorbewegung bezeichnet, das verantwortlich sei für die Region Bayern (ich studierte damals in München), angestachelt und angeführt von einem Exilanten in Paris, einem väterlichen Freund, dem in einem weiteren Dokument Kontakte zur Roten Armee Fraktion, zur IRA, ETA und den Grauen Wölfen nachgesagt werden. Zu jenem Zeitpunkt waren die meisten seiner Verwandten, Freunde und Bekannten - wie er später herausfinden sollte - als Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit angeworben worden, um dieser außergewöhnlich gefährlichen terroristischen Bedrohung zu begegnen. Sein Aktenname lautete dementsprechend "Der Terrorist". Kein Wunder, dass auch ich, immerhin einer seiner Adjutanten, als so gefährlich eingestuft wurde, dass der zuständige Offizier die Anweisung erteilte, es sollen sich drei Agenten bzw. Informelle Mitarbeiter mit mir beschäftigen, die Herren mit den Decknamen "Boiko", "Petrow" und "Hristow". Doch damit nicht genug - in einem späteren internen Schreiben des KGB an die bulgarische Staatssicherheit wird gewarnt, es sei zu befürchten, dass unsere Terrororganisation Zugang zu tragbaren Nuklearwaffen habe, im heutigen Jargon also zu einer sogenannten schmutzigen Bombe.

Zwar verfüge ich nicht über alle Unterlagen, da der bulgarische Staat weiterhin alle möglichen Aktivitäten ergreift oder unterlässt, um den Zugang von Opfern und Historikern zu den Archiven der Staatssicherheit zu verhindern, aber es hat den Anschein, als habe sich eine Hundertschaft von Agenten mit dieser großen terroristischen Bedrohung beschäftigt. Man könnte über die Geschichte lachen, man könnte sich bemüßigt fühlen, "Die Abenteuer des Soldaten Schwejk" und "Unser Mann in Havanna" als realistische Literatur anzusehen, wenn nicht solche "Informationen" weiterhin durch die geheimdienstlichen Labyrinthe schwappten. Bei einem Interview neulich in Sofia hat mir der ehemalige stellvertretende Leiter der politischen Abteilung der Staatssicherheit stolz berichtet, die Arbeit seiner Kollegen sei auf höchstem professionellem Niveau erfolgt, man habe die einzige umfassende, quasi soziologische Dokumentation des Landes zusammengetragen und schon immer eng mit den Geheimdiensten aus aller Welt, auch den vordergründig gegnerischen, zusammengearbeitet. Man habe schon im Kalten Krieg Informationen ausgetauscht. Welch tröstlicher Gedanke: die Internationale der Geheimdienste.

So wurde mir vor etwa zehn Jahren das Visum für einige zentralasiatische Staaten verweigert. Auf die Frage eines befreundeten deutschen Diplomaten bei seinen Kollegen wurde ihm vertraulich mitgeteilt, ich stünde auf der Schwarzen Liste, eine beachtliche Leistung für jemanden, der diese Länder noch nie besucht und auch nie über sie geschrieben hatte.

Ich erzähle diese Geschichte nicht, um in die Fußstapfen von Graham Greene oder John le Carré zu treten, sondern weil ich mit einem schalen Beigeschmack an sie zurückdenken musste, als unser Innenminister mal wieder eine seiner apokalyptischen Tiraden vom Zaum ließ. Wie ein Hohepriester einer jener endzeitlichen Sekten, die sich um 1000 nach Christus in Europa pestilenzartig ausbreiteten, verkündete er zuerst, die islamistischen Terroristen verfügten gewiss bald über die schmutzige Bombe, und dann schloss er mit der Salbung, man solle sich die wenige verbliebene Zeit von dieser Einsicht nicht madig machen lassen. Im Klartext: Werkelt weiter, ihr braven Bürger, konsumiert und vermehrt euch, alles andere überlasst uns, die wir in verschlossenen Räumen und über geheime Kanäle für eure Sicherheit sorgen.

Absurd an dieser Aussage war nicht nur die Rhetorik, sondern auch die Annahme, was die Geheimdienste dem Herrn Minister so alles vorsetzen, sei wahr und demzufolge ernst zu nehmen. Es gibt eine schon jahrtausendealte Erfahrung mit Geheimdiensten, seit den Tagen des indischen Königs Chandragupta, dessen Minister Kautilya (so will es die Legende), das erste Staatslehrbuch Arthashastra verfasst hat. Schon in diesem frühen Klassiker der politischen Weltliteratur wird unverblümt - man könnte es auch zynisch nennen - über die Staatssicherheit und ihre Aufgaben referiert. Das Ausspionieren der Untertanen gehört ebenso dazu wie das Kompromittieren der Gegner, und dazu ist jede Lüge gut. Die Spione sollen so viele Zweifel in die Ohren der Menschen säen, bis keiner dem anderen vertraut und einzig die Macht des Königs Sicherheit verspricht. Geheimdienste sind vor allem bemüht, egal in welchem System, ihre eigene Notwendigkeit zu bestätigen, und zu diesem Zweck erfinden sie mal chemische Waffen, wo keine sind, oder übersehen Anschläge, die von langer Hand vorbereitet werden.

Das "Geheime" an den Geheimdiensten ist, demokratisch gesehen, ihr größtes Manko, denn wie soll eine Behörde der Versuchung widerstehen, die öffentlichen Verlautbarungen den eigenen Interessen anzupassen, wenn man über die Möglichkeit verfügt, jede Nachfrage abzuschmettern, weil die besagte Information streng geheim sei. In den deutschen Botschaften werden die Mitarbeiter des BND ob ihrer obsessiven Geheimniskrämerei, die sich zuvorderst hinter stets verschlossenen Bürotüren äußert, oft belächelt. Wenn also der Innenminister gravitätisch das Ende der Welt verkündet und von uns als Gegenleistung für diese wertvolle Information die Abtretung unserer Bürgerrechte verlangt, dann gilt es lautstark zu lachen.

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