Die Gefahren der Peripherie

Erstmals leben mehr Menschen in Städten als außerhalb. Mike Davis beschreibt in „Planet der Slums“ die Folgen der Urbanisierung – nicht zuletzt für die modernen, asymmetrischen Kriege

Betritt man die Bahnhofshalle von Rotterdam Centraal, grüßt die aktuelle Architektur-Biennale mit einem Slum-Superposter: „Das ist kein Berg voller Häuser, das ist ein Haus, so groß wie ein Berg“. Dass seit letztem Jahr erstmals mehr Menschen in Metropolen als außerhalb leben werden, ist eine „Wasserscheide der Menschheitsgeschichte“, wie es der US-amerikanische Autor Mike Davis in seinem Buch „Planet der Slums“ nennt, das gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist (zur englischen Ausgabe siehe taz vom 14. 12. 2006).

„Die Leute vom Land müssen nicht mehr in die Stadt wandern; vielmehr wandert diese ihnen entgegen“, spitzt Davis die Verschiebung zu. Nicht mehr Glas und Stahl werden das Bild der Stadt prägen, sondern Plastikplanen, Holzlatten, rohe Ziegel und Wellblech. Einkömmliche Jobs fehlen den vor allem im globalen Süden liegenden Boommetropolen mehr denn je. Zwei Fünftel der Erwerbstätigen schuften hier informell. Für Mike Davis ist diese schnell weiterwachsende Milliarde von Menschen eine neue „informelle Arbeiterklasse“.

In der Rotterdamer Ausstellung werden demgegenüber die Selbsthilfekräfte der städtischen Armutsbevölkerung gefeiert. Während Mike Davis die Hölle auf Erden beschreibt, scheint in Rotterdam eine neoliberale Feierstunde angebrochen zu sein, geblendet von vermeintlich bürgerlicher Eigeninitiative, wo der Wohlfahrtsstaat sich längst schon brutal zurückgezogen hat.

Gegen Ende seiner pessimistischen Weltverstädterungspublikation kündigt Mike Davis als kommendes Buch „Goverments of the Poor“ an und möchte darin über den Widerstand der Elendsbevölkerung gegen den globalen Kapitalismus schreiben. Erschienen ist hingegen sein Buch zur Geschichte der Autobombe und über „asymmetrische“ Guerillakriege zur Störung städtischer Infrastrukturen von Mogadischu bis Sadr City. In einem im Onlinemagazin Telepolis auszugsweise übersetzten Interview beschreibt Davis hellsichtig, dass das US-amerikanische Militär weit eher als die Urbanismusforscher die kommenden städtischen Konfliktfelder erkannt habe:

„Wenn man Studien des Army War College liest, entdeckt man eine andere Geopolitik als die, der sich die Bush-Administration verschrieben hat. Die Kriegsplaner betonen keine Achsen des Bösen oder überbordende Verschwörungen, sie unterstreichen die Bedeutung des Terrains – die wuchernden Slums der Peripherie und die Chancen, die sie einem ganzen Konglomerat von Oppositionellen bieten – Drogenbarone, al-Qaida, revolutionäre Organisationen, religiöse Sekten –, dort Besitzstände zu bilden.“

Die Zonen künftiger „Urban Warfares“ lassen sich wissenschaftlich und geografisch ausmessen. So studierten Pentagontheoretiker Architektur und Stadtplanungstheorie. Sie nutzten geografische Informationssysteme und Satelliten, um Wissenslücken zu füllen, denn der Staat weiß in der Regel wenig über seine eigenen Slums an der Peripherie. Der „endlose Sozialkrieg“ wird durch Mauern, Straßensperren, Pufferzonen und Checkpoints weiter befestigt. Eine Flucht nach Europa bleibt dabei weitgehend ausgeschlossen – die neu gegründete militarisierte EU-Grenzschutzagentur Frontex soll dies auch künftig garantieren.

JOCHEN BECKER

Mike Davis: „Planet der Slums“. Aus dem Englischen von Ingrid Scherf. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2007, 248 Seiten, 20 Euro Tom Engelhardt: „Ground Zero der Menschheit. Interview mit Mike Davis über sein Buch ‚Planet der Slums‘ “. www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24728/1.html 3. Internationale Architektur-Biennale Rotterdam, noch bis zum 2. September 2007 in der Kunsthal und im NAI